Bremen. Die Wahlen in Bremen versprechen Hochspannung: Oft erprobte die Politik an der Weser Bündnisse, die Jahre später auch im Bund kamen.

Manchmal ist es in der Politik wie in der Schule: Über die Kleinen machen sich die Großen gerne lustig – und Bremen als allerkleinstes Bundesland trifft der Spott dementsprechend oft: Das Zweistädteland gilt als besonders links, als besonders pleite und als besonders leistungsschwach in Bildungsstudien.

Beim Standortmarketing ist spätestens seit den Gebrüdern Grimm etwas schiefgelaufen: Esel, Hund, Katze und Hahn wagten sich als Stadtmusikanten auf Wanderschaft mit dem wenig werbewirksamen Slogan: „Wir gehen nach Bremen, etwas Besseres als den Tod findest du überall.“ Und dann kamen die Vier bekanntlich nicht einmal in Bremen an.

Aber stimmt das auch? Wer so vorurteilsbeladen ist, muss entweder aus Hamburg kommen – oder noch nie in Bremen gewesen sein. Das kleinste Bundesland hat ein großes Herz und eine große Schnauze: „Hamburg ist das Tor zur Welt, aber Bremen hat den Schlüssel dazu“, kontert man an der Weser – schließlich trägt das Wappen seit dem 14. Jahrhundert einen Schlüssel.

Das kleine Bremen hat es dem Bund oft vorgemacht

Auch Wahlen in Bremen sind nicht selten Schlüsselerlebnisse: In der Vergangenheit versuchte sich die Politik dort als Avantgarde, Labor und Vorreiter in einem. So war Bremen das erste Bundesland mit einer Ampel-Regierung: Zwischen 1991 und 1995 wagten Sozialdemokraten, Grüne und FDP über alle programmatischen Differenzen hinweg ein neues Bündnis: Erst am Streit über die Ausweisung eines geplanten Gewerbegebietes als Vogelschutzgebiet zerbrach die Koalition – und galt fortan bis 2021 kaum als Modell. 1995 wiederum bildeten SPD und Union für zwölf Jahre eine gut funktionierende Zweckehe, 2005 folgte das Land.

Der Bremer Roland steht auf dem Marktplatz vor dem historischen Rathaus der Stadt.
Der Bremer Roland steht auf dem Marktplatz vor dem historischen Rathaus der Stadt. © dpa

Es war auch das kleine Bremen, wo die neugegründete Grüne Liste erstmals in ein Landesparlament einzog; wiederum an der Weser überrundeten die Grünen 2011 erstmals mit einem Ergebnis von 22,5 Prozent die Union. Alternativ war man an der Weser schon, als das anderswo noch verdächtig war. Auffällig: Heute bleiben die Grünen in Umfragen mit rund 13 Prozent deutlich dahinter zurück.

Auch Rot-Grün-Rot war ein Novum im Westen

Vielleicht werden Beobachter bald auch an Bremen den Wiederaufstieg der Union festmachen. Aus dem Tal der Tränen bei gut 20 Prozent im Jahr 2011 hat sich die ewige Oppositionspartei kontinuierlich nach oben gearbeitet, vor vier Jahren reichte es mit 26,7 Prozent sogar erstmal in der Geschichte an der Weser zur Pole Position. Nur für den Einzug ins Bürgermeisterzimmer war das zu wenig – denn die Linkspartei und die Grünen verhalfen dem Wahlverlierer SPD einmal mehr zur Macht. Übrigens noch ein Novum in der westdeutschen Geschichte – ein rot-grünes-rotes Bündnis.

Aber das passt zu Bremen – einer Stadt, die aus Tradition experimentierfreudig ist und über ideologische Grenzen hinweg eine Konsenskultur lebt. Man kennt sich: In den beiden großen Dörfern Bremen und Bremerhaven leben 680.000 Einwohnern auf einer Fläche von 420 Quadratkilometern, dagegen wirkt selbst das Saarland gigantisch.

Das reiche Bremen verarmte in den vergangenen Jahrzehnten

Aber das Bremer Selbstbewusstsein endet nicht an den engen Grenzen des von Niedersachsen umgebenen Bundeslandes. „Buten un Binnen, Wagen un Winnen“ steht über der Bremischen Handelskammer, der Schütting, geschrieben. „Draußen und drinnen – abwägen und gewinnen“ zeugt vom Handelsstolz der Kaufleute und Bürger.

Doch die besten Zeiten liegen hinter den Bremern – noch Anfang der Siebzigerjahre zählte Bremen neben Hamburg und Paris zu den reichsten Regionen der Europäischen Gemeinschaft. Mit der Krise der maritimen Wirtschaft und dem Werftensterben ist vom Wohlstand vergangener Tage nicht allzuviel geblieben. Der Bremer Vulkan und die AG Weser gingen pleite, Kühne & Nagel und Jacobs Kaffee zogen in in die Schweiz, Beck’s wurde 2002 geschluckt.

Stolz auf Werder, Roland und das Rathaus

Also hält sich der Stolz an die unverrückbaren Bremer Institutionen: Der SV Werder, der anders als der Rivale HSV nur kurz in der Zweiten Liga vorbeischaute, die Sehenswürdigkeiten Roland und Rathaus (seit 2004 Unesco-Weltkulturerbe), Böttcherstraße und Schnoor, die Traditionen Eiswette, Schaffermahl und den Freimarkt. Stolz auf die Universität, die sich von der „roten Kaderschmiede“ zur Exzellenzhochschule mauserte. Und auf Firmen wie Airbus, Mercedes und OHB, die es zum Marktführer geschafft haben.

Seit 1946 regieren die Sozialdemokraten die Hansestadt - und wenig spricht dafür, dass sich das am Sonntag ändern wird. Zwar liegen SPD und Union in Umfragen nah beieinander oder sogar gleichauf; aber der CDU fehlt die Machtoption. Was dem unkonventionellen Quereinsteiger Carsten Meyer-Heder 2019 nicht glückte, dürfte dem bodenständigen Parteisoldaten Frank Imhoff noch weniger gelingen: Dem Bürgerschaftspräsidenten und Landwirt mit eigenem Hof fehlen schlicht die Verbündeten.

Andreas Bovenschulte gilt als Favorit

Selbst wenn die FDP in die Bremische Bürgerschaft einzöge, ist die Mehrheit so weit entfernt wie die Küste vom Bremer Rathaus. Und die Grünen, in Bremen traditionell links, würden eher die Stadtmusikanten zu Wurst verarbeiten, als mit Union und Liberalen ein Jamaika-Bündnis einzugehen. Für Schwarz-Grün dürfte es nicht reichen.

Regierungschef in Bremen: Andreas Bovenschulte (SPD).
Regierungschef in Bremen: Andreas Bovenschulte (SPD). © dpa | Hauke-Christian Dittrich

Andreas Bovenschulte hat also gute Chancen, sein Bürgermeisteramt zu verteidigen. Sein Start stand unter keinem guten Stern, das Ergebnis von 24,9 Prozent für die SPD war 2019 verheerend, sein linkes Bündnis auch in der traditionell linken Stadt kritisch beäugt und er selbst galt als ein Kandidat wider Willen: Bis 2019 war Bovenschulte hauptamtlicher Bürgermeister der Umlandgemeinde Weyhe, dann wurde er binnen kürzester Zeit erst Fraktionschef und nach dem Amtsverzicht von Carsten Sieling sogar Bürgermeister.

Selbst seine Gegner schätzen die Art des 57-Jährigen. In der Corona-Politik galt das anpackende und zugleich nüchterne Bremen sogar als Vorbild für das ganze Land. Der SPD-Slogan „Politik braucht Format“ zeigt die Stolz auf den Spitzenmann. Das erinnert an frühere Zeiten: Wer bei Google Bremen und Bürgermeister eingibt, bekommt noch immer Henning Scherf vorgeschlagen. Dabei ist der „Oma-Knutscher“ schon vor 18 Jahren zurückgetreten. Nun trauen Demoskopen der SPD wieder 30 Prozent zu.

Die AfD hat keine Chance auf Einzug in die Bürgerschaft

Am Ende entscheiden über Sieg und Niederlage möglicherweise die kleinen Parteien - die im kleinsten Bundesland traditionell schnell groß rauskommen: 1991 gewann die rechtsextremistische DVU aus dem Stand 6,2 Prozent. 1995 räumte die Liste „Arbeit für Bremen und Bremerhaven“, die sich aus SPD-Rebellen des rechten Parteiflügels speiste, 10,7 Prozent ab; nun schickt sich die konservative Partei mit dem seltsamen Namen „Bürger in Wut“ laut Umfragen an, die Fünf-Prozent-Hürde zu nehmen.

Sie dürfte davon profitieren, dass die AfD wegen zweier konkurrierender Wahllisten nicht zugelassen wurde. Die AfD wird also nicht wieder in die Bürgerschaft einziehen – auch ein Novum in der jüngeren Wahlgeschichte. Aber eines, das den meisten Bremern gefallen dürfte.