Washington. Ein US-Militärangehöriger, der mit Herrschaftswissen prahlen wollte, soll Pentagon-Papiere verraten haben. Jetzt nahm das FBI ihn fest.

Seine gut 25 jugendlichen Anhänger in einer abgeschirmten Ecke der Videospiel-Online-Plattform "Discord” nannten ihn ehrfürchtig "OG”. Das steht für "Original Gangster”. Was anerkennend so viel wie Teufelskerl oder Kupferstecher alter Schule bedeutet.

Dieser "OG”, dahinter verbirgt sich ein erst 21 jahre altes Mitglied der zum Militär gehörenden Nationalgarde im Bundesstaat Massachusetts, ist nach Recherchen von "Washington Post" und "New York Times" für das größte US-Geheimdienstleck der vergangenen Jahre verantwortlich. Es bringt seit Tagen Hauptstädte und Regierungen weltweit in Wallung.

Nach fieberhaften Ermittlungen wurde Jack Teixeira am Donnerstagnachmittag von den Sicherheitsbehörden in kruder Hose und T-Shirt in seinem Haus in North Dighton festgenommen. Das bestätigte Justizminister Merrick Garland.

US-Justizminister Merrick Garland verkündete die Festnahme eines Militärangehörigen, der für die Veröffentlichung von Geheimdienstpapieren verantwortlich sein soll.
US-Justizminister Merrick Garland verkündete die Festnahme eines Militärangehörigen, der für die Veröffentlichung von Geheimdienstpapieren verantwortlich sein soll. © dpa

Biden ist besorgt über Datenleak

Die Festnahme hatte sich im Laufe des Tages abgezeichnet. US-Präsident Joe Biden sagte am Rande eines Besuches in Irland, derzeit laufe eine "umfassende Untersuchung“. Sie stehe kurz vor einem Abschluss.

Biden zeigte sich alarmiert über die Veröffentlichung zahlreicher Geheimdokumente vor allem zum Ukraine-Krieg. "Ich bin besorgt, dass es passiert ist“, sagte Biden.

Verdächtiger arbeitete beim Militär

Teixeira gehört als technischer Zuarbeiter dem geheimdienstlichen Arm der für den Luftraum über Neu-England zuständigen Nationalgarde an. Nach Angaben seiner Mutter war er zuletzt auf einer Militärbasis auf Cape Cod stationiert. Teixeira erwarten wegen "unbefugter Entfernung, Aufbewahrung und Übermittlung von Verschlusssachen” möglicherweise langjährige Haftstrafen.

Die "Washington Post” hatte – nach Einholung der mütterlichen Genehmigung – zuvor stundenlang mit einem minderjährigen Mitglied der Chatgruppe geredet, die von Teixeira offenbar über Monate aus Effekthascherei mit Dutzenden hochsensiblen Dokumenten versorgt worden war. Wie er an die Papiere kam, die höchsten Sicherheitschecks unterliegen, ist noch ein Rätsel. Sie sollen nach Angaben eines Mitglieds der Gruppe durch eine Art Unfall ins "world wide web” gelangt sein.

USA: „OG“ wird als Waffen-Narr beschrieben

Danach hatte "OG” schon im vergangenen Jahr während der Corona-Pandemie damit begonnen, Dokumente zu verbreiten, die er in einer gesicherten Militär-Einrichtung, in der Handy-Verbot geherrscht habe, einsehen konnte. "OG" wird als Waffen-Narr beschrieben.

Die Schlüsselfigur des Skandals wird beinahe als heldenhafte Action-Film-Figur a la Jason Bourne geschildert. "Er ist fit. Er ist stark. Er ist bewaffnet. Er ist trainiert. So ziemlich alles, was man in einem verrückten Film erwarten würde”, sagte die jugendliche Quelle in bewunderndem Ton der "Washington Post”.

Ein Video, das den "Leaker” (Durchstecher) nach Ausstoßen rassistischer und antisemitischer Tiraden beim Abfeuern einer großkalibrigen Waffe zeigt, soll diesen Eindruck untermauern.

