Braunschweig. Daniela Behrens spricht über die Polizei und über die Reichsbürgerszene. Auch eine Vermutung über die Gründe für die Gewaltbereitschaft äußert sie.

Als Boris Pistorius im Januar Bundesverteidigungsminister wurde, wechselte Daniela Behrens (SPD) in Niedersachsens Innenministerium. Ein Gespräch zu den Themen Polizei, Reichsbürgerprobleme und Waldbrandgefahr.

Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens beim Interview in Braunschweig.
Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens beim Interview in Braunschweig. © Braunschweiger Zeitung | Bernward Comes

Frau Behrens, Sie sind seit Januar 2023 Innenministerin in Niedersachsen – also noch recht frisch im Amt. Wie sind Sie aufgenommen worden? Wie groß sind die Unterschiede zum Sozial- und Gesundheitsministerium, das Sie zuvor geführt haben?

Die Aufnahme in das Team war sehr gut, sehr professionell. Ich fühle mich geschätzt und werde gut informiert. Auch wenn die Themen jetzt andere sind: Was die Perspektive auf die politische Arbeit angeht, sind die Unterschiede zwischen den Häusern gar nicht so gewaltig. Im sozialen Bereich geht es um soziale Sicherheit. Und jetzt geht es natürlich vor allem um die Frage nach dem sicheren Leben.

Haben Sie lange überlegt, als es die Möglichkeit zum Wechsel gab?

Nein, ich habe mich zwar wohl gefühlt im Sozial- und Gesundheitsministerium. Aber als Stephan Weil mich fragte, ob ich mir vorstellen könnte, das Innenministerium zu übernehmen, habe ich gar nicht lange überlegt. Einer der Gründe war, dass es natürlich etwas Besonderes ist, als erste Frau in der Geschichte Niedersachsens dieses wichtige Haus führen zu dürfen. Ein Haus, das bei den Themen Polizei, Verfassungsschutz, Brand- und Katastrophenschutz etwa – traditionell von Männern geprägt wird. Eine Frau an der Spitze ist ja immer auch so etwas wie eine Erinnerung: Wir müssen an Männer und an Frauen denken! Auch bei der Besetzung von Führungspositionen in der Polizei habe ich mich zuletzt immer für ein Führungsduo aus Frauen und Männern entschieden. Das ist für mich ein ganz wichtiges Signal in die Polizei.

Ein konkretes Problem in Sachen Polizei ist die individualisierte Kennzeichnung der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten. Rot-Grün hat das in Niedersachsen in den Koalitionsvertrag geschrieben, die Gewerkschaft der Polizei ist aber vehement dagegen. Ziehen Sie das trotzdem durch?

Das ist im Koalitionsvertrag verankert. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass wir in Niedersachsen bisher keinen einzigen Fall hatten, bei dem eine einzelne Polizistin oder ein einzelner Polizist nach einem Einsatz nicht hätte ermittelt werden können. Das heißt: Ein besonders dringliches Thema ist das nicht. Und ich nehme durchaus wahr, dass viele in der Polizei diese Maßnahme als Ausdruck von Misstrauen verstehen. Vor diesem Hintergrund möchte ich diesen Schritt zunächst auch mit den betroffenen Polizistinnen und Polizisten gründlich und sorgfältig debattieren.

Dürfen wir das so verstehen, dass Sie von diesem Vorhaben – wenn auch vorsichtig – abrücken?

Nein, so möchte ich nicht verstanden werden. Wir haben einen Koalitionsvertrag, der umgesetzt wird. Er gilt aber für fünf Jahre und nicht nur für fünf Monate. Die Niedersächsische Polizei ist rechts- und verfassungstreu und eine absolute Bank im Kampf gegen die Feinde unserer Demokratie. Ich will nicht, dass diejenigen, die jeden Tag auf der Straße ihre Arbeit für unsere Sicherheit tun, das Gefühl haben, die Gesellschaft oder wir als politische Führung würden ihnen misstrauen. Deshalb brauchen wir noch Zeit für eine gründliche Kommunikation und Debatte zu diesem Thema.

