Washington. Im Netz kursieren geheime Dokumente zum Krieg. Sie könnten für Verstimmung zwischen Washington und Kiew sorgen. Wer steckt dahinter?

Über Ostern wurde der US-Regierung ein besonders ungenießbares Ei ins Nest gelegt. Nachdem im Internet sensible militärische und geheimdienstliche Dokumente vor allem über den Krieg Russlands in der Ukraine aufgetaucht sind, suchen Verteidigungsministerium und Justizministerium in Washington fieberhaft nach dem Ausgangspunkt des Datenlecks.

Die geheimen Dokumente, die weitgehend aus dem Februar und März dieses Jahres stammen, drehen sich unter anderem um Frontverläufe, den Stand der Munitionsversorgung, die Kopfzahl russischer und ukrainischer Truppenverbände sowie die Hilfslieferungen des Westens für eine ukrainische Frühjahrsoffensive – samt Lieferdaten für die im Detail aufgeführten Waffensysteme.

Das hat offenbar bereits Konsequenzen: Mychailo Podoljak, ein Berater des ukrainischen Präsidenten, sagte der Nachrichtenagentur Reuters, die Veröffentlichungen änderten zwar nichts an der Strategie der Ukraine, spezifische taktische Pläne stünden aber jederzeit unter Vorbehalt.

Medien: US-Akteure könnten hinter der Durchstecherei stecken

Wie US-Medien von „New York Times” bis „Wall Street Journal” übereinstimmend berichten, ist die präzise Urheberschaft der Papiere und das Motiv derer, die sie veröffentlicht haben, bisher nicht verlässlich ermittelt. Es spreche aber immer mehr dafür, dass US-Akteure hinter der Durchstecherei steckten, zitieren mehrere Zeitungen Regierungsoffizielle. Mit dem Zusatz: „Die Papiere sind weitgehend echt.”

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So sei das Format mancher Unterlagen identisch mit Berichten des Oberkommandos der US-Streitkräfte sowie des Auslandsgeheimdienstes CIA. Der frühere CIA-Ermittler Daniel Hoffman sagte dagegen, es sei „wahrscheinlich”, dass eine russische Desinformations-Kampagne die Ursache sei. Der Kreml wolle „Konfusion” zwischen Washington und Kiew sowie zwischen Washington und den westlichen Verbündeten im Kampf gegen Präsident Wladimir Putin stiften.

Bellingcat: Manche Dokumente wurden nachträglich manipuliert

Dagegen verweisen US-Sicherheitskreise darauf, dass die bisher rund 100 schrittweise seit März zum Teil über Mitteilungsdienste wie Telegram oder Computerspiel-Plattformen wie „Discord” in die Öffentlichkeit lancierten Dokumente zum Teil mit einem Zusatz versehen gewesen seien: „nur für amerikanische Augen”.

Ukrainische Soldaten fahren auf einem gepanzerter Mannschaftstransportwagen durch das schwer umkämpfte Bachmut im Osten der Ukraine. Im Netz kursierende geheime Dokumente haben nun Details der Kampfkraft der Ukrainer enthüllt.
Ukrainische Soldaten fahren auf einem gepanzerter Mannschaftstransportwagen durch das schwer umkämpfte Bachmut im Osten der Ukraine. Im Netz kursierende geheime Dokumente haben nun Details der Kampfkraft der Ukrainer enthüllt. © dpa | Libkos

Das journalistische Investigativ-Netzwerk Bellingcat hat herausgefunden, dass manche Dokumente nachträglich manipuliert wurden. So seien die Zahlen toter russischer und ukrainischer Soldaten in dem seit Februar 2022 geführten Krieg korrigiert worden.

Spionieren US-Geheimdienste auch im engsten Umfeld von Selenskyj?

Weil die Unterlagen suggerieren, dass die ukrainische Armee in schlechterer Verfassung sei, als Präsident Wolodymyr Selenskyj dies öffentlich zugebe, zeichnet sich eine Verstimmung zwischen beiden Regierungen ab. Einige Dokumente legen den Schluss nahe, dass US-Geheimdienste im engsten Umfeld von Selenskyj spionieren.

In einem anderen Dokument heißt es, dass die ukrainische Flugabwehr (System S-300) ab Anfang Mai kollabieren könne. Dies böte für Präsident Putin die Chance, den Verlauf des Krieges durch den gezielten Einsatz von Kampfflugzeugen zu seinen Gunsten zu ändern.

Da die Papiere auch Länder wie Israel und Südkorea betreffen, die offenbar von US-Geheimdiensten intensiv ausspioniert werden, befürchten Diplomaten in Washington eine „empfindliche Vertrauenskrise”. In einem Fall werden sensible Erörterungen der Regierung in Seoul genannt, die sich auf wachsenden Druck aus Washington einstellt, Waffen an die Ukraine zu liefern. Das asiatische Land will das aber nicht.

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