Berlin. Erdogan ist wohl der neue alte Präsident der Türkei. Seine Macht könnte er sich für immer sichern – mit Folgen auch für Deutschland.

Immer wieder politisch totgesagt, abgeschrieben – und doch hat er es wieder geschafft. Auch wenn Recep Tayyip Erdogan nach 20 Jahren an der Macht Verschleißerscheinungen aufweist: Er hat die Stichwahl am Sonntag laut dem vorläufigen Endergebnis gewonnen. Sein Herausforderer Kemal Kilicdaroglu zündete nicht als zwingende Alternative.

Dies ist umso erstaunlicher, als Erdogan dieses Mal gegen Hindernisse anrennen musste, die seine Wiederwahl stark gefährdeten. So ist die Wirtschaftskrise über weite Strecken hausgemacht. Erdogan hatte durchgeboxt, dass die Zentralbank trotz hoher Inflation die Zinsen senkt. Nach der Einschätzung fast aller Ökonomen wirkt eine Politik des billigen Geldes in dieser Lage erst recht als Brandbeschleuniger und treibt die Preise nach oben.

Darüber hinaus entpuppte sich das Management des katastrophalen Erdbebens im Februar als krasses Staatsversagen. Und schließlich: Erstmals seit Langem hattes es die Oppositionsparteien geschafft, sich geschlossen hinter einem Kandidaten – Kilicdaroglu – zu versammeln.

WahlTürkei-Wahl 2023
(Stichwahl)
DatumSonntag (28. Mai 2023)
OrtTürkei
Gewählt wirdPräsident
Wahlberechtigt sindRund 64 Millionen Menschen
Kandidaten für PräsidentenamtRecep Tayyip Erdoğan (69) und Kemal Kılıçdaroğlu (74)

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Türkei-Wahl: Erdogan zog alle Register eines schmutzigen Wahlkampfs

All dies hat nichts genützt. Erdogans Wahlsieg ist ein Mix aus mehreren Gründen. Der Präsident kontrolliert die Presse des Landes: Mehr als 90 Prozent der Medien-Unternehmen gelten als Erdogan-nah. Kilicdaroglu hatte kaum Chancen, mit seinen Botschaften durchzudringen.

Darüber hinaus zog Erdogan auch dieses Mal alle Register eines schmutzigen Wahlkampfes. So diskreditierte er seinen Konkurrenten als Wunschkandidaten der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und klebte ihm damit das Etikett des „Terror-Unterstützers“ auf. Wenn Staatschefs sich in einem Bedrohungs-Szenario als Schutzherren der Bevölkerung darstellen, tritt das ein, was die Amerikaner „rally-around-the-flag“-Effekt nennen: Die Menschen scharen sich um den Präsidenten.

Michael Backfisch, Politik-Korrespondent
Michael Backfisch, Politik-Korrespondent © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Das Bild des starken Mannes – genau das verkörpert Erdogan wie kein anderer – kommt immer noch in weiten Teilen der Türkei an. Der Präsident mag in großen Städten wie Istanbul und Ankara sowie bei Jugendlichen nicht mehr über die gleiche Zugkraft wie in früheren Jahren verfügen: Doch vor allem in ländlichen Gegenden und bei Frauen punktet er nach wie vor. Der Westen muss zur Kenntnis nehmen, dass die türkische Gesellschaft noch immer religiös grundiert und anfällig für autoritäre Machtmuster ist.

Zudem spielt Erdogan mit Erfolg die nationale Karte. Sein strammer Kurs gegen die Kurden wird ebenso von einer Mehrheit geteilt wie seine nationalistische Außenpolitik. Erdogan präsentiert die Türkei als globalen Akteur, der die Nato im Falle des verzögerten Schweden-Beitritts ebenso piesacken kann wie die EU mit einer laxen Grenzkontrolle beim Flüchtlingsthema.

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Erdogan könnte sich lebenslange Herrschaft sichern

Gegen Erdogans Kampagne kam Kilicdaroglu nicht an. Obwohl er als ehrlicher, integrer und bescheidener Anwärter als Gegenkandidat zum Protz- und Prunk-Präsidenten Erdogan durchaus überzeugend war, hatte er mit strukturellen Problemen zu kämpfen. Der Spagat zwischen den sechs Parteien des Oppositionsbündnisses, das sich aus religiösen, säkular-linken und nationalistischen Parteien zusammensetzte, war zu groß. Dass Kilicdaroglu kurz vor Schluss eine Allianz mit der ultranationalistischen und ausländerfeindlichen Siegespartei einging und gleichzeitig den Schulterschluss mit den Kurden suchte, nagte an seiner Glaubwürdigkeit.

Erdogan wird nun versuchen, seine Macht weiter zu zementieren. Noch mehr Oppositionelle, Intellektuelle und Andersdenkende werden im Gefängnis landen. Die Institutionen und Gerichte des Landes tanzen dann endgültig nach der Pfeife des Sultans von Ankara. Es droht eine Super-Autokratie. Möglicherweise strebt Erdogan eine Änderung der Verfassung an, die ihm eine lebenslange Herrschaft sichert. Die Hyper-Autokraten Wladimir Putin (Russland) und Xi Jinping (China) haben es vorgemacht.

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Für den Westen wird die Türkei zunehmend unberechenbar

In der Flüchtlingsfrage wird der wiedergewählte Präsident weiter mit der EU spielen. Knapp vier Millionen Migranten hat die Türkei aufgenommen – auch ein Ergebnis des im März 2016 geschlossenen Deals mit der EU. Wann immer es Erdogan passt, wird er Brüssel drohen: „Wir öffnen die Tore.“ Ein knallharter Machtpolitiker wie er weiß, dass Europa angesichts wieder ansteigender Flüchtlingszahlen noch anfälliger ist.

Beim Nato-Beitritt Schwedens dürfte Erdogan am Ende einlenken. Die Regierung in Stockholm hat die Anti-Terror-Gesetze unter dem Druck von Ankara bereits verschärft. Zudem will die Türkei dringend die amerikanischen F-16-Kampfjets, die der US-Kongress wegen Schwedens blockierter Mitgliedschaft in der Allianz auf Eise gelegt hatte. Doch für den Westen wird die Türkei als Nato-Partner zunehmend unberechenbar. Fazit des Wahlsonntags: Das Verhältnis zu Deutschland und zur EU wird rauer.