Washington. Ein Datenleck-Skandal erschüttert die USA. Die Supermacht hat den Umgang mit Geheiminformationen nicht im Griff, meint unser Autor.

Nach den chaotischen, von regelmäßigen Enthüllungen aus dem Inneren des amerikanischen Regierungsapparats geprägten Amtsjahren Donald Trumps hatte Nachfolger Joe Biden mehr Professionalität und Verlässlichkeit versprochen. In jeder Hinsicht. Der jüngste Datenleck-Skandal setzt den Präsidenten in ein denkbar schiefes Licht. Auch wenn Motiv, Ausmaß und Urheberschaft der Veröffentlichung Dutzender Staatsgeheimnisse aus Militär- und Geheimdienstkreisen noch nicht zweifelsfrei geklärt sind, lässt sich schon jetzt ein vernichtendes Zwischen-Urteil fällen.

Die USA haben sehr viel Geld in die Sicherheit investiert

Nach Wikileaks, Edward Snowden (NSA) und Chelsea Manning (Irak) kann die Weltmacht, die seit dem Terror-Jahrhundertereignis vom 11. September 2001 Jahr für Jahr dreistellige Milliarden-Beträge in die innere und äußere Sicherheit investiert, immer noch nicht garantieren, dass Geheiminformationen geheim bleiben.

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Nicht nur das. Wenn sich bestätigt, dass ein einzelner geltungssüchtiger Jungspund im Sold des Militärs Zugang zu sensibelsten außenpolitischen und militärischen Dossiers über Russland, die Ukraine, Israel, Ägypten und Südkorea hatte und dies über Monate unentdeckt auf einer Videospiel-Plattform kursieren lassen konnte, muss man ernsthaft am Verstand der Verantwortlichen im Pentagon wie im Weißen Haus zweifeln.

Wer wie die USA über 800 Milliarden Dollar im Jahr für die Unversehrtheit der Nation ausgibt, muss nach leidvollen Erfahrungen in der Vergangenheit dafür sorgen, dass Internes intern bleibt. Alles andere ist fahrlässig. Die Entschuldigungstournee, die Verteidigungsminister Lloyd Austin, Außenminister Tony Blinken und mutmaßlich demnächst auch Joe Biden anzutreten haben, um Alliierte zu besänftigen und den noch nicht komplett zu erfassenden Schaden zu begrenzen, geht auf eine Mischung aus Hochmut und Gleichgültigkeit zurück.

Den USA ist die Sicherheits-Architektur über den Kopf gewachsen

Dirk Hautkapp, US-Korrespondent
Dirk Hautkapp, US-Korrespondent © Privat | Hamburger

Was Experten, die oft aus dem Apparat selbst kommen, seit langem monieren, hat sich wieder bewahrheitet. Den USA ist die beispiellos hoch gezüchtete Sicherheitsarchitektur, in dem gut drei Millionen Staatsdiener Zugang zu schutzwürdigen Informationen haben, über den Kopf gewachsen. Ein Mittel kann nur sein, die Zahl der Geheimnisträger drastisch zu verringern und den Zugang zu Dokumenten, die bei unsachgemäßer Veröffentlichung im digitalen Zeitalter im Handumdrehen globale Krisen auslösen können, massiv zu erschweren.

Dazu muss das System der Sicherheitsfreigabe (security clearance) dringend reformiert werden. Die Schleuse zur Einsicht in Staatsgeheimnisse muss verengt werden. Und zwar so, dass in Echtzeit durch technische Prozesse auffällt, wenn jemand – wie im aktuellen Fall offenbar über Wochen unerkannt geschehen – mit streng vertraulichen Informationen, die nur auf vom Internet isolierten Computern in speziell gesicherten Räumen eingesehen werden können, Missbrauch treibt.

Die Glaubwürdigkeit der USA hat gelitten

Der blinde Fleck, der sich durch das Treiben des unter dem Kürzel „OG/Original Gangster” tätig gewesenen Geheimnisverräters aufgetan hat, wird den Handlungsspielraum der USA bei den aktuellen Großkonflikten von Russland/Ukraine bis China/Taiwan voraussichtlich einschränken. Die Glaubwürdigkeit hat extrem gelitten. Innenpolitisch gibt die Biden-Regierung nach dem verkorksten Truppen-Abzug aus Afghanistan im Sommer 2021 den feindselig gestimmten Republikanern mit dem Mega-Leak ein weiteres Instrument an die Hand, um die USA als verwundbar und amateurhaft zu kritisieren. Alles so unnötig wie ein Kropf.