Groß Lafferde. Blau-Gelb oder ein „Roter“? Im Kreis Peine sind Fan-Grenzen fließend. „Frotzeleien“ gehören vor dem Derby dazu, Feindseligkeit nicht.

Durch den Kreis Peine verläuft eine Grenze, nicht nur eine historische zwischen dem einstigen Herzogtum Braunschweig und dem Königreich Hannover, sondern auch eine, die sich auf Fußball-Traditionen beruft. Blau-Gelb oder „ein Roter“ zu sein, ist eine Sache von nur wenigen Kilometern.

Groß Lafferde an der Bundesstraße 1 ist so ein Ort, der diese Trennlinie sehr deutlich zeigt. In den Ortschaften, die ostwärts nach Braunschweig oder südöstlich nach Salzgitter hin liegen, ist klar: Hier ist Eintracht-Braunschweig-Land. Die Löwen-Fahne weht, und auch an Schildern entlang der Straßen wird kommuniziert, dass hier nur einer regiert: und zwar der BTSV.

Derby Hannover 96 gegen Eintracht Braunschweig: Wer war zuerst da? Die „Roten“ oder Blau-Gelb?

Etwas weiter gen Westen, schon ab der Ortschaft Hoheneggelsen, Richtung Hildesheim und nordwestlich davon, sagt Uwe Wehrspaun, schaut man tendenziell eher Richtung Landeshauptstadt und damit zu Hannover 96. So wie Wehrspaun selbst. Er sei glühender 96-Fan, seit er 13 Jahre ist, sagt der heute 83-Jährige. Die Rivalität in dieser Gegend werde gepflegt, insbesondere vor den Derbys, früher viel netter und geistreicher als heute, sagt auch Bernd Bartels. Er ist der Neffe Wehrspauns. Auch er hält zu dem Verein, den Eintrachts Anhänger nur spöttisch als Peine-West titulieren. In seinem Wohnzimmer hängt eingerahmt ein echtes Original. Eine Sportzeitung des Jahres 1954, und zwar die Ausgabe, in der die Meisterschaft für Hannover beschrieben wird.

Ein alter Grenzstein an der B1 zwischen Bettmar und Groß Lafferde im Kreis Peine. In schwarzer Schrift ist das Kürzel KH zu erkennen, das für Königreich Hannover steht, das dahinter begonnen haben soll.
Ein alter Grenzstein an der B1 zwischen Bettmar und Groß Lafferde im Kreis Peine. In schwarzer Schrift ist das Kürzel KH zu erkennen, das für Königreich Hannover steht, das dahinter begonnen haben soll. © Dirk Breyvogel | DIRK BREYVOGEL

Dass man in Groß Lafferde auch anders ticken kann, beweist Torsten Brinsa. „Torsten ohne H, wie der Torsten eben.“ Was er eigentlich meint: Ohne „H“ wie Torsten Lieberknecht, der langjährige Erfolgstrainer, der die Eintracht 2013 nach fast 30 Jahren wieder in die 1. Bundesliga führte. Brinsa wurde hier geboren. Jahrgang 1969, zwei Jahre nach der überraschenden deutschen Meisterschaft. Er hat seit Jahren eine Dauerkarte an der Hamburger Straße. Sein Patenonkel habe ihn als kleinen Jungen mit ins Stadion genommen. „Das hat mich geprägt“, erzählt er.

Rivalität zwischen Eintracht und „96“: In Klein Lafferde gibt‘s Freundschaft zwischen „Rot“ und „Blau-Gelb“

Der Freundschaft zu den beiden „Roten“, Wehrspaun und Bartels, hat das aber keinen Abbruch getan. „Ich kenne die schon seit Jahrzehnten, man muss sie nehmen, wie sie sind“, sagt er verschmitzt. Aber eigentlich spiele Fußball bei der Frage, ob man freundschaftlich verbunden sei, keine Rolle.

Allerdings zweifelt er Wehrspauns Aussage zu vermeintlichen Kräfteverhältnissen im Ort an. Der hatte behauptet, ursprünglich habe es in Groß Lafferde fast nur 96-Fans gegeben, erst später seien immer mehr Blau-Gelbe dazugezogen. „Uns gab es hier schon immer. Ihr habt ja nur ein Problem damit, dass wir nach Gründung der Bundesliga erstens dabei waren und zweitens kurze Zeit später auch noch Meister wurden“, erwidert Brinsa. Das vernebele wohl etwas den Blick.

