Göttingen. Das Deutsche Theater in Göttingen bringt den Moralisten „Fabian“ auf die Bühne.

Kinderbuchautor und Komiker – das sind die Etiketten, mit denen Erich Kästner gemeinhin beklebt wird. Aber er konnte auch ganz anders. Das beweist die Inszenierung seines „Fabian“ am Deutschen Theater in Göttingen. Doch die Premiere hinterlässt einen gemischten Eindruck.

Unruhige Zeiten im Berlin Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre. Die Freiheit der Weimarer Republik trifft auf die Weltwirtschaftskrise. An jeder Ecke lauert die Entlassung. Die aufstrebenden Nationalsozialisten liefern sich Straßenkämpfe mit den Kommunisten. In diesen Zeitenwechsel hinein veröffentlichte Erich Kästner 1931 seinen Roman „Fabian. Die Geschichte eines Moralisten“.

Zuvor hatte der Verleger ihm einige Zugeständnisse abgerungen, damit das Werk überhaupt erscheinen konnte. Den ursprünglichen Untertitel „Der Gang vor die Hunde“ bekam das Werk erst bei der Neuauflage 2013 zurück. Nicht nur inhaltlich, auch stilistisch war das Buch eine Herausforderung für die Zeitgenossen. Mit kurzen Szenen, harten Schnitten und schnellen Wechseln imitierte Kästner den Stil eines Films. Ruth Messing greift diese Elemente reichlich auf in ihrer Inszenierung am Deutschen Theater.

Michael Frei ist der Mann am Klavier und improvisiert über ein bekanntes Thema. Gregor Schleuning ist im Bühnenbild und gibt eine lakonische Einführung in die Situation. Anleihen an den Film noir werden deutlich. Der deutsche Expressionismus der 1920er Jahre ist einer seiner Eltern. Das Bühnenbild ist eine Herausforderung. Eine gekachelte Wand mit drei Nischen versperrt auf der Vorderbühne den Blick.

Ruth Messing reiht Bezug an Bezug, um so das Klima der Zeit zu verdeutlichen. Die ungewöhnliche Position noch vor dem ersten Prospekt engt den Raum ein, auch für die Zuschauer. Klaustrophobie kommt auf. Man kann dem Spiel nicht entgehen. Im Laufe des Abends entwickelt es sich mit seiner Dominanz zum Schauspielverhinderungsbühnenbild. Schleuning beginnt als Fabian einen Dialog mit dem unbekannten Musiker und schlägt seinen Rat aus. Dann betritt Marius Ahrendt als Stephan Labude die Bühne und das Spiel wiederholt sich. Nun kommt Gaia Vogel als Cornelia Battenberg, das Spiel wiederholt sich. Alle drei klettern in das Bühnenbild und betreten unsichtbar das, was man heute einen Swingerclub nennt. Die sexuelle Befreiung fand in den 1920er Jahren statt und Kästners Vorlage spiegelt das wider. In dieser Inszenierung wird Sex zum bestimmenden Thema. Die ersten 30 Minuten finden nur zwischen den Beinen statt. Der Kopf wird nur gefordert, wenn sich im schnellen Wechsel Szene an Szene reiht und Handlungen nebeneinander herlaufen. Das Sammelsurium zitiert die frühen Filme von Bunuel. Doch das Panoptikum ist nicht immer durchschaubar. Die sexuelle Freizügigkeit ist zu sehr auf Schockeffekt konstruiert.

Rebecca Klingenberg als Selow und Christina Jung als Kulb sind die wichtigsten Elemente. Aber der Schnitt durch die Gesellschaft der Übergangszeit fehlt. Politik und Arbeitswelt in der beginnenden Weltwirtschaftskrise werden nur angerissen. Der Weltkrieg als prägende Erfahrung bleibt außen vor, deswegen ist Stephan Labude als Figur auch unvollständig. Erst jetzt wird das Publikum Zuschauer einer Szenerie, die durchaus als Parallelwelt zur Gegenwart taugt. Akademiker ohne Perspektive; Jobs, die sich nicht lohnen; Mieten, die das Gehalt auffressen; und eine Mittelschicht, die zu verschwinden droht. Seine Rolle als Zuschauer gibt Fabian erst auf, als es persönlich wird, und jetzt wird Schleuning auch stark. Hier funktioniert das Dreigestirn Fabian, Stephan und Cornelia. Somit ist die Selbstmord-Szene eben eine der intensivsten in dieser Aufführung. Der lauten Hektik setzt Ruth Messing hier Stille entgegen. Fabians Leere wird hörbar. Er hat seine Rolle als zuschauender Moralist aufgegeben und bekommt dafür nichts. Schleuning liefert hier die stärkste Leistung ab. Danach zerfällt sein Welt immer mehr. Der Job ist weg, die Liebe auch. Jetzt wird die Inszenierung anrührend und erlebt ihre stärksten Momente. Es kann so nicht weitergehen. Der Freitod des Titelhelden erscheint zwangsläufig.

Nächste Aufführung am 3. April um 20.30 Uhr. Karten unter Telefon 0551/4969-300.