Bremen. Die SPD hat in Bremen gewonnen, die Sozialdemokraten feiern ihren Sieg und den Sieger. Doch auch am rechten Rand erschallen Jubelchöre.

"Bovi Power“ steht leuchtend auf den Bildschirmen in der Bremer Politikkneipe "Ständige Vertretung“, wo die SPD an diesem Abend feiert. Die "Bovi-Power“ soll den Sozialdemokraten wieder Selbstbewusstsein geben. Sie hatten es zuletzt nötig – bis kurz vor der Wahl lieferte sich Amtsinhaber Andreas Bovenschulte (SPD) in den Umfragen ein Kopf an Kopf Rennen mit Herausforderer Frank Imhoff (CDU).

In den Minuten vor den ersten Hochrechnungen gaben sich die Bremer Genossen dennoch nordisch entspannt. Aufgeregt? Ist man hier nicht, sagt Genosse Holger Helber. "Wie immer halt!“ Und so kommt es dann auch: Die SPD kann aller Voraussicht nach ihre 77-jährige Regentschaft in Bremen um vier Jahre verlängern. Lesen Sie dazu den Kommentar: Bremen-Wahl: Das Ergebnis ist ein Denkzettel für Habeck

Bremen-Wahl: Rekord für rechtpopulistische Bewegung BIW

Der Knall aber kommt an diesem Abend dennoch – und zwar von rechts. Laut jubeln die Genossen über ihr Ergebnis, mit dem sie als klare Sieger vom Platz gehen. Doch vor dem letzten Balken legen die Party-Gäste eine Gedenksekunde ein. Laute Buh-Rufe schallen durch den Raum: Die rechtpopulistische Bewegung "Bürger in Wut“ konnte deutlich zulegen.

Spitzenkandidat der Wählergruppierung Bürger in Wut Jan Timke.
Spitzenkandidat der Wählergruppierung Bürger in Wut Jan Timke. © Carmen Jaspersen/dpa/Archivbild

Dem Jubel nach zu urteilen, scheinen die Genossen vor allem erleichtert zu sein, dass sie zumindest wieder vorne liegen. "Die SPD in Bremen ist zurück: Die Nummer eins in Bremen“, schreit Bovenschulte vor Freude in das Mikrofon. Weit entfernt wirkt die Zeit, als die SPD hier noch bis in die 2000er mit stabilen Werten um die 40 Prozent und mehr rechnen durfte. Doch zumindest konnte Bovenschulte Bremen wieder als sozialdemokratisches Kernland etablieren – drohte es doch unter dem mitunter blassen Spitzenkandidaten Carsten Sieling 2019 verloren zu gehen, als die CDU erstmals stärkste Kraft in Bremen wurde.

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Bovenschulte konnte damals die sozialdemokratische Regentschaft mit einer Rot-Rot-Grünen Koalition retten – ein Novum in der westdeutschen Landespolitik und eine gute Möglichkeit für den Bürgermeister, sich als Landesvater zu profilieren. Und so scheint der auf "Bovi“ zugeschnittene Wahlkampf aufgegangen zu sein.

SPD geht aus Gewinnerin hervor

Bovenschulte, nicht immer üblich für einen Bremer Bürgermeister, schaffte es über die Grenzen seines Bundeslandes hinweg in Erscheinung zu treten. Öffentlichkeitswirksam forderte er während stark steigender Benzinpreise eine Übergewinnsteuer. In der Coronapandemie galt Bremen als Musterschüler mit einer Impfquote von mehr als 90 Prozent.

Wohl auch ein Erfolg der linken Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard, die recht geräuschlos mit den Sozialdemokraten regiert hatte. Das belohnten auch die Bremer: Die Partei konnte ihr Ergebnis von 2019 halten, unabhängig von bundespolitischen Parteiquerelen um die drohende Abspaltung einer Sahra Wagenknecht Partei.

SPD-Spitzenkandidat Andreas Bovenschulte hat Prognosen zufolge die meisten Stimmen erreicht.
SPD-Spitzenkandidat Andreas Bovenschulte hat Prognosen zufolge die meisten Stimmen erreicht. © Carmen Jaspersen / AFP | Carmen Jaspersen / AFP

Grüne verlieren deutlich

Wer sich nicht vom bundespolitischen Trend lossagen konnte, das sind die Grünen, die wohl als Wahlverlierer an diesem Abend nach Hause gehen. Bei der Bundestagswahl hatte die Partei noch über 20 Prozent in Bremen geholt. Doch Spitzenkandidatin und Umweltsenatorin Maike Schäfer versuchte sich in der Vergangenheit immer wieder mit neuen Verkehrskonzepten zu profilieren.

Wenn die Grünen in Berlin durch die Sperrung der Friedrichstraße in der Wählergunst sanken, dann war es in Bremen die Brötchentaste – eine kostenlose Kurzparkfunktion am Parkscheinautomaten, die Schäfer kurzerhand abschaffte. Das öffentliche Kopfzerbrechen um Habecks Heizungsgesetz und die Affäre rund um Staatssekretär Patrick Graichen dürften dem Stimmergebnis ihr Übriges getan haben. Ihrer eigenen Verantwortung sei sie sich bewusst, sagte sie am Abend. "Da gibt es nichts schönzureden. Das ist bitter!“

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Auch Bovenschulte lies in jüngster Vergangenheit keine Gelegenheit aus, seinen Koalitionspartner auf Fehler hinzuweisen. Die Brötchentaste möchte er nach der Wahl gleich wieder einführen. Ob es also bei der bisherigen Koalition bleiben wird? Rein rechnerisch dürfte das wohl kein Problem sein und auch Amtsinhaber Bovenschulte könnte mit einer stabilen Mehrheit selbstbewusst weiterregieren.

Für den amtierenden Bürgermeister keine schlechte Option, könnte er die Schwäche der Grünen dazu nutzen, der Koalition ein starkes sozialdemokratisches Profil zu verleihen. Einziger Knackpunkt dürfte der Zustand der Bremer Grünen nach der Wahl sein, die sich wohl erst einmal finden müssen.

Große Koalition denkbar

Bovenschulte betonte zwar auch am Wahlabend, dass die bisherige Koalition gute Arbeit gemacht habe. Doch gleichzeitig machte er keinen Hehl aus seiner Bereitschaft, auch mit der CDU zu sprechen. Als Druckmittel für Rot-Rot-Grüne Koalitionsverhandlungen sicherlich ein probates Mittel. Wenn eine Große Koalition zunächst in Berlin unwahrscheinlich erschien, ist sie in Bremen inhaltlich eine durchaus realistische Option.

Mit Spitzenkandidat Frank Imhoff trifft Bovenschulte auf eine mittig ausgerichtete CDU in Bremen. Die 27-jährige Wiebke Winter, mit der Imhoff in den Wahlkampf zog, ist Gründerin der Klimaunion und eine für die CDU untypische Atomkraftgegnerin. Wohl nicht umsonst war der Hintergrund auf Bremer CDU-Wahlplakaten rot gefärbt.

Die Spitzenkandidaten der CDU für die Bürgerschaftswahl, Frank Imhoff und Wiebke Winter, kommen nach Bekanntgabe der ersten Prognose für die Wahl zur Bremischen Bürgerschaft zur CDU-Wahlparty.
Die Spitzenkandidaten der CDU für die Bürgerschaftswahl, Frank Imhoff und Wiebke Winter, kommen nach Bekanntgabe der ersten Prognose für die Wahl zur Bremischen Bürgerschaft zur CDU-Wahlparty. © Hauke-Christian Dittrich/dpa

Die beiden großen Parteien hatten sich auffällig verschont im Wahlkampf. Direkte Attacken sah man nur selten. Entsprechend aufgeschlossen für eine Große Koalition zeigte sich Imhoff am Abend. Mit den Ergebnissen der beiden Parteien könnte eine Groß Koalition stabil regieren, zumal sich laut Umfragen auch die Mehrheit der Bremer diese Koalition unter der Führung von Bovenschulte wünscht.

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Es bestehen also Aussichten auf eine wie auch immer geartete Mitte-Links Koalition, was nicht heißt, dass es rechts davon keine Stimmanteile gegeben hätte. BIW konnte für westdeutsche Verhältnisse ein deutliches Ergebnis erzielen. In Bremen ist die Wählervereinigung zwar keine Unbekannte, doch mit diesem Ergebnis wohl ein neuer Platzhirsch im norddeutschen Parteienspektrum. Deutlich übertrumpfte BIW die FDP, die an diesem Abend mal wieder um die Fünfprozenthürde bangen muss.

BIW, eine rechtskonservative Wählervereinigung mit rechtspopulistischer Sprache, bewegt sich inhaltlich zwischen den beiden Flügeln der AfD, wie der Parteienforscher Lothar Probst dieser Redaktion sagte. Der zerstrittene Landesverband der AfD war bei der Wahl nicht zugelassen, wovon BIW profitieren konnten.

Doch nicht nur: Bremen blickt neben der sozialdemokratischen Dominante auf eine lange Geschichte rechter Parteien zurück. NPD und DVU waren bereits in Fraktionsstärke in der Bürgerschaft vertreten. BIW profitierte wohl vom wachsenden Unmut mangelnder Aufstiegschancen, der inneren Sicherheit rund um den Bahnhof und von der Ablehnung grüner Politik.

"Wir haben uns sofort von den Grünen distanziert“, so Spitzenkandidat Piet Leidreiter gegenüber dieser Redaktion, was die CDU nicht gemacht hätte. "Die CDU hat so relativ viele Wähler an uns verloren.“

Die "Bovi“-Euphorie der Sozialdemokraten trübt das nicht. Mittlerweile hat sich die Party zu einem Public-Viewing Event auf den Vorplatz verschoben, wo die Genossen auch zwei Stunden nach der ersten Prognose ihre Ergebnisse feiern.