Berlin. Justizminister Buschmann (FDP) will Autofahrer, die Blechschäden verursachen, geringer bestrafen. Sein Vorstoß erntet viel Kritik.

Ein kleiner Blechschaden ist schnell passiert: Einmal unaufmerksam rückwärtsfahren auf dem Supermarktparkplatz, oder zu früh Anfahren an der Ampel – schon hängt man auf dem Heck des vorausfahrenden Autos. Immer häufiger begehen die Deutschen in solchen Fällen Unfallflucht. Das ist bisher strafbar und wird mit einer Geldstrafe oder bis zu drei Jahren Haft bestraft. Doch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will den Unfallverursachern das Leben erleichtern: Unfallflucht ohne Personenschaden soll bald keine Straftat mehr sein. Der Vorgang würde dann nur noch als Ordnungswidrigkeit gelten, berichtete das Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Justizminister Marco Buschmann (FDP) will Fahrerflucht zur reinen Ordnungswidrigkeit erklären.
Justizminister Marco Buschmann (FDP) will Fahrerflucht zur reinen Ordnungswidrigkeit erklären. © imago/snapshot | IMAGO/snapshot-photography/F.Boillot

Das Justizministerium (BMJ) verkündete diesen Plan in einem Schreiben der Fachebene des BMJ an die Landesjustizverwaltungen und Fachverbände. Eine Sprecherin des BMJ sagte unserer Redaktion: „Im Koalitionsvertrag ist vereinbart worden, das Strafrecht systematisch auf Handhabbarkeit zu prüfen. Hierbei soll der Fokus auf historisch überholte Straftatbestände, die Modernisierung des Strafrechts und die schnelle Entlastung der Justiz gelegt werden.“

Fälle von Fahrerflucht nehmen zu

Wie groß ist das Problem überhaupt bundesweit? Laut Statistischem Bundesamt sind im Jahr 2022 etwa 2,1 Millionen Unfälle mit Sachschäden passiert. Das ist eine Zunahme von drei Prozent gegenüber 2021. Diese Statistik ergibt aber ein verzerrtes Bild, weil dort nur das unerlaubte Entfernen vom Unfallort nach einem Personenschaden oder schwerem Sachschaden erfasst wird. Die Blechschäden tauchen in den Zahlen nicht auf. Offizielle Angaben dazu, wie häufig dabei der Verursacher vom Unfallort geflüchtet ist, gibt es nicht, weil die Fälle nicht zentral erfasst werden. Verkehrsexperten rechnen die Anzahl allerdings recht genau hoch. Denn aus den Polizeiberichten der einzelnen Bundesländer ergibt sich: Bei 21,76 Prozent aller Unfälle wurde Unfallflucht begangen. Für die Gesamtzahl in Deutschland bedeutet das: 550.00 mal pro Jahr – Tendenz steigend. Die Dunkelziffer dürfte höher sein, da viele solcher Fälle nicht bei der Polizei angezeigt werden. Grund: Die Aufklärungsrate ist sehr gering, liegt bei 40 Prozent. Somit entkommen laut dem Automobilclub Europa (ACE) sechs von zehn Tätern unerkannt.

NameMarco Buschmann
Geburtsdatum1. August 1977
SternzeichenLöwe
AmtBundesjustizminister
ParteiFDP
Parteimitglied seit1994
FamilienstandVerheiratet

Das ist ein Problem, denn jährlich entsteht dadurch ein Schaden in Milliardenhöhe. Selbst mit Vollkaskoversicherung lohnt es sich für die Geschädigten oft nicht, den Schaden über die Versicherung abwickeln zu lassen. Denn mit einer üblichen Selbstbeteiligung von 300 Euro und dem Verlust eines Teils des Schadenfreiheitsrabatts wird man in der Versicherungssumme hochgestuft und zahlt mehr. Viele Autofahrer mit geringem Einkommen fahren dadurch mit kaputtem Auto weiter.

So verhalten sich Unfallfahrer richtig

Der Verkehrsclub ACE rät, auf jeden Fall am Unfallort zu bleiben und sofort die Polizei zu verständigen. Nur wer „in der Nacht oder auf einer einsamen Landstraße einen Schaden verursacht, darf sich nach einer angemessenen Zeit von rund 30 Minuten vom Unfallort entfernen, muss aber den Schaden sofort anzeigen“, heißt es. Durch „tätige Reue“, wenn sich der Verursacher also innerhalb von 24 Stunden meldet, kann die Strafe bisher milder ausfallen. Bislang gilt, dass Unfallbeteiligte eine „angemessene Zeit“ am Unfallort warten müssen. Als Alternative dazu bringt das Ministerium die Einrichtung einer Meldepflicht und bundesweiten Online-Meldestelle ins Spiel. „Denkbar wäre etwa eine Meldung über eine standardisierte Online-Maske, gegebenenfalls auch mit hochzuladenden Bildern vom Unfallort und Schaden, oder eine, am geschädigten Fahrzeug zu fixierende, Schadensmeldung, bei deren ordnungsgemäßer Vornahme keine tatbestandsmäßige Handlung vorläge“, heißt es in dem Schreiben des Ministeriums.

Michael Mertens, von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist kritisch gegenüber der Idee des Justizministers.
Michael Mertens, von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist kritisch gegenüber der Idee des Justizministers. © FUNKE Foto Services | Sebastian Konopka

Die Reaktionen auf Buschmanns Vorstoß fallen gemischt aus. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Michael Mertens, sagte unserer Redaktion: „Die Staatsanwaltschaften werden entlastet, dafür bekommen aber die Bußgeldstellen mehr zu tun.“ Ob es für die Polizei eine echte Entlastung bedeutet, darauf wollte sich Mertens noch nicht festlegen. Die GdP sei in Gesprächen mit Verkehrsexperten. Der Polizeivertreter äußerte Bedenken: „Das Rechtsgut Eigentum wird so nicht mehr ausreichend geschützt und die unschuldig Geschädigten bleiben womöglich auf dem Sachschaden sitzen, der sich häufig auf mehrere tausend Euro beläuft.“ In der öffentlichen Debatte entstehe der Eindruck, dass Fahrerflucht nicht „schlimm ist, wenn sie nur als Ordnungswidrigkeit behandelt wird“. Das sei ein „fatales Zeichen“.

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Die Linksfraktion im Bundestag begrüßte die Idee des FDP-Politikers: „Hier geht es um Entkriminalisierung und die aktuelle Regelung ist sowieso längst überholt und wird seit vielen Jahren auch von der Anwaltschaft kritisiert“, sagte Clara Bünger, rechtspolitische Sprecherin der Linken. Sie warf Buschmann vor, falsche Prioritäten zu setzen: „Viel wichtiger und dringender erachte ich die Entkriminalisierung des Fahrens ohne Fahrschein, deretwegen etliche Menschen eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen.“

Richterbund rechnet sogar mit mehr Arbeit

Der ADAC findet die Pläne des Justizministeriums gut, wie ein Sprecher auf Nachfrage mitteilt. Die heutige Regel gehe an der Realität vorbei. Der ADAC setzt sich deshalb seit Jahren für eine Reform ein. Ganz anders sieht es Sven Rebehn, Bundesgeschäftsführer des deutschen Richterbunds: „Es besteht kein Anlass, die Unfallflucht zur Ordnungswidrigkeit herabzustufen.“ Rebehn rechnet nicht mit einer spürbaren Entlastung der Strafjustiz: „Auf die Gerichte kommt vermutlich sogar mehr Arbeit zu. Die Fälle werden heute durch die Staatsanwaltschaften vorbereitet und zu einem großen Teil durch Einstellungen erledigt.“ Künftig würden die Ordnungsbehörden im Zweifel einen Bußgeldbescheid erlassen, den viele Betroffene dann sicher gerichtlich überprüfen lassen, sagt der Geschäftsführer des Richterbunds.

Günter Krings, Rechtspolitiker der CDU im Bundestag sagte: „Die Entkriminalisierung zeigt den fehlenden Respekt der Ampel-Regierung vor dem Eigentum. Auch bei Sachschäden ist Fahrerflucht kein Kavaliersdelikt.“ Die Halter würden vermehrt auf teuren Sachschäden sitzen bleiben, befürchtet Krings: „Die geplante Neuregelung geht zu Lasten der Geschädigten und auch der Versicherten.“

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Die Versicherer drängen bei der geplanten Neuregelung darauf, die Möglichkeiten der Beweissicherung nicht einzuschränken. „Unfallursache und -hergang müssen sich zweifelsfrei feststellen lassen“, sagt Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Das gelte beispielsweise für die Frage, ob Alkohol oder Drogen mit im Spiel waren. „Die Fahrtüchtigkeit des Unfallverursachers kann nur unmittelbar nach dem Unfall festgestellt werden“, so Asmussen.

Bei Buschmanns Änderungen am Straftatbestand ist also noch mit Änderungen zu rechnen. Das sagte auch eine BMJ-Sprecherin: „Dem Ministerium ist es wichtig, die Argumente relevanter Verbände in seine Erwägungen einzubeziehen.“ Eine Entscheidung, ob und wie eine mögliche Anpassung erfolgen soll, sei noch nicht getroffen worden, heißt es aus dem Ministerium.

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