Clausthal-Zellerfeld. Im Interview erklärt die Betriebswissenschaftlerin Prof. Dr. Heike Schenk-Mathes von der TU Clausthal die Auswirkungen der Corona-Krise.

Viel ist derzeit von den Auswirkungen der Corona-Krise auf die Wirtschaft zu hören. Bietet die Krise aber vielleicht auch die Möglichkeit eines Umsteuerns hin zu einer nachhaltigeren Art des Wirtschaftens? Darüber, über Buchgeld, verhinderten Konsum und geänderte Wertesysteme hat Silke Römhild mit Dr. Heike Schenk-Mathes gesprochen. Sie ist Vizepräsidentin der TU Clausthal und Professorin für Betriebswirtschaftslehre und Betriebliche Umweltökonomie.

Auf der einen Seite bleibt derzeit das Geld der Verbraucher in ihrer Tasche, weil kein Geld für Reisen oder Restaurantbesuche ausgegeben werden kann. Gleichzeitig werden riesige Hilfspakete geschnürt – heißt das, es ist bald doppelt so viel Geld in Umlauf wie ohne Corona?

Da ist die Frage: Wo ist das Geld? Es wird ja jetzt nicht ausgegeben – wo ist es also? Wichtig ist, zu unterscheiden zwischen Bargeld, also Münzen und Scheine, mit denen wir bezahlen, und dem sogenannten Buchgeld. Buchgeld entsteht – vereinfacht gesagt – durch Kreditaufnahme bei Banken. Wenn man einen Kredit bei der Bank aufnimmt, dann wird der Betrag dem Konto zugewiesen, und damit entsteht Buchgeld überhaupt erst.

Das heißt, die Bank hatte dieses Geld vorher gar nicht?

Man meint immer, dass die Banken die Spareinlagen des Einen nehmen und das Geld an einen Anderen geben. Tatsächlich wird aber die Geldmenge dadurch erhöht, dass Kredite aufgenommen werden. Wenn Kredite aufgenommen werden, kommt Geld in die Wirtschaft, ohne dass das im Sinne von Bargeld zu sehen ist. Dann wird gekauft, es wird Geld überwiesen an andere Geschäftsbanken und es entsteht ein Mehrwert. Man sagt: Dann wird Wert geschöpft.

Aber ist es nicht beunruhigend, dass jetzt so viel Buchgeld dazukommt?

Das ist eigentlich immer so, auch sonst haben wir im Vergleich zum Bargeld viel Buchgeld in der Wirtschaft. Das ist ein ständiges Ansteigen, Geldschöpfung nennt man das. Auf der anderen Seite findet auch eine Verminderung des Buchgeldes statt, zum Beispiel durch Tilgung von Krediten. Es können auch Vermögenswerte gekauft oder an die Geschäftsbanken verkauft werden. Auch dadurch verändert sich die Geldmenge.

Aber beim Verbraucher ist doch das Geld theoretisch noch, das er derzeit nicht ausgeben kann?

Was passiert jetzt zu Corona-Zeiten? Es fließt weniger Geld auf die Konten. Warum? Wir haben Kurzarbeitergeld, wir haben zum Teil auch schon Entlassungen. Arbeitsplätze gehen verloren. Wir haben auch geringere Gewinne in den Unternehmen. Das heißt, auch die Unternehmer, die Gesellschafterinnen, die Anteilseigner verdienen weniger. Und was passiert? Es wird weniger ausgegeben. Wir können auch teilweise gar nichts ausgeben, weil die entsprechenden Dienstleistungen gar nicht angeboten werden. Jetzt kann man natürlich sagen: Ist ja nicht schlimm, warten wir, bis es wieder gut ist, und dann holen wir alles nach. Aber es gibt Dinge, die können wir nicht nachholen. Zum Beispiel bei Restaurantbesuchen: Ich habe ja nach Corona nicht mehr Hunger. Und es gibt halt vieles, was man nicht nachholen kann. Ich kann auch nur einmal pro Nacht übernachten. Vielleicht kann ich mir große Ausgaben auch gar nicht mehr leisten. Man wird zurückhaltender im Konsum und in der Kreditaufnahme. Und das bedeutet weniger Wachstum.

Mancher sagt: Der Planet überhitzt durch unsere Art des Konsums. Ist immer mehr Wachstum und Konsum wirklich die Lösung?

Ich glaube, Wachstum ist in manchen gesellschaftlichen Bereichen durchaus negativ belegt: immer größer, schneller, weiter. Aber stellen Sie sich vor, es gebe gar kein Wachstum mehr. Dann bleibt alles konstant. Und nehmen wir mal an, es gibt von einer Sache nicht immer mehr. Wenn ich jetzt aber mehr davon haben will, weil ich einen Bedarf habe, muss ich das gewissermaßen einem anderen wegnehmen. Aber vielleicht geht es darum, dass sich die Bedürfnisse verschieben sollten in Richtung eines Konsums, der umweltbewusster ist und auf soziale Standards achtet. Es ist aber nicht so, dass Wachstum per se schlecht ist. Wachstum ermöglicht vielleicht auch, umweltbewusster und sozialverträglicher zu konsumieren.

Also Wachstum als Bewegung?

Ja. Es sollte natürlich kein Wachstum sein, das nur auf ein „Immer mehr“ ausgerichtet ist. Sondern: anders konsumieren. Wie sich das konkret gestaltet, ist Ausdruck unseres Wertesystems.

Kann die Politik das steuern?

Politik orientiert sich letztlich an dem, was Wähler wollen. Es werden Zielvorgaben formuliert, abgesichert von allen Expertinnen und Experten, die man hat. Aber man kann natürlich auch falsch liegen. Man wird wahrscheinlich fast bei jeder Maßnahme im Nachhinein sagen, wenn wir das ein bisschen anders gemacht hätten, wäre es noch besser gewesen. Aber es war vielleicht immer gerade die beste Entscheidung vor dem Hintergrund der Informationen, die man hatte. Und man darf auch nicht immer hin- und herspringen. Dafür ist das System zu groß und zu träge. In einer Krise verändert sich aber auch ein Wertesystem. So haben Unternehmen in Westeuropa zum Beispiel in einer Befragung festgestellt, dass Solidarität und Zusammenhalt durch die Krise wichtiger geworden sind.

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