Osterode. Von Göttingen/Harz bis Niedersachsen: Weder Kandidaten noch Ideen rissen vom Hocker – das hat auch strukturelle Gründe.

Was war das für ein schwacher Wahlkampf? Parteiübergreifend, in der Region, im ganzen Land. Ein amtierender SPD-Ministerpräsident, der schon vor der Wahl ankündigte, dass die mögliche nächste Legislaturperiode seine letzte werden würde. Das kennt man aus dem Sport, wo die Stars zum Karriereende noch eine Ehrenrunde drehen. Dabei geht es meistens um nichts mehr – kein gutes Motto für fünf Jahre Regierungspolitik in Krisenzeiten.

Auf Stephan Weils wohl prominentestem Wahlplakat stand „Keine Zeit für Sprüche“, während der Ministerpräsident tiefenentspannt auf Wartezimmermobiliar sitzt. Das Ziffernblatt seiner Uhr nach innen gedreht, alle Zeit der Welt. Der ehrlichere Claim wäre gewesen: Keine Lust, mir einen Spruch auszudenken.

Neue, alte Farbe bei der CDU

Die CDU hat es keineswegs besser gemacht. Ihr Spitzenkandidat Bernd Althusmann wäre schon lange und wiederholt abgesägt worden, wenn es doch nur eine Alternative gegeben hätte. Die vergangenen fünf Jahre in der großen Koalition hat aber keiner ihrer Ministerinnen und Minister genutzt, um sich ausreichend zu profilieren. Und aus der zweiten Reihe drängte sich bislang auch niemand so recht für höhere Ämter auf.

Dazu der neue, alte Farbton, mit dem die Christdemokraten ab März in den Wahlkampf zogen: „Wir waren bis 2016 mit unserer CI immer im blauen Farbraum und kehren jetzt wieder dorthin zurück. Blau ist die beliebteste Farbe und steht für Vertrauen, Stabilität und Verlässlichkeit“, hieß es dazu aus der Parteizentrale auf Nachfrage unserer Zeitung. „CI“ bedeutet Corporate Identity und beschreibt ungefähr das Selbstbild eines Unternehmens. Die letzte konservative Partei, die mit so einem ins Türkis abdriftenden Blau an den Start ging, war übrigens die Österreichische Volkspartei unter Sebastian Kurz, der sich bald als vertrauensunwürdiger Kanzler einer instabilen Regierung herausstellte.

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Andere fühlten sich von der neuen, alten Farbe eher an die AfD erinnert, was als Unklarheit stellvertretend auch ganz gut den Schlingerkurs der niedersächsischen CDU in diesem Wahlkampf beschreibt: So richtig schien sie nicht für sich herauszufinden, an welcher Konkurrenz sie sich nun reiben sollte und wo man besser für Koalitionsoptionen kuschelt.

Ihre Dilemmata: Als Regierungspartei konnte man den Partner SPD nur begrenzt kritisieren. Eine echte Koalitionsoption waren wegen der schwachen FDP eigentlich nur die Grünen, von denen man sich inhaltlich aber am ehesten abgrenzen möchte.

Chronischer Chaoshaufen AfD

Die niedersächsische AfD, ein chronischer Chaoshaufen, hat es trotz mehrerer Hinweise bis zum 9. Oktober nicht geschafft, ihr vollständiges Wahlprogramm auf ihrer Webseite zur Verfügung zu stellen. Im Wahlkampf verteilte die Partei rote Penis-Gummibärchen als Giveaways – der rote Pfeil aus dem Parteilogo funktionierte aus Gelatine einfach nicht. Und auf den Plakaten mit ihrem versammelten neuen Spitzenpersonal fehlten die Namen, damit auch ja niemand weiß, wer sich da zur Wahl stellt.

Damit in unsere Region: Da kommt der AfD-Kandidat für Göttingen und Harz aus Northeim und informiert sich nicht einmal über die grundlegenden Wesenszüge seines Wahlkreises.

Das war bei den Kandidaten der anderen Parteien zwar anders. Mehrere von ihnen hielten sich aber schon zu Beginn des Wahlkampfes hinter vorgehaltener Hand für aussichtslos. Fachlich überzeugend war in der Breite keiner von ihnen, niemand drängte sich mit Inhalten der Berichterstattung auf. Demokratischer Wettbewerb sieht anders aus. Aber woran liegt das?

Probleme der Parteien

Es ist leicht daher gesagt, der Region immer wieder ihr demografisches Problem zu attestieren und dann festzustellen, dass junges, frisches Personal fehlt. Klar: Abgesehen von SPD und CDU fehlt es den anderen Parteien an Breite in ihrer Basis, um auch in kleineren Ortschaften lautstarken Wahlkampf zu machen oder über Bestenauslese den stärksten Kandidaten oder die stärkste Kandidatin zu küren.

Das alles stimmt und greift trotzdem zu kurz. Denn das Problem setzt sich bis in die Parteispitzen fort: Wie eingangs beschrieben war die Niedersachsen-CDU schon länger unzufrieden mit ihrem Spitzenkandidaten Althusmann, fand aber keinen Ersatz, der mehr Erfolg versprochen hätte. Und auch in der SPD droht sich Weils Thron eher geradlinig zu vererben, als dass sich ein Kampf mehrerer aussichtsreicher Kandidatinnen oder Kandidaten abzeichnete.

Der Grund dafür ist lange bekannt: Vor allem die beiden größten Parteien verlieren an Bindungskraft. Als Hort der politischen Meinungsbildung büßen sie seit Jahren an Bedeutung ein. SPD und CDU verlieren in Niedersachsen (wie im ganzen Land) seit Jahren Mitglieder. So müssen auch die Spitzenämter aus immer weniger Personal rekrutiert werden.

Zwar gewinnen Grüne und FDP Mitglieder dazu, die kommen aber häufig aus den großen Städten. In den ländlich geprägten Regionen Niedersachsens und gerade auch am Harzrand macht sich das kaum bemerkbar, das zeigt sich schon am kleineren Wahlplakataufkommen dieser Parteien – irgendjemand muss die schließlich aufhängen. Zuletzt konnte der Wahlkampf insgesamt nicht gut mobilisieren – die Wahlbeteiligung nahm ab.