Über die Motivation der Durchstechereien, die die US-Regierung wie weiland bei Edward Snowden massiv in Verlegenheit und Misskredit bei Verbündeten bringen, liefert der anonym gehaltene Zeuge eine überraschend trivial klingende Erklärung, die erst noch erhärtet werden muss: "OG" sei kein "whistleblower”, der wie Snowden vor zehn Jahren mit der Veröffentlichung von illegalen US-Abhör-Methoden Missstände aufdecken wollte. Auch die Vermutung, es könne sich um einen Agenten handeln, der für Russland und/oder die Ukraine arbeitet, sei abwegig. "OG" habe vielmehr nur mit seinem Herrschaftswissen die kleine Online-Familie beeindrucken wollen, die er um sich gescharrt habe. Bindeglied sei das Interesse an Waffen und Militärischem gewesen.

Das Verteidigungsministerium in Washington.
Das Verteidigungsministerium in Washington. © Reuters | JOSHUA ROBERTS

Wo "OG" politisch steht, bleibt offen. Der Informant schildert ihn als latenten Kritiker der US-Regierung, der Strafverfolgungsbehörden und der Geheimdienste, deren Ziel es sei, die Bürger der Vereinigten Staaten zu unterdrücken. Warum Teixeira gesondert wenige Wochen alte Geheim-Berichte über das Kriegsgeschehen in der Ukraine zirkulieren ließ, die zu großen Verstimmungen zwischen Washington und Kiew geführt haben, ist bisher unklar.

Erst abgetippt, später abfotografiert, weil es zu mühsam war

Als die Hauptfigur dem Abtippen der nur in einer besonders gesicherten Militäreinrichtung einsehbaren Informationen überdrüssig wurde, begann er nach Schilderung des Zeugen mit dem simplen Abfotografieren. Er stellte so immer mehr Dokumente seiner Chatgruppe zur Verfügung. Über 300 Aufnahmen soll es geben.

Das Zirkulieren brisantester Papiere aus den höchsten sicherheitspolitischen Kreisen mehrerer Länder in einem eng abgeschotteten virtuellen Raum hätte noch wochenlang unbehelligt weitergehen können. Wenn nicht ein Mitglied Dokumente auf einem anderen Discord-Server platziert hätte, der mit einem YouTube-Aktivisten namens "wow_mao” verbunden gewesen sei. Plötzlich hatten Tausende Discord-Nutzer Zugriff auf die brisanten Unterlagen.

"OG" habe Mitte März die Verbreitung neuer Infos gestoppt. Anfang April dann tauchten die ersten Papiere, den russischen Krieg in der Ukraine betreffend, auf russischen Telegram-Kanälen und der von Verschwörern und anderen Extremisten genutzten 4chan-Plattform auf. Lesen Sie hier:Verrat leichter gemacht? Gesetz schützt die „Whistleblower“

Unrechtsbewusstsein entwickelte der Informant der "Washington Post” offenbar nicht. Die Öffentlichkeit habe ein Recht darauf, zu erfahren, wie die US-Regierung verbündete wie verfeindete Länder ausspähe, sagte er.

Aufruhr in der Militär- und Geheimdienstszene

Vorwürfe machte der unter 18-Jährige lediglich dem Teenager, der die Vertraulichkeit der geschlossenen Chat-Gruppe brach und Dokumente der breiten Internetgemeinde zur Verfügung stellte. "Vielleicht hätten wir bessere Sicherheitsvorkehrungen treffen sollen.”

Die Schlüsselfigur sei komplett im Bilde über den durch ihn ausgelösten Aufruhr in der Militär- und Geheimdienste-Szene. "Er wirkte ziemlich durcheinander.” In seiner letzten Mitteilung an die Chat-Gruppe habe "OG" dringend darum gebeten, alle Informationen zu löschen, die auf ihn zurückgeführt werden könnten.

Ab sofort wird Teixeira in Vernehmungen durch das FBI mit einer Frage konfrontiert: Was hat dich nur geritten, Jack?

Kommentar:Datenleck-Skandal: Amerika blamiert sich mal wieder