Berin. “How to Blow Up a Pipeline“ kommt am Donnerstag in die Kinos. Über den Aktivismus hinaus beleuchtet er eine erstaunliche Lebensweise.

Gleich vorneweg: Was der Titel verspricht, kann der Film nicht halten. Wenn sich Hobbybastler von „How to Blow Up a Pipeline“ eine Anleitung zum Bauen eines Böllers für das nächste Neujahrsfest erwarten, dann werden sie enttäuscht sein. Es tauchen zwar immer wieder Drähte, Fässer und Sprengstoffpulver auf, aber mit Bombentechnik hat der Film wenig am Hut.

Vielmehr wirft der Film ein Licht auf die Radikalität einer klimaaktivistischen Gruppe, die sich nicht mit Warnwesten und groß-trauernden Augen auf europäischen Straßen festklebt, sondern der hoffnungslosen Tristesse der texanischen Steppe ausgesetzt ist. Regisseur Daniel Goldhaber skizziert das Bild einer Gruppe kaputter Menschen, die sich aus den unterschiedlichsten Beweggründen dem einen Ziel verschreiben – eine Pipeline in die Luft zu jagen.

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How to Blow Up a Pipeline: Viele Motive für einen Anschag

Auf den ersten Blick scheint es für dieses Vorhaben nur ein Motiv zu geben: Die Angst vor den Auswirkungen des Klimawandels. Doch während Aktivisten hierzulande meist von Zukunftsängsten sprechen, sind sie für die Protagonisten des Films bereits Gegenwart – und Vergangenheit.

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Da ist Xochitl (Ariela Barer), die ihre Mutter durch einen Hitzetod verliert. Ohne gepresste Tränendrüse fährt diese sehr amerikanisch in einem Sarg automatisiert in die Erde. Shawn (Marcus Scribner) kommt dem Stereotyp hiesiger Klimaaktivisten wohl am nächsten. Der Student radikalisiert sich schrittweise, weil die Diskussionsgruppe seiner Uni auf der Stelle steht. Und Theo (Sasha Lane) hat wegen der Umweltverschmutzung Krebs im Endstadium.

Xochitl (Ariela Barer, rechts) und Theo (Sasha Lane) vor der texanischen Kulisse einer Ölraffinerie.
Xochitl (Ariela Barer, rechts) und Theo (Sasha Lane) vor der texanischen Kulisse einer Ölraffinerie. © fugu films

Dwayne (Jake Weary) scheint augenscheinlich gar nicht in das Gefüge der Klimageschassten zu passen. Wer einen Chevy-Pickup mit Doppelkabine fährt, eine Camouflage-Cape mit USA Flagge trägt und Mitarbeiter einer Ölraffinerie mit seiner Pumpgun in die Flucht jagt, der gehört eigentlich zum Kaliber der Trump-Anhänger, die im Bürostuhl von Nancy Pelosi im Kapitol posieren. Doch wenn ein Ölkonzern den Familienbesitz vereinnahmt, ist das wohl Grund für den idealtypischen Texaner, sich den Radikalen anzuschließen.

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Der Thriller basiert auf einem Sachbuch des Humanökologen Andreas Malm

Geschichten, die bewegen, und eine Ökoradikalisierung nachvollziehbar machen, nicht aber bagatellisiert. Der Thriller basiert auf dem gleichnamigen Sachbuch des schwedischen Humanökologen Andreas Malm. Es liest sich mitnichten als Anleitung zum Bombenbauen, wohl aber zum radikalisierten Klimaprotest. „Die Wissenschaft ist schließlich seit langer Zeit klar“, so Malm, und begründet damit die häufig genannte Notwendigkeit zum alternativlosen Handeln. Argumente, an denen sich die Klimabewegung gerne bedient, die aber im Aktionismus verweilen. Der fiktive Spielfilm kann mehr, bringt das Persönliche, das Leidenschaftliche – den Schmerz mit ein.

Der Film ist langsam inszeniert und startet schon in der ersten Szene mit einem tiefen Bass-Sound, der sich fast nahtlos bis ans Filmende fortsetzt. Er versetzt den Thriller gemeinsam mit den grau-tristen Szenen in eine Dystopie, die ihn abenteuerlich-aufregend macht. Lang, aber nicht langweilig, ist etwa die Kamera auf den zitternden Bombenbauer Michael (Forrest Goodluck) gerichtet, der schweißgebadet den Sprengstoff portioniert - explosives Ende inklusive.

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Viele Szenen ähneln dem Aktivismus auf deutschen Straßen

Andere Szenen wiederum wirken fast unverwechselbar wie realer Öko-Aktivismus auf deutschen Straßen. Wenn Xochitl zu Beginn des Films die Reifen eines SUVs zersticht, hinterlässt sie einen Zettel mit der Überschrift „Warum ich ihr Eigentum zerstöre.“ Keine Fiktion, kommt das doch auch auf den Straßen Berlins vor. Nur sind die hiesigen Aktivisten wesentlich netter und lassen meist nur die Luft aus dem Reifen.