Eintracht-Fan: Unsere Meisterschaft hat eine andere Wertigkeit

Für ihn hat die Meisterschaft der Eintracht auch eine andere Wertigkeit im Vergleich zu denen von Hannover 96. „Wir sind ein Meister der Bundesliga.“ Damit spielt er darauf an, dass vor der Gründung der eingleisigen Bundesliga im Jahr 1963 die Meisterschaften in Form von K.o.-Spielen ausgetragen wurden, bei dem sich zunächst die jeweiligen Staffelmeister duellierten. „Für mich sind die Meisterschaften daher nicht vergleichbar.“ Ein klitzekleiner blau-gelber Giftpfeil in Richtung Wehrspaun und Bartels, die sich an dieser Diskussion erst gar nicht beteiligen wollen.

Es ist aber das Stichwort für Wehrspaun, seinerseits ein paar hannöversch-gefärbte Anekdoten zum Besten zu geben. Dabei klingt immer wieder heraus, dass für ihn die Zeiten früher, was die Nahbarkeit des Fußballs im Umgang mit seinen Besuchern betrifft, viel bessere waren. „Ich habe als junger Mann, 1964, ein Spiel von Hannover gegen Köln gesehen. Da bin ich als Zuschauer, nicht als Offizieller oder Journalist, noch kurz vor dem Anstoß auf dem Platz gewesen und habe ein Foto gemacht, bis mich der Linksaußen von Köln freundlich vom Platz gebeten hat. Das waren andere Zeiten.“

So sei die Anreise zu den Spielen vielleicht zeitlich aufwändiger, aber weniger kompliziert gewesen. „Wenn man heute sieht, wie so ein Spiel zwischen Braunschweig und Hannover von der Polizei gesichert werden muss, kann einem schon vorher der Spaß vergehen.“

Appell vorm Derby: Fans sollen den Anstand wahren

Auch der „Löwe“ Brinsa hält diese Entwicklung für bedenklich. Er schaue nur das Derby-Rückspiel in Braunschweig. „Das werde ich mir natürlich nicht entgehen lassen, aber nach Hannover fahre ich nicht. Dafür bin ich zu alt.“ Auf das Spiel am Sonntag freue er sich. „Ich hoffe, dass es ein emotionales Spiel wird und dass es abseits des Platzes friedlich bleibt.“ Den Anstand wahren, das wünsche er sich. Es gehe am Ende nur um Fußball, davon hänge nicht das Leben ab, auch wenn manche so täten.

Für den „Roten“ Bernd Bartels gehören vor so einem Spiel „Frotzeleien“ zum guten Umgangston. „Rivalität muss gelebt werden. Aber Feindseligkeit ist nicht angebracht.“ Auch wenn es sportlich bei Hannover derzeit deutlich besser laufe als beim Gegner, sei das keine Garantie für den Erfolg. „In den letzten Jahren haben wir oft erlebt, dass so ein Derby seine eigenen Gesetze hat. Das ist immer so“, philosophiert Bartels. Und Brinsa ergänzt: „Bartschi, Du willst es einfach nicht sagen, weil Du es nicht wahrhaben willst. Wir sind aktuell noch Derbysieger.“ „Noch“, kontert dieser.

Einig werden sich die drei Freunde aus Groß Lafferde, egal ob Rot oder Blau-Gelb, in einer anderen Frage dann aber ganz schnell. Das einzig wahre Niedersachsen-Derby finde am Sonntag statt. Man könne den Partien mit dem VfL Wolfsburg oder anderen Mannschaften alle anderen Bezeichnungen der Welt geben, beispielsweise Nachbarschaftsduell. „Derbyzeit ist, wenn Eintracht auf 96 trifft. Alles andere sind Fußballspiele“, sagt Brinsa im Brustton der Überzeugung.

Der Text wurde am 1. November 2023 auf den Internetseiten unserer Zeitung veröffentlicht. In der Zeitungsausgabe erschien der Artikel am 2. November 2023. Er wurde jetzt nochmal redaktionell überarbeitet.