Die empfindlichen Reaktionen aus der Polizei haben sicher nicht nur mit der Kennzeichnung selbst zu tun, sondern auch mit der Wertschätzung im Sinne von Bezahlung und Image. Die Bewerber-Zahlen sind rückläufig, statt 6000 pro Jahr waren es in Niedersachsen zuletzt 4300. Wie kann dieser Beruf attraktiver werden?

Zunächst zum Geld: Das ist natürlich immer von Bedeutung. Doch die Bezahlung von Polizeikräften ist durchaus ordentlich. Die Regierungsfraktionen haben vor kurzem eine Erhöhung der Polizeizulage von 127 auf 180 Euro ab dem 1. Juli beschlossen, damit sind wir im Bundesländervergleich Spitze. Neben der Bezahlung geht es auch um die Rahmenbedingungen der polizeilichen Arbeit, etwa um die Frage nach dem Zustand der Liegenschaften, dem Arbeitsumfeld. Da haben wir einen enormen Investitionsbedarf, das stimmt. Nicht zuletzt aber müssen wir mehr werben für diesen spannenden Beruf, für diesen tollen Job, in dem es so viele interessante Einsatzmöglichkeiten gibt. Wir sind in diesem Sinne zum Beispiel in Schulen unterwegs, wir stellen uns offen auf.

Finden Sie, dass es wichtig ist, mehr Menschen mit Migrationshintergrund in der Polizei zu haben?

Unbedingt. Ich war neulich bei der Verabschiedung von zweihundert Absolventinnen und Absolventen der Polizeiakademie. Das waren zum einen fast zur Hälfte Frauen, zum anderen war die Gruppe sehr bunt, wenn ich das so sagen darf. Da verändert sich etwas und zwar zum Guten, wie ich finde. Das ist auch mit Zahlen zu belegen: Rund 16 Prozent der im Jahr 2022 eingestellten Polizistinnen und Polizisten haben einen Migrationshintergrund. Der Anteil wächst stetig.

Seit Jahren steigt die Anzahl der gewalttätigen Übergriffe auf Polizistinnen und Polizisten, aber auch auf Feuerwehrleute und zum Teil sogar das Sanitätspersonal…

Das ist ein großes Problem, nicht nur zu Silvester und keineswegs nur in migrantisch geprägten Vierteln, wie manche Leute denken. Was Polizistinnen und Polizisten über die Gewaltbereitschaft einiger junger Männer berichten, ist erschreckend. Ich bin der Meinung: Wir müssen das Problem sorgfältig dokumentieren, wir müssen darüber sprechen und wir müssen schauen, dass wir Täter schneller bestrafen – ein Thema, über das ich auch mit der Justizministerin im Gespräch bin. Um die Gründe für diese Aggressionen wird es in diesem Jahr auch in der Dunkelfeldstudie des Landeskriminalamts gehen.

Haben Sie persönlich Vermutungen, was diese Gründe angeht?

Die Ergebnisse der Studie sind im Herbst zu erwarten, denen kann und will ich nicht vorgreifen. Was ich persönlich wahrnehme, ist grundsätzlich eine gewisse Unruhe in der Gesellschaft. Die Arbeitswelt verändert sich, die Industrie muss sich wandeln. Megathemen wie die Pandemie, die Digitalisierung, der russische Angriffskrieg und die Energiekrise laufen parallel und verunsichern viele Menschen. Vor diesem Hintergrund sind sicher viele der Probleme zu betrachten.

Eine andere Art von Radikalisierung ist gemeint, wenn das Stichwort „Reichsbürger“ fällt. Zu dem niedersächsischen Teil des Skandals, der die Republik vor Monaten erschüttert hat, spielte ein mittlerweile ehemaliger Polizist in Hannover eine Rolle. Für wie groß halten Sie solche Gefahren von Rechtsaußen?