Oder das Video von Xochitl, das sie als Begründung für den Anschlag mit den Worten „Das war gerechtfertigt. Das war ein Akt der Selbstverteidigung“ mit einer moralischen Weinerlichkeit in die Kamera spricht. Hier tun sich interessante Parallelen zu Carla Hinrichs Twitter-Botschaft über die Razzia bei der Letzten Generation auf.

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Und nicht zuletzt die Auseinandersetzung darüber, welcher Zweck die Mittel heiligt, ist hinlänglich bekannt: „Jedes mal, wenn jemand die Gegenwart herausfordert, nennen Sie es Terrorismus“, klingt doch eher wie eine Auseinandersetzung bei Markus Lanz über das Framing einer „Klima RAF.“

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Insgeheime Bewunderung für das Leben am Abgrund

Doch der Film kann mehr als nur das redundante Herunterbeten von Argumenten, warum Handeln notwendig ist. Nicht nur sind die Pipeline-Saboteure des Films deutlich radikaler als Klima-Kleber hierzulande. Sie zeigen sich auch als Charakterköpfe in einem irrational-anarchischen Leben, bei dem der Kampf für das Richtige nicht immer als Begründung für das eigene Handeln herhalten muss.

„How to Blow Up a Pipeline“ zeigt das dreckige Amerika, die texanische Steppe mit ihren löchrigen Bretterbuden, dessen sozialer Abstieg einen aus den bequemen deutschen Sofasesseln nur schaudern lässt. Die soziale Sprengkraft der Ausgestoßenen und die Radikalität der Bewegung wirkt weit entfernt – was sie hoffentlich auch bleibt. Doch der Film erzeugt eine heimliche Faszination dafür.

Michael (Forrest Goodluck) im Schnee.
Michael (Forrest Goodluck) im Schnee. © fugu films

Wenn Bombenbauer Michael mit einer blutigen Lippe, die er sich bei einer Prügelei mit einem amerikanischen „Eindringling“ geholt hat, mit klamm-nasser Hose im kalten Schnee sitzt und mit 12-Volt Klemmen die bunten Drähte seiner Bombe zusammenfieselt, wirkt die Szene wie ein Moloch. Er ist eigentlich alles andere als beneidenswert. Armselig könnte man sagen – doch der Film schafft eine gewissen Bewunderung für dieses Leben am Abgrund. Es sind diese anarchischen Züge, denen sich der Zuschauer auf eigenartige Weise verbunden fühlt.

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Ein intensives Leben in Anarchie

Gepaart ist der dreckig-anarchische Lebensentwurf mit Drogen, Schweiß, Blut, Verzweiflung und Freude. Volle Kanne Leben heißt es, alles oder nichts. Ein gebrochenes Bein? Wird von innen mit Alkohol betäubt. Ein Wasser bitte? Es gibt nur Bier. Ein Abendessen am Lagerfeuer? Fleisch, vegetarisch oder vegan – jeder wie er will. Bewaffnete Wächter, die nach Logan (Lukas Gage) suchen? Egal. Er wirft Freundin Rowan (Kristine Froseth) ein verschmitztes Lächeln zu und sprintet in die Steppe – wohl wissend, dass ihn gleich eine Pistolen-Kugel trifft.

Die dramatische Notwendigkeit, die die Klimabewegung vor sich herträgt, wird begleitet von einer faszinierenden, wenn auch nicht beneidenswerten Anarchie, die mit regelmäßigem Alkoholkonsum und „Fucks“ untermalt wird. Wer gänzlich fehlt ist die andere Seite. Außer einem kurzen Auftritt einer Polizistin bleiben die Argumente gegen das Pipeline-Sprengen außen vor. Niemand, außer die Gruppe selbst, muss überzeugt werden, wenn doch niemand da ist.

Und so bleibt von „How to Blow Up a Pipeline“ eine begeisternde Sozialstudie, die das harte Leben einer freiheitlichen Gesellschaft der texanischen Wüste auf subtile Art sehnsüchtig macht. Der Film schafft das, was er intoniert – nämlich die Nachvollziehbarkeit von Radikalisierung. Eigentlich eine erschreckende Erkenntnis – ist doch das Mittel zum Zweck dieser Gruppe immer noch die rohe Gewalt. Doch was der Film auf erstaunliche Art vermittelt, ist die Intensität des puren Lebens.

Der Film feierte bereits im September 2022 Premiere und ist seit Donnerstag, dem 8. Juni auch in den deutschen Kinos.