Berlin. Kaum ein Politiker ist so erratisch wie Bayerns CSU-Ministerpräsident Söder. Seinen Vorstoß zur Atomkraft kann man nicht erst nehmen.

Der Freistaat Bayern ist ein bemerkenswertes Bundesland. Er ist gesegnet mit Bergen, Seen, wunderbaren Städten und tüchtigen Menschen. Und er hat einen Ministerpräsidenten, bei dem die Grenzen zwischen seriöser Regierungsarbeit und politischem Hokuspokus regelmäßig verschwimmen.

Gerade wendet Markus Söder (CSU) viel Energie dafür auf, die Debatte über den Atomausstieg am Kochen zu halten. Seit Samstag sind auch die drei letzten verbliebenen Meiler in Deutschland definitiv abgeschaltet, darunter das Atomkraftwerk Isar 2 in der Nähe von Landshut.

Söder wettert seit Monaten gegen den Ausstieg. Am Wochenende brachte er einen Weiterbetrieb von Isar 2 unter Regie des Freistaats ins Gespräch. Am Montag legte er nach und warf der Berliner Ampelkoalition vor, die Energieversorgung Süddeutschlands nicht ernst zu nehmen. Der Atomausstieg sei „ein sturer Beschluss gegen die Mehrheit der Bevölkerung“.

Atomkraft: Stromerzeugung ohne Treibhausgase

Thorsten Knuf, Politik-Korrespondent Foto: Reto Klar
Thorsten Knuf, Politik-Korrespondent Foto: Reto Klar © Reto Klar | Reto Klar

Nun kann man über den Abschied von der Atomkraft durchaus unterschiedlicher Meinung sein. Es gibt gute Argumente für diese Art der Stromerzeugung. Das beste ist der Umstand, dass bei der Produktion von Atomstrom keine Treibhausgase anfallen. Gegen die Atomkraft sprechen ihre Sicherheitsrisiken, die ungelöste Endlagerfrage und Erzeugungskosten, die bei neuen Meilern um ein Vielfaches höher liegen als bei modernen Windkraft- oder Solaranlagen.

Am Wochenende feierte die Anti-Atom-Bewegung den Ausstieg aus der Nuklear-Technologie wie den endgültigen Sieg des Guten über das Böse. Diese Sichtweise erscheint unterkomplex. Denn Deutschland zahlt einen hohen Preis dafür, dass es jetzt aus der Atomkraft aussteigt: Es wird noch auf Jahre vom Klimakiller Kohle abhängig sein.

Atomkraft: Söder verfolgt keine klare Linie

Das Problem bei Söder ist also nicht, dass er sich für einen Weiterbetrieb von Atommeilern einsetzt. Das Problem ist, dass man nie weiß, woran man bei ihm ist. Er verfolgt keine klare Linie, greift je nach Opportunität Stimmungen auf. So war es in der Corona-Pandemie und so ist es jetzt in der Energiepolitik. Die Not ist groß, im Oktober wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt. Liefert Söder kein fulminantes Ergebnis, droht ihm das Ende seiner Karriere und der CSU die bundespolitische Bedeutungslosigkeit.

Man muss schon etwas ausholen, um die zahlreichen Volten zu beschreiben, die Söder im Laufe der Zeit in der Energiepolitik hingelegt hat: Der Atomausstieg, der gerade vollzogen wurde, geht auf ein schwarz-gelbes Gesetz zurück. Union und FDP hatten 2010 erst den rot-grünen Atomkonsens aufgekündigt, 2011 dann aber unter dem Eindruck der Reaktorkatastrophe von Fukushima den Ausstieg mit der Brechstange durchgesetzt. Söder, der damals Umweltminister in Bayern war, drohte intern sogar mit Rücktritt, falls sich die CSU nicht auf ein frühes Ausstiegsdatum festlege.

Bayern: Der große Bremser bei der Energiewende

Später bremste Bayern dann systematisch die Energiewende aus. Für die Endlagerung von Atommüll fühlt sich der Freistaat nicht zuständig. Noch im November 2021 verteidigte der Ministerpräsident im Gespräch mit unserer Redaktion den Atomausstieg: Dieser beruhe „auf einer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz“. Jetzt will Söder am liebsten selbst einen Atommeiler betreiben – wobei er bislang nicht erklärt hat, warum er diese Idee erst jetzt vorbringt. Notwendig wäre nicht nur eine Änderung des Atomgesetzes, sondern auch des Grundgesetzes. Beides wird es nicht geben.

Ginge es Söder wirklich um die Sache, hätte sein Vorstoß im vergangenen Herbst erfolgen müssen, als die Berliner Koalition über eine Verlängerung der Akw-Laufzeiten stritt. Aber um die Sache geht es hier augenscheinlich nicht. Sondern nur darum, vor einer Landtagswahl möglichst viel Wind zu machen.