Wir haben diese Melange nicht zuletzt bei den Corona-Demonstrationen kennen gelernt. Neonazis, Querdenker, Corona-Leugner…Hinzu kommen seit geraumer Zeit die Russland-Anhänger. Was die reinen Zahlen angeht, ist das Phänomen noch überschaubar. Es gibt in Niedersachsen etwa dreihundert „Reichsbürger und Selbstverwalter“ im engeren und ungefähr neunhundert im weiteren Sinne. Wir sind bei dem Thema ungeachtet dieser Zahlen sehr aufmerksam, die Sicherheitsbehörden schauen sehr genau hin. Und wenn von über zwanzigtausend Polizistinnen und Polizisten in Niedersachsen der eine oder andere in diese Richtung tendiert, dann ist entscheidend, dass darauf reagiert, dass diese Person aus dem Dienst entfernt wird. Das ist im in zwei Fällen bereits geschehen, auch wenn es sehr viel Aufwand bedeutet. Denn grundsätzlich gilt: Reichsbürger, Selbstverwalter und Neonazis haben im Staatsdienst nichts verloren! Daher begrüße ich auch die Initiative der Bundesinnenministerin, Disziplinarverfahren an dieser Stelle zu beschleunigen und strebe das auch für Niedersachsen an.

In einem so verregneten April mag es zunächst merkwürdig wirken: Aber auch über die Waldbrandgefahr möchten wir mit Ihnen sprechen. Im vergangenen September waren viele Menschen irritiert, dass italienische Flugzeuge sich um die Löschung des Großfeuers im Harz kümmern mussten. Wie ist der Stand bei der Lösung des Problems?

Wir wollen uns grundsätzlich besser aufstellen. Mein Vorgänger hat vor zwei Jahren das Landesamt für Brand- und Katastrophenschutz gegründet. Das war ein wichtiger Schritt, insbesondere was die Aus- und Fortbildung angeht. Ich habe vor, das NLBK noch weiterzuentwickeln. Aber auch die Technik muss besser werden, der Fuhrpark, die Löschfahrzeuge. Wir wollen zukünftig mehr Fahrzeuge als bisher zentral durch das Land beschaffen und dann den Kommunen zur Verfügung stellen.

Und das spezielle Thema Flugzeuge?

Wir sind dabei, für diese Waldbrandsaison zwei Löschflugzeuge mit einer Löschwassermenge von mindestens 3.000 Litern in Auftrag zu geben. Es geht um moderne, leistungsfähige Maschinen, die sowohl für den Harz als auch für Vegetationsbrände in Moorregionen geeignet sind. Fest steht: Sie werden am Flughafen Braunschweig/Wolfsburg stationiert sein, das habe ich jetzt entschieden. Die Flugzeuge werden ab Mitte Juni einsatzbereit sein, mit Blick auf den kommenden Sommer ist das eine gute Nachricht. Wir werden dieses Projekt gemeinsam mit der EU umsetzen. Das wird eine wichtige Zusammenarbeit, weil wir als großes und bedeutendes Bundesland mit viel Wald gemeinsam mit der EU eine Lösung finden, von der je nach Dringlichkeit zu verschiedener Zeit verschiedene Partner profitieren.

Wir freuen uns sehr über die Signale, dass die EU 75 Prozent der Nettosumme der geplanten Gesamtkosten in Höhe von 2,4 Millionen Euro übernehmen wird – die restlichen 25 Prozent und die Mehrwertsteuer werden das Land und der Bund tragen. Es ist ja grundsätzlich klar, dass wir im Zuge des Klimawandels das Thema der Waldbrände wesentlich ernster nehmen müssen, als das vor einigen Jahren noch der Fall war. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen - und das tun wir.

Eine persönliche Frage noch: Fänden Sie es grundsätzlich gut, wenn Niedersachsen zum ersten Mal von einer Frau regiert würde, vielleicht ja schon nach der nächsten Landtagswahl?

Darüber mache ich mir gar keine Gedanken.

Apropos Landtagswahl: Bekanntlich wird die vorige Wahl angefochten. Vor allem der FDP-Politiker Marco Genthe sagt, er gehe davon aus, dass die AfD mit irregulär erstellten Listen angetreten ist, was vielleicht auch der Staatsgerichtshof so sehen könnte. Fürchten Sie diese Entwicklung?

Der Wahlprüfungsausschuss des Landtags schaut sich das an. Natürlich werden alle Einsprüche gegen die Wahl genau überprüft. Als Ministerin dieser Landesregierung steht mir hier keine Beurteilung zu.

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