Berlin. Was sich eine krude Gesellschaft in einer Potsdamer Villa ausdachte, weckt bei unserer Kolumnistin üble Assoziationen. Worum es geht.

Was uns derzeit umtreibt, ist in jeder Hinsicht existenziell. Die Kriege, die allgemeine Bedrohungslage, die global gefährdete Demokratie, die abgestumpfte Gesellschaft, Wetterkatastrophen durch Klimawandel, Inflation. Und als ob das alles nicht mehr zu toppen ist, trifft sich eine illustre Runde ausgerechnet in einer Potsdamer Villa mit Seezugang, die über Begriffe wie „Remigration“ schwadroniert.

Ich möchte den Gedanken gern verdrängen, zumal Nazi-Vergleiche meist in die Hose gehen. Und doch kann ich nicht anders, als an den Besuch neulich im Haus der Wannseekonferenz zu denken. Wir hatten Verwandte aus dem Ruhrgebiet da, die Besichtigung war Teil des Wochenendprogramms.

In der Villa weht nach wie vor der Wind der eiskalten Planung deutscher Nazigrößen. Die Frage damals: Wie bekommen wir alle europäischen Juden weg, damit wir sie möglichst effizient ermorden können? Niemals ging es um das ob, immer nur um das wie. Neudeutsch: Was ist der optimale Workflow für die Endlösung?

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„Wir bringen sie alle um, Frauen, Männer, Kinder. Gräm‘ dich nicht, Liebste, es muss sein“

Heute ist der Ort eine Gedenkstätte, die sich mit der Verfolgung und Ermordung der Jüdinnen und Juden auseinandersetzt, auch mit der Vorgeschichte und den Nachwirkungen. Klar wird, wie sehr die deutsche Gesellschaft den Holocaust toleriert, ignoriert und leider auch sehr oft aktiv unterstützt hat. Der ausgestellte Brief eines SS-Mannes an die „geliebte“ Ehefrau ist mir besonders im Gedächtnis geblieben, ich gebe ihn hier frei wieder. „Wir bringen sie alle um. Frauen, Männer, Kinder. Aber gräm‘ dich nicht, Liebste, es geht nicht anders. Es muss sein.“

Pegida-Demo in Chemnitz: Auch Björn Höcke (vorne rechts), Vorsitzender der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, ist dabei.
Pegida-Demo in Chemnitz: Auch Björn Höcke (vorne rechts), Vorsitzender der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, ist dabei. © picture alliance/dpa | Ralf Hirschberger

Als die Leiterin der Gedenkstätte von dem Treffen im November hörte, sei ihr erster Gedanke „Wahnsinn“ gewesen, sagte sie den Ruhr-Nachrichten und zog Parallelen zur NS-Zeit. Aber lassen wir mal vermeintlich historische Parallelen beiseite. Tatsache ist laut Recherchenetzwerk Correctiv: Im vergangenen November schmiedete eine Runde aus Unternehmern, Ärzten, Politikern und Juristen Pläne, wie sie Deutschland freibekommen von aller Art Ausländern. Es waren AfD-Leute dabei und auch zwei von der CDU. Sie sammelten Geld für moderne Propaganda, etwa für Influencer, die über TikTok, YouTube und Instagram die Gehirne der Jungen waschen sollen. Die Alten, die Boomer, die noch Kontakt hatten zu Holocaust-Überlebenden, zu den Tätern und Opfern in ihrer Familie, für die der Nationalsozialismus so kurz zurücklag wie für die Generation Z der Mauerfall, stehen da gar nicht im Fokus.

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Nun könnten wir sagen: Was soll‘s, da hocken ein Haufen Bekloppte zusammen mit absurden Fantasien. Wir können die Schultern zucken und am Abend bei unserem Lieblings-Türken im Restaurant sitzen, ein ordentliches Trinkgeld dalassen und dem Wirt zurufen: Hey, du bist ja nicht gemeint. Doch, er ist gemeint. Denn auch darum geht es laut Recherche-Netzwerk Correctiv im Haus am See: Wie bekommen wir Straßenzüge frei von ausländischen Restaurants? In Zutaten ausgedrückt: Rieche ich nach Zwiebeln nach dem Essen, quälen Butter- und Sahnesoßen meine Speiseröhre, dann war es gut. Rieche ich nach Knoblauch oder Curry, habe ich was Falsches gegessen.

Brigitta Stauber schreibt über Frauen, Familie und Gesellschaft.
Brigitta Stauber schreibt über Frauen, Familie und Gesellschaft. © Berlin | Reto Klar

Deutsche Leitkultur? Das ist vor allem Nächstenliebe

Mir wird bei dem Gedanken, künftig einen deutschen Einheitsbrei vorgesetzt zu bekommen, jedenfalls schlecht. Und wenn es darum geht, dass meine Freundinnen und Freunde sich entweder bis zur Selbstverleugnung assimilieren sollen oder hinausgeworfen werden aus Deutschland, dann ist das auch nicht mehr meine Heimat. Das ist für die Truppe am See auch ok, denn dann könne ich ja mitgehen in eine Art Musterstaat in Afrika.

Die sich da zusammenrotten in der Villa am See, die auf den Straßen brüllen: „Ab-schie-ben, ab-schie-ben, ab-schie-ben“, nachdem ihr Anführer, der gesichert rechtsextreme Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, sie angefeuert hat mit: „Ich rede nicht mehr von Integration, ich rede nur noch von Remigration“: Sie sollen aufhören, von deutscher Leitkultur zu sprechen. Denn deutsche Leitkultur fußt auf der Kultur des christlichen Abendlandes (eigentlich gehört auch das jüdische dazu, aber das haben wir ja schon so gut wie ausgerottet), und damit auf den Zehn Geboten. Das wichtigste ist die Nächstenliebe. Alles andere ordnet sich dem unter.

Zurück zum Workflow der Remigration. Soll sie, wie im Haus am See gewünscht, im großen Stil erfolgen, handelt es sich wohl eher um Deportation. Und der Musterstaat in Afrika: Was soll das sein? Ein Lager? Ein Getto? Mit Zaun drum? Mir geht es wie im Haus der Wannsee-Konferenz: Es ist so absurd, dass es eigentlich als Dystopie einzuordnen ist, eine Fiktion mit negativem Ausgang. Nur: Die Wannsee-Konferenz war keine Fiktion, sondern Startschuss.