Berlin. Der Staat muss immer mehr Bürgergeld für Miet- und Heizkosten ausgeben. Schuld daran ist ein Desaster, das sehr lange übersehen wurde.

Ein Lagerarbeiter ist ohne Job. Arbeitslosengeld erhält er nicht. Um seinen Lebensunterhalt in Berlin zu bestreiten, hat der Mann jedoch Anspruch auf Bürgergeld. Inklusive seiner Kosten für Wohnen und Heizen in Höhe von 580 Euro erhält er insgesamt 1082 Euro Bürgergeld.

Eine Verkäuferin verdient monatlich 1400 Euro brutto. Ihr bleiben davon 1091 Euro netto übrig. Angesichts des geringen Lohns hat auch sie Anspruch auf Bürgergeld. Bei einer Miete von 580 Euro steht ihr in Berlin ein Zuschuss von 348 Euro Bürgergeld zu, mit dem das Jobcenter die Frau bei den Kosten fürs Wohnen unterstützt. Beide Personen bekommen die Beiträge aus der Staatskasse über ihr örtliches Jobcenter überwiesen.

5,7 Millionen Menschen bekommen Zuschüsse

Erstmals werden die Jobcenter in diesem Jahr mehr als 20 Milliarden Euro an Arbeitslose und so genannte Aufstocker für deren Unterkunft überweisen. Dies hat eine Berechnung des Pestel-Instituts im Auftrag der Industriegewerkschaft Bau (IG Bau) ergeben, die dieser Redaktion vorliegt. 2022 waren es noch 18,2 Milliarden Euro.

Im Schnitt wurden von Januar bis Mai monatlich 1,69 Milliarden Euro für Unterkunftskosten ausbezahlt, um Empfänger von Bürgergeld bei der Kaltmiete sowie den Heiz- und Nebenkosten zu unterstützen. Das sind monatlich knapp 250 Millionen Euro mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres, was einem Anstieg um 17 Prozent entspricht. Insgesamt erhielten Anfang des Jahres laut Bundesagentur für Arbeit 5,7 Millionen Menschen diese Zuschüsse.

Jobcenter: Gestiegene Mieten belasten die Steuerzahler

„Eine Viertelmilliarde Euro pro Monat mehr als noch vor einem Jahr – das ist Geld, das Bund und Kommunen über die Jobcenter für die Kosten der Unterkunft vor allem deswegen zusätzlich ausgeben müssen, weil die Mieten rasant nach oben gegangen sind“, stellt der Bundesvorsitzende der IG BAU, Robert Feiger, fest.

Bezahlbares Wohnen ist Mangelware: Explodierende Mietpreise kosten den Staat Milliarden.
Bezahlbares Wohnen ist Mangelware: Explodierende Mietpreise kosten den Staat Milliarden. © IMAGO/Sylvio Dittrich | imago stock

„Die gestiegenen Mietpreise sind eine enorme Mehrbelastung für den Steuerzahler. Der Staat zahlt die Mieten-Explosion kräftig mit. Allein mit den 20 Milliarden Euro, die die Jobcenter in diesem Jahr sehr sicher für die Kosten der Unterkunft ausgeben werden, ließe sich der Neubau von 180.000 Sozialwohnungen fördern“, so Feiger.

Bei den Kosten der Unterkunft, die der Staat übernimmt, handelt es sich um Mieten für Wohnungen mit einfachem Standard. Die Kaltmiete für diese Wohnungen lag 2015 im Bundesdurchschnitt noch bei 5,43 Euro pro Quadratmeter. In diesem Jahr betrug sie schon 7,75 Euro (Mai 2023) – und damit 43 Prozent mehr als vor acht Jahren, so das Pestel-Institut.

Die Bau-Gewerkschaft sieht als Ursache für diese Entwicklung einen über Jahrzehnte falsch gelaufene Wohnungsbaupolitik. „Es fehlen mehrere Millionen bezahlbare Wohnungen.“ Die Zahl der Sozialwohnungen geht seit Jahrzehnten zurück. Bund und Länder hätten hier versagt. Zugleich zwinge die Notlage den Staat dazu, „bei den Sozialausgaben immer tiefer in die Tasche zu greifen“.

Teures Wohnen: IG Bau fordert mehr Sozialwohnungen

Bürgergeld soll erwerbsfähigen Hilfebedürftigen ein menschenwürdiges Existenzminimum sichern, die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen decken können. Die Höhe des Regelsatzes richtet sich nach Alter und Lebenssituation. Nicht nur Arbeitslose, sondern auch Menschen mit einem Job sind häufig auf Hilfen angewiesen – im Mai waren es 781.412 Arbeitnehmer.

Um die Mietenexplosion zu stoppen, fordert die Bau-Gewerkschaft Bund und Länder auf, den bezahlbaren und sozialen Wohnungsbau vorrangig auszubauen. Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiteten, brauchten eine Sozialwohnung. Dasselbe gelte für Kriegsflüchtlinge und Asylsuchende. „Es gab im ersten Halbjahr dieses Jahres eine Nettozuwanderung von 347.000 Menschen. Der Bedarf an Sozialwohnungen steigt Tag für Tag“, mahnt Feiger.

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Gleichzeitig steckt der Wohnungsbau in der Krise. Durch die Inflation und steigende Zinsen werden immer mehr Bauprojekte an den Nagel gehängt. Allein im ersten Halbjahr ging die Zahl der Baugenehmigungen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 27 Prozent zurück. „Bund und Länder müssen deshalb jetzt in den Krisenmodus schalten: Ein ‚Milliarden-Booster‘ für das bezahlbare und soziale Wohnen ist dringend notwendig“, fordert Feiger.

Wohnen: Regierung wird Wohnungsbauziel verfehlen

Aus Sicht der Gewerkschaft müsse der Staat seine Fördergelder für den Wohnungsbau bis 2025 massiv aufstocken: „Allein für den sozialen Wohnungsbau sind 50 Milliarden Euro bis zum Ende dieser Legislaturperiode notwendig – als Sondervermögen. Nur so kann es gelingen, die 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr zu bauen, die sich die Ampel-Koalition vorgenommen hat“, mahnt der Gewerkschaftschef.

Insbesondere kommunale, genossenschaftliche und kirchliche Wohnungsunternehmen bräuchten Zuschüsse, um bezahlbare Wohnungen und Sozialwohnungen zu bauen. Denn diese könnten auch die beim Wohnungsgipfel in Aussicht gestellten steuerlichen Abschreibungen nicht nutzen.

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Die Regierung hatte sich zum Ziel gesetzt, dass jährlich 400.000 neue Wohnungen gebaut werden, davon 100.000 Sozialwohnungen. Doch diese Agenda wird sie nicht erreichen. Beim Baugipfel hat sie den Ländern vorgeschlagen, bis 2027 insgesamt 18,15 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen. Für jeden Euro des Bundes müssten die Länder 1,50 Euro dazugeben, wodurch theoretisch 45 Milliarden Euro zur Verfügung stehen würden. Ob dies jedoch erfolgt, ist ungewiss.