Hannover/Braunschweig. Gut 2000 Polizisten waren bei der Partie 96 - Eintracht im Einsatz. Ministerin Behrens appelliert an die Vereine. Eine Derby-Reportage.

So zornig erlebt man Niedersachsens Innenministerin selten. Daniela Behrens (SPD) lässt ihren Gefühlen in der Halbzeitpause des Niedersachsen-Derbys zwischen Hannover 96 und Eintracht Braunschweig freien Lauf. Behrens ist selbst Fußballfan. Ihr Herz schlägt für Werder Bremen.

Die Ministerin weiß es also durchaus zu schätzen, wenn es beim Fußball richtig emotional wird. Aber das hier wird der SPD-Politikerin dann doch des Guten zu viel. Was sie so aufregt? Die vielen Böller und die Pyrotechnik, die immer wieder gezündet werden. Die Aggression. Auf beiden Seiten. Immer wieder kommt es zu Spielunterbrechungen. Immer wieder müssen die Spieler Böller vom Rasen räumen.

Die Partei fängt schon mit ein paar Minuten Verspätung an. Dicker Rauch wabert durchs Stadion. Behrens sagt in der Halbzeitpause gegenüber unserer Zeitung: „Die Aggression, die ich im Stadion wahrnehme, macht mich stinksauer.“

Ministerin Behrens appelliert an Eintracht Braunschweig und Hannover 96

„Wir haben über 2000 Kräfte hier heute im Einsatz“, sagt die Ministerin. Die hohe Zahl der Einsatzkräfte sei leider berechtigt. Behrens appelliert an die Vereine, auf ihre Fans einzuwirken. „Dieser hohe Polizeieinsatz ist sicherlich auf Dauer so nicht zu leisten, ohne dass wir uns mit den Vereinen über eine Kostenerstattung unterhalten müssen“, ergänzt sie. Die Polizisten, die rund um das Derby im Einsatz seien, hätten eigentlich andere, wichtigere Aufgaben zu erfüllen. (Hier unser Live-Ticker zum Nachlesen)

Aus halb Niedersachsen rücken die Einsatzkräfte an. Gemäß der Nummernschilder der Mannschaftswagen kommen die Beamten unter anderem aus Hildesheim, Göttingen, Northeim, Stadthagen, Nienburg, Stade, Rotenburg/Wümme oder Holzminden.

Es ist ja fast schon das übliche Bild bei so einem Derby: Berittene Polizisten sind im Einsatz, mehrere Wasserwerfer, die Beamten tragen zur Sicherheit Helme und Schlagstöcke bei sich. Über der Szenerie kreist ein Hubschrauber. Gewöhnungsbedürftig ist es aber immer noch.

Eintracht-Fans reißen Sitzschalen ab

Die Braunschweiger Fans reißen im Stadion Dutzende Sitzschalen ab. Kevin Müller, Sprecher der Bundespolizei, zeigt sich aber am frühen Abend „absolut zufrieden“. Das kann er auch. Die Bundespolizei ist für die An- und Abreise der Fans zuständig. Um die Bahnhöfe in Braunschweig und Hannover sowie entlang der Strecke zu sichern, sind alleine etwa 500 Bundespolizisten im Einsatz.

Der Hubschrauber kreist über dem Entlastungszug mit den härteren Fans. Alleine in diesem Zug, der gar nicht erst über den Hannoveraner Hauptbahnhof, sondern über den Bahnhof Fischerhof geleitet wird, fahren etwa 1500 Fans. Aus weiteren Zügen und S-Bahnen stoßen Eintracht-Fans hinzu. Nach 12 Uhr setzt sich dann ein Marsch von etwa 3000 Fans Richtung 96-Stadion in Bewegung.

Auch hier: alles ruhig. Die Fans wollen unbedingt ins Stadion. Viele sind misstrauisch, wollen ihre Namen nicht nennen. Einige nennen zumindest ihre Vornamen. Alex aus Peine sagt zu den vielen Polizisten: „Das ist zur Beruhigung.“ Sein Kumpel Justin - ebenfalls aus Peine - sagt: „Wir wollen hier aber keinen Ärger.“

Fans von Eintracht Braunschweig pinkeln auf die Bahngleise

Manchmal wird es sogar etwas komisch. Ein junger Eintracht-Fan fragt am proppenvollen Bahnhof Fischerhof einen Polizisten in voller Montur betont förmlich: „Wo kann ich meine Notdurft hier verrichten?“ Vor dem Fan stehen 3000 weitere, hinter ihm Dutzende von Polizisten. Der junge Fan grinst bei seiner Frage. Der Polizist antwortet trocken: „Das ist jetzt schlecht.“ Er grinst auch.

Oder der Fan, der mit seinen etwas längeren blonden Haaren eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Sänger Matthias Reim hat. Seine Kumpels ziehen ihn damit auf. Darauf sagt er: „Wisst ihr eigentlich, wie der jetzt aussieht? Der ist fast schon eine Mumie.“

Eine ältere und eine jüngere Frau werden von den vielen Eintracht-Fans überrascht. Sie wissen gar nicht, dass das Derby stattfindet und stehen ebenfalls auf dem Bahnsteig am Bahnhof Fischerhof. Als die Türen der Züge aufgehen, stellen sich kurzerhand immer wieder Eintracht-Fans aufgereiht an die Bahnsteigkante und pinkeln einfach auf die Gleise. Der jüngeren Frau ist das sichtlich ein Ärgernis. Sie will nach Springe weiterfahren und sagt: „Hier jetzt so zwischen all den Fans zu stehen - das nötigt mir schon Respekt ab.“

Vielerorts hängen nun Eintracht-Aufkleber in Hannover

Die etwas ältere Frau kommt aus Paderborn, wie sie sagt. Sie hat ihre Tochter besucht, die in Hannover studiert. „Ich bin schon überrascht“, sagt sie mit halb offenem Mund. Und als sie sieht und hört, wie viele Polizisten im Einsatz sind, fragt sie, ganz im Sinne von Ministerin Behrens: „Und wer zahlt das alles? Doch wohl nicht der Steuerzahler?“ Doch.

Die Eintracht-Fans kleben an jeden Mülleimer, an jede Laterne auf den Bahnhöfen und auf dem Weg zum Stadion Braunschweig-Aufkleber. Am liebsten direkt über 96-Aufkleber. Ein Polizist, der sich mit Ministerin Behrens und anderen Beamten in der Halbzeitpause über den Einsatz unterhält, bezeichnet das als „Kindergarten“. Dabei hat das doch einen gewissen Charme.

Das Konzept der Polizei, die strikt die beiden Fanlager trennt, geht auf. Es kommt den ganzen Tag über zu keinen Auseinandersetzungen der beiden rivalisierenden Fangruppen. Dennoch verzeichnet die Polizei einige wenige verletzte Personen, Sachbeschädigungen sowie Gefährdungen von Dritten durch das unerlaubte massive Abbrennen von Pyrotechnik durch beide Fanlager auf dem Weg zum und im Stadion.

Die Polizei Hannover will eine Ermittlungsgruppe einrichten

Einsatzkräfte werden mehrfach mit metallischen Gegenständen beworfen. In einem Fall kann ein Tatverdächtiger ermittelt und festgenommen werden. Zudem wird während des Spiels ein Kiosk von mehreren Personen „angegangen“, wie die Polizei Hannover per Mitteilung schreibt.

Hannovers Polizeivizepräsident Thorsten Massinger sieht die Geschehnisse ähnlich kritisch wie Ministerin Behrens. „Dieses Spiel ist für Fußballfans in der Region der Höhepunkt eines jeden Jahres“, sagt Massinger, der den Derbyeinsatz leitet. „Umso mehr enttäuscht mich das Verhalten der Risikopersonen am heutigen Tag“, betont er. Er kündigt an: „Wir tun alles Mögliche dafür, Straftaten aufzudecken und Ermittlungsverfahren so effektiv wie möglich zu führen.“ Es werde eine Ermittlungsgruppe in der Polizeiinspektion Hannover eingerichtet, um den Geschehnissen nachzugehen.

Das Derby wird die Polizei also noch eine Weile lang beschäftigen. Und vielleicht gibt es tatsächlich Konsequenzen für die Vereine und zukünftige Derbys. Dazu müsste Eintracht Braunschweig aber erst mal die Klasse halten.