Ankara. Um seine Macht zu retten, sucht sich der türkische Staatschef Erdogan neue Verbündete – auch solche mit Verbindungen zum Terrorismus.

Bei der Wahl seiner politischen Partner war Recep Tayyip Erdogan noch nie wählerisch – Hauptsache, er bleibt an der Macht. 2018 paktierte er mit der neofaschistischen „Partei der Nationalistischen Bewegung“ (MHP), um die Präsidenten- und Parlamentswahl zu gewinnen. Wenig später kam die rechtsextrem-islamistische BBP als Partner hinzu. Bei den Wahlen am 14. Mai muss Erdogan nun erneut um seine Wiederwahl und die Mehrheit im Parlament bangen. Deshalb sucht er neue Unterstützer.

Und die sind klein. Zusammen kommen die beiden islamistischen Splitterparteien YRP und Hüda Par in den Umfragen nicht einmal auf zwei Prozent – viel zu wenig, um ins Parlament einzuziehen. Doch Erdogan hofft trotzdem, dass die neuen Partner ihm bei den Parlamentswahl, wenn es um jede einzelne Stimme geht, die Mehrheit sichern werden. Im Gegenzug könnten beide Parteien im Huckepack-Verfahren doch den einen oder anderen Sitz in der Großen Nationalversammlung erobern.

WahlTürkei-Wahl 2023
(Stichwahl)
DatumSonntag (28. Mai 2023)
OrtTürkei
Gewählt wirdPräsident
Wahlberechtigt sindRund 64 Millionen Menschen
Kandidaten für PräsidentenamtRecep Tayyip Erdoğan (69) und Kemal Kılıçdaroğlu (74)

Es geht den Führern der beiden Splitterparteien, Hüda Par-Chef Zekeriya Yapicioglu und dem YRP-Vorsitzenden Fatih Erbakan, aber nicht nur um die Parlamentsmandate. Sie wollen als Erdogans Mehrheitsbeschaffer politischen Einfluss gewinnen. Und da beginnt es unheimlich zu werden.

Hüda Par ist politischer Arm der türkischen Hizbullah

Die Hüda Par, die „Partei der freien Sache“, gilt als politischer Arm der türkischen Hizbullah. Die Organisation hat seit den 1990er Jahren zahlreiche politisch motivierte Morde begangen – unter anderem an der feministischen Autorin Konca Kuris 1999 und an Gaffar Okkan, dem Polizeichef von Diyarbakir. Er und fünf seiner Leibwächter wurden im Januar 2001 von mehr als einem Dutzend Angreifern, die der Hizbullah zugerechnet wurden, mit automatischen Waffen niedergestreckt.

Der türkische Präsident Erdogan muss um seine Wiederwahl fürchten – und lässt sich deshalb auch von Extremisten unterstützen.
Der türkische Präsident Erdogan muss um seine Wiederwahl fürchten – und lässt sich deshalb auch von Extremisten unterstützen. © AF | ADEM ALTAN

2012 formierte sich die Hizbullah als Hüda Par politisch. 2017 unterstütze die Partei Erdogan bei der Volksabstimmung, mit der er seine Präsidialverfassung durchsetzte. Die Unterstützung gab es nicht zum Nulltarif: Zahlreiche Hizbullah-Terroristen wurden in den Jahren danach vorzeitig aus der Haft entlassen. Von der terroristischen Vergangenheit der Partei will Erdogan nichts wissen. Er spricht jetzt von „Freunden“, die sich seiner Volksallianz angeschlossen hätten.

Erdogan paktiert mit Grauen Wölfen – mit Nähe zu Mafia

Berührungsängste mit Extremisten kennt Erdogan nicht. Das bewies schon sein vor fünf Jahren geschlossener Pakt mit der neofaschistischen MHP. Sie ist die politische Heimat der berüchtigten Grauen Wölfe, die maßgeblich an den bürgerkriegsähnlichen Unruhen in der Türkei Ende der 1970er beteiligt waren. Nach offiziellen türkischen Angaben werden den Grauen Wölfen in den Jahren 1974 bis 1980 insgesamt 694 Morde zur Last gelegt.

Ihr Terror richtete sich vor allem gegen Linke, Gewerkschafter und Kurden. Die Organisation unterhält enge Verbindungen zur organisierten Kriminalität und zur türkischen Mafia. Auch in Deutschland ist sie aktiv und wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung sind die Grauen Wölfe mit rund 18.000 Mitgliedern die größte rechtsextreme Organisation in Deutschland.

Eine Hand zeigt den
Eine Hand zeigt den "Wolfsgruß" der Grauen Wölfe während einer pro-ürkischen Demonstration. Die Grauen Wölfe werden in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet. © picture alliance/dpa | Peter Kneffel

Im Parlament ist Erdogan auf die 48 Mandate der MHP angewiesen, ohne sie hat er keine Mehrheit. MHP-Chef Devlet Bahceli nutzt das aus und treibt Erdogan vor sich her. Der verschärfte Kurs der Regierung in der Migrationspolitik und die aggressiven Töne gegenüber dem Westen sind vor allem dem Druck der MHP geschuldet. Der Einfluss der Ultranationalisten auf die Regierungspolitik in Ankara ist viel größer, als es ihr politisches Gewicht – elf Prozent bei den Wahlen von 2018 – vermuten lässt.

MHP-Chef hat Schlüsselpositionen in Justiz und Polizei gesichert

Bahceli hat sich Schlüsselstellungen in der Justiz, in der staatlichen Verwaltung und im Sicherheitsapparat für seine Leute gesichert. Das wirft auch die Frage auf, wie geordnet eine mögliche Wahlniederlage Erdogans ablaufen würde. Während die MHP bei früheren Wahlen nur mit Ach und Krach über die Zehnprozenthürde kam, braucht Bahceli jetzt nicht mehr zu zittern – auch wenn seine Partei in jüngsten Umfragen nur noch bei fünf Prozent liegt.

Auch interessant: Jetzt droht Erdogan eine politische Katastrophe

Erdogan ließ das Wahlrecht so ändern, dass die MHP nun auf dem Ticket der Regierungspartei AKP in die Nationalversammlung kommen kann. Wie die MHP in der Vergangenheit, wird auch die Hüda Par von Erdogan Gegenleistungen erwarten. Sie fordert die Abschaffung des Gesetzes 6284, das Frauen und Kinder von Gewalt und Missbrauch schützt. Außerdem tritt sie für die Geschlechtertrennung an Schulen und Universitäten ein.

Sie will das islamische Recht, die Scharia einführen, Ehebruch unter Strafe stellen und „Perversionen unserer moralischen Werte“ strafrechtlich verfolgen, um „die Integrität der Familie zu schützen“ – ein Hinweis darauf, was lesbischen, schwulen, bisexuellen und Transgender-Menschen in der Türkei drohen könnte, wenn Erdogan erneut die Wahl gewinnt und sich seinen neuen Freunden erkenntlich zeigen muss.

Mehr zum Thema: Erdbeben-Katastrophe: Erdogans größte Bewährungsprobe