Braunschweig. Kritiker halten die bundesweite Razzia gegen die Gruppe für überzogen. Laufen in Niedersachsen Ermittlungen gegen Mitglieder?

Sind die Klima-Aktivisten der „Letzten Generation“ kriminell? Die Gruppe bestreitet das. „Müssen wir in Deutschland erst eine Dürre erleben, an Nahrungsmittelknappheit leiden (...), bevor wir verstehen, dass die Letzte Generation für unser aller Leben einsteht und dass das nicht kriminell ist?“, fragte ihre Sprecherin Aimée van Baalen. Unterstützung kam vom geschäftsführenden Vorstand von Greenpeace, Martin Kaiser: „Mit Hausdurchsuchungen auf den unbequemen, aber friedlichen zivilen Ungehorsam der Letzten Generation zu reagieren, ist vollkommen unverhältnismäßig.“ Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte dagegen, die Maßnahmen zeigten, „dass der Rechtsstaat sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt“.

Nach der Razzia in sieben Bundesländern gegen die Klimaschutzgruppe reichten die Reaktionen am Mittwoch von „vollkommen unverhältnismäßig“ bis „richtiges Signal eines wehrhaften Rechtsstaates“. Rund 170 Beamte durchsuchten ab dem frühen Morgen 15 Wohnungen und Geschäftsräume, wie die Generalstaatsanwaltschaft München und das bayerische Landeskriminalamt mitteilten. Der Tatvorwurf lautet auf Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung.

„Wir müssen diese Opfer bringen, weil die Klimakatastrophe Realität ist“

Edmund Schultz aus Braunschweig arbeitet als Projektmanager im Klimaschutz. Er war an verschiedensten Umweltschutz-Aktionen beteiligt, darunter auch bei solchen der „Letzten Generation“. Schon mehrfach hat er sich in Braunschweig, in Hannover und anderen Städten auf Straßen festgeklebt. Als Folge davon wurde bei ihm vergangenen Dezember eine Hausdurchsuchung durchgeführt. „Sowas zu erleben, ist nicht angenehm. Wir müssen aber diese Opfer bringen, weil die Klimakatastrophe Realität ist.“

Die Proteste der „Letzten Generation“ sieht er dadurch legitimiert, dass es einen „Notstand“ gebe, die Bundesregierung aufgrund Artikel 20a Grundgesetz (Schutz der Umwelt, des Klimas und der Tiere durch den Staat) eigentlich handeln und notwendige Maßnahmen ergreifen müsste, das Gegenteil davon aber tue. „Die Regierung bricht das Völkerrecht, das Pariser Klimaabkommen von 2015, und ihre eigenen, ohnehin schon völlig unzureichenden Gesetze. Wenn es einen Notstand gibt, ist es unser gutes Recht, darauf hinzuweisen. Nichts anderes machen wir.“

Blockade auf der Wolfenbütteler Straße im Mai 2022: Klimaaktivisten der Gruppe
Blockade auf der Wolfenbütteler Straße im Mai 2022: Klimaaktivisten der Gruppe "Letzte Generation", darunter Edmund Schultz (links außen). © Cornelia Steiner

Die Razzien unter dem Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung kritisiert er deutlich: „Der Staat besitzt das Gewaltmonopol, aber er setzt das nun illegal ein, um unseren legitimen Widerstand zu unterdrücken.“ Noch ist es zu früh zu sagen, wie Gerichte die Razzien und schweren strafrechtlichen Vorwürfe bewerten. Mit Blick auf die Razzien gegen die „Letzte Generation“ sieht Schultz auch persönliche Konsequenzen für sich. „Deshalb brauchen wir so viel Unterstützung wie möglich aus der Bevölkerung und vor allem auch mutige Richter.“

Auch in Brandenburg laufen Ermittlungen gegen die Klimaprotestler

Zuletzt hatte es immer wieder Diskussionen darüber gegeben, ob die „Letzte Generation“ als kriminelle Vereinigung einzustufen ist. Berlins neue Justizsenatorin Felor Badenberg lässt das derzeit prüfen: Leben und Alltag der Menschen in der Hauptstadt seien durch die Aktivitäten der Klimademonstranten erheblich beeinträchtigt und mitunter auch gefährdet, sagte sie. Daher gelte es, alle gesetzlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Im benachbarten Brandenburg laufen gegen die Gruppe bereits Ermittlungen wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Hintergrund des Verfahrens bei der Staatsanwaltschaft Neuruppin sind unter anderem Attacken von Aktivisten seit April 2022 auf Anlagen der Raffinerie PCK Schwedt.

Dem niedersächsischen Justizministerium ist dagegen nicht bekannt, dass Verfahren gegen Mitglieder beziehungsweise Anhänger der „Letzten Generation“ wegen des Vorwurfs der Bildung krimineller Vereinigungen bei niedersächsischen Staatsanwaltschaften anhängig sind, wie eine Sprecherin auf Anfrage mitteilte.

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