Hannover. Zäh, zahlreich und nicht ungefährlich: Bei der „Zeckenbeflaggung“ auf einem Friedhof lernt man auch, welche Tiere von Zecken verschont werden.

Zecken, wo seid ihr? Typisch: Jetzt wünscht man sich ausnahmsweise mal