Braunschweig. Niedersachsens Fußball-Boss Schaffert findet klare Worte zur Eskalation. Er fürchtet Geisterspiele, fordert mehr Einsatz von den Clubs.

Niedersachsens Fußball-Boss Ralph-Uwe Schaffert nimmt kein Blatt vor den Mund. Der DFB-Vizepräsident hat erst vor wenigen Wochen scharf auf die Kritik am DFB von Borussia Dortmunds Berater und Europameister Matthias Sammer reagiert. „Er geht mir auf den Senkel“, sagte er.

Gewohnt meinungsstark äußerte sich Schaffert, der Präsident des Niedersächsischen Fußball-Verbandes (NFV), auf Anfrage unserer Zeitung auch zur zunehmenden Gewalt-Eskalation beim Fußball. „Das geht gar nicht, das ist ganz klar“, sagte er zu Zusammenstößen zwischen Fans und Polizei am vergangenen Wochenende.

28 Fans von Eintracht Braunschweig in Gewahrsam

Rohe Gewalt beim Spiel auf St. Pauli gegen Hannover 96, als mindestens 30 Menschen verletzt wurden. Unschöne Szenen auch beim Heimspiel von Eintracht Braunschweig gegen den VfL Osnabrück, als schon vor Spielbeginn 28 Eintracht-Fans in Gewahrsam genommen wurden, weil sie die Osnabrück-Fans unsanft empfingen und dabei auch Polizisten angriffen. Und im fernen Augsburg warfen Fans von Hoffenheim mit Böllern. Bei einem Wurf wurden 13 Menschen verletzt, darunter auch Kinder.

Ralph-Uwe Schaffert ist Präsident des Niedersächsischen  Fußballverbandes (NFV) und Vizepräsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB).
Ralph-Uwe Schaffert ist Präsident des Niedersächsischen Fußballverbandes (NFV) und Vizepräsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). © picture alliance/dpa | WERNER KAISER

Die wiederholten Drohungen von Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens, die Vereine künftig an den massiven Polizei-Einsätzen bei Hochrisikospielen finanziell zu beteiligen, findet Schaffert im Grunde richtig. Abschließend will er sich hierzu aber noch nicht äußern. Er schätze Behrens sehr, sagte der DFB-Vize. „Sie hat eine Affinität zum Sport, vor allem zum Fußball“, sagte er. Behrens ist Fan von Werder Bremen.

Schaffert will aber das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten. Die Deutsche Fußball Liga (DFL) klagt in Karlsruhe gegen die Stadt Bremen, das als bisher einziges Bundesland für Polizei-Einsätze den Vereinen Rechnungen ausstellt. Bisher hat die Stadt Bremen jeden Rechtsstreit mit der DFL in dieser Frage gewonnen.

DFB-Vize Schaffert: Mir macht die Gewaltspirale beim Fußball große Sorgen

„Wie Dominosteine“ würde nicht nur Niedersachsen, sondern viele andere Bundesländer fallen, wenn Bremen auch vor dem Bundesverfassungsgericht Recht behielte, so Schaffert. „Die Länder haben knappe Kassen“, sagte er. Vor dem Urteil wolle er aber keine Prognose abgeben.

„Mir macht die ständig steigende Gewaltspirale aber große Sorgen“, sagte Schaffert, der im August vom Exekutivkomitee der Europäischen Fußball-Union ins Komitee für Rechtsangelegenheiten der UEFA berufen wurde. Der Mann ist also vom Fach. Der Hildesheimer war viele Jahre lang Richter.

Schaffert sagte angesichts des Niedersachsen-Derbys vor gut einer Woche in Hannover: „Ich mag mir gar nicht ausrechnen, was im Rückspiel bei Eintracht Braunschweig passiert.“ In Hannover zündeten beide Fanlager immer und immer wieder Pyros und Böller, Eintracht-Fans warfen mit kompletten Sitzreihen, die sie vorher aus den Angeln gehoben hatten. Einige Einsatzkräfte wurden verletzt.

Hannover 96 und Eintracht Braunschweig zahlen jedes Mal hohe Strafen

Laut Schaffert haben „diese sogenannten Fans von Hannover 96 in der vergangenen Saison den Verein mit ihren Aktionen 650.000 Euro gekostet“. Alleine die Derbys gegen Eintracht Braunschweig würden die beiden Vereine jedes Mal einen sechsstelligen Betrag als Strafe kosten. Der DFB-Vize kritisierte: „Eine Minderheit versucht in den Stadien mehr und mehr, die Deutungshoheit zu gewinnen.“ (Hier geht es zum Kommentar zur Fan-Randale am Wochenende)

Was Schaffert aber auch kritisierte, sind die Vereine selbst. „Die Clubs sind macht- und lustlos gegenüber diesen Problemfans“, sagte er. Die Vereine zeigten zu wenig Engagement, sich mit diesen Anhängern anzulegen. Lediglich Hannover 96-Boss Martin Kind wolle durchgreifen, „aber es ist schwierig“, sagte Schaffert.

Der DFB-Vize war sechs Jahre lang im DFB-Kontrollausschuss, war in dieser Zeit auch mehrfach bei Spielen im Stadion von Eintracht Braunschweig, wie er sagte. „Die Polizisten sind die Ärmsten“, so Schaffert. Alleine beim Derby Eintracht gegen 96 waren mehr als 2000 Polizisten im Einsatz.

DFB-Vize Schaffert fürchtet einen Verlust der Stehplätze

Schaffert monierte die Selbstdarstellung einiger Fans. „Dass ein Spiel stattfindet, ist für sie gar nicht das große Thema. Hauptsache, sie können ihre Pyro-Show im Stadion durchziehen.“ Niedersachsens Fußball-Boss fürchtet bereits englische Verhältnisse, also Stadien ohne Stehplätze, damit es ruhiger wird. „Wenn sich die Gewaltsprirale weiter dreht, wird das kommen“, sagte er. Und: „Es ist auch nur eine Frage der Zeit, bis es zu Geisterspielen kommt oder Spiele aus Sicherheitsgründen gleich ganz abgesagt werden.“ Schaffert findet drei Worte für die zunehmende Misere in deutschen und niedersächsischen Stadien: „Das ist beschämend.“ Ein Patentrezept, um die Probleme zu lösen, gibt er zu, hat auch er nicht.

Indes erneuerte Ministerin Behrens gegenüber unserer Zeitung ihre Forderung an die Vereine, die Lage in den Griff zu bekommen. Sie kündigte an, Gespräche mit den Vereinen führen zu wollen und sagte: „Dabei erwarte ich von den Vereinen, dass sie deutlich mehr tun als bisher, um den Einsatz von Pyrotechnik zu bekämpfen und gegen gewaltbereite Anhänger vorzugehen. Die Polizei betreibt bereits einen unglaublich hohen personellen Aufwand, um an den Spieltagen für Sicherheit zu sorgen – und das in einer Lage, in der wir eine Vielzahl anderer sicherheitsrelevanter Themen im Blick behalten müssen.“

Eintracht Braunschweig und Hannover 96 verteidigen sich

Wolfram Benz, der Geschäftsführer von Eintracht Braunschweig, erklärte auf Anfrage, der Verein wolle das Gespräch wahrnehmen. Eine Beteiligung an den Kosten lehnt der Verein aber weiterhin ab. Benz sagte: „Genauso, wie wir generell von der Polizei die Einhaltung der Verhältnismäßigkeit der Mittel erwarten, verurteilen wir grundsätzlich die Ausübung von Gewalt gegenüber Polizisten auf das Schärfste!“

Auch Hannover 96 reagierte auf die Vorkommnisse beim Spiel in St. Pauli. In einer Erklärung hieß es: „Aus Sicht von Hannover 96 sollten die am Freitagabend entstandenen Bilder, die für alle Beteiligten unschön sind, nun als Anstoß betrachtet werden, um gemeinsame Lösungen für die Zukunft zu erarbeiten.“ Wie diese aussehen sollen, ließ der Verein offen.