Gab es mehr als Homo Sapiens und Neandertaler? Ein uralter Schädel aus China bringt die traditionelle Evolutionslehre durcheinander.

  • Ein archäologischer Fund könnte die Evolutionslehre revolutionieren
  • Schädelreste werfen ein neues Licht auf menschliche Ursprünge
  • Enthüllt der Schädel eine bislang unbekannte menschliche Hybrid-Spezies?

Berlin. Wem begegneten unsere Vorfahren vor Hunderttausenden Jahren in den Steppen Afrikas und Asiens? Die Forschung der Paläoanthropologie gewinnt durch die Ausgrabungen von Archäologen immer mehr Erkenntnisse zur Evolutionsgeschichte des Menschen. Klar ist: Der moderne Mensch stammt nicht immer in direkter Linie von den bekannten Menschenarten ab, sondern ko-existierte neben ihnen, bekämpfte sie und hatte sogar Sex mit ihnen. Eine aufsehenerregende Studie eines in China gefundenen Schädels könnte nun dem Puzzle um die Gattung Homo das nächste Teil hinzufügen.

Ein internationales Team aus Wissenschaftlern konnte dem menschlichen Fossil keine bisher bekannte Menschenart wie Homo sapiens, Neandertaler oder Homo naledi zuordnen. Neben Teilen des Schädels untersuchten die Forscher ein Stück des Kiefers sowie mehrere Beinknochen des mysteriösen Urmenschen, den sie 2019 im chinesischen Hualongdong entdeckten.

Der in China gefundene Schädel könnte zu einer bislang unbekannten Menschenart gehören.
Der in China gefundene Schädel könnte zu einer bislang unbekannten Menschenart gehören. © Chinese Academy of Sciences / PNAS

Laut den Experten der Chinese Academy of Sciences (CAS) ähnelt das Gesicht den Menschenarten, die sich wie der moderne Mensch vor 750.000 Jahren vom Homo erectus abspalteten. Gleichzeitig deutet eine sehr schwache Kinnpartie auf die Artverwandschaft mit dem Denisova-Menschen hin. Der Denisova-Mensch aus Sibirien war eng mit dem Neandertaler verwandt und könnte noch vor bis zu 14.500 Jahren gelebt haben.

Schädelfund in China könnte völlig neue Hybrid-Menschenart beweisen

Für die Wissenschaftler lassen die Untersuchungen an dem vorläufig als "HLD 6" klassifizierten Menschen einen aufregenden Schluss zu. Der Schädel könnte zu einer Menschenart gehören, die ein Hybrid aus dem Homo erectus, dem modernen Menschen und dem Zweig der Denisova-Mensch ist. Die Knochen selbst sollen außerdem von einem 12 bis 13 Jahre alten Urmenschen stammen.

Viele Merkmale des Urmenschen ähneln dem Homo sapiens. Neben Teilen des Schädels ist auch ein Kieferknochen entdeckt worden.
Viele Merkmale des Urmenschen ähneln dem Homo sapiens. Neben Teilen des Schädels ist auch ein Kieferknochen entdeckt worden.

Der Schädelfund reiht sich in eine Vielzahl von unterschiedlichen Knochenfunden aus China ein, die bisher keiner bekannten Evolutionslinie der Menschenarten zugeordnet werden konnten. Forscher schätzen die Schädelüberreste von "HLD 6" auf ein Alter zwischen 275.000 und 331.000 Jahre. Der moderne Mensch, Homo sapiens, erreichte China erst vor 120.000 Jahren. In der Ausgrabungsstätte von Hualongdong wurden noch 30 weitere Überreste von Menschenarten entdeckt, deren Abstammung zueinander noch nicht geklärt ist.

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Evolution kompakt: Eine kurze Geschichte der Menschheit

Der Abguss eines Neandertaler-Schädels im Staatlichen Museum für Archäologie Chemnitz.
Der Abguss eines Neandertaler-Schädels im Staatlichen Museum für Archäologie Chemnitz. © picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt

  • Ursprung in Afrika: Die ersten Hominiden, unsere entfernten Vorfahren, tauchen vor etwa 6 bis 7 Millionen Jahren in Afrika auf
  • Aufrecht gehen: Die Entwicklung des aufrechten Gangs ermöglicht neue Lebensweisen und die Nutzung von Werkzeugen, wie bei der Gattung Homo habilis vor rund 2,4 Millionen Jahren
  • Feuer und Sprache: Homo erectus beherrscht vor etwa 1,9 Millionen Jahren das Feuer und entwickelt wahrscheinlich einfache Formen der Kommunikation
  • Neandertaler und Homo sapiens: Vor etwa 300.000 Jahren treten der Neandertaler und der moderne Mensch (Homo sapiens) auf den Plan. Beide Arten leben eine Zeit lang nebeneinander
  • Globale Ausbreitung: Homo sapiens verlässt Afrika und besiedelt vor etwa 70.000 Jahren den gesamten Globus, was zum Aussterben anderer Hominiden-Arten und zur Entstehung verschiedener Kulturen führt

Menschliche Evolution: Vom Uraffen zum modernen Menschen

Die Wissenschaft der Paläoanthropologie beschäftigt sich mit den von den Menschenaffen abzweigenden, zumeist ausgestorbenen Arten der Hominini. Dazu gehören beispielsweise der Homo erectus und neu entdeckte "HLD 6". Heute geht die Forschung davon aus, dass man die verschiedenen Menschenarten weniger als Stammbaum sondern vielmehr als Stammbusch betrachten muss. Viele verschiedene Arten lebten zur gleichen Zeit, hatten die gleichen Vorfahren, entwickelten aber unterschiedliche Merkmale.

Der Schädel eines Homo Sapiens (Archivbild).
Der Schädel eines Homo Sapiens (Archivbild). © picture alliance / dpa | Lex Van Lieshout

Den Ursprung des Homo sapiens bestimmen die Paläoanthropologen unumstritten in Afrika. Der älteste Beleg des modernen Menschen, ein Knochen aus der Höhlenfundstelle in Djebel Irhoud in Marokko, wird auf ein Alter von 300.000 Jahren geschätzt. Damit ist der moderne Mensch 200.000 Jahre älter als man vor dem Fund 2017 angenommen hatte. Vor rund 130.000 Jahren dann wanderten Gruppen des Homo sapiens von Afrika nach Asien aus und besiedelten weite Teile der Erde. Eine Entwicklung durch die der Mensch eine ganze Erdepoche mit all ihren Folgen für die Umwelt prägte: das Anthropozän, das Zeitalter der Menschen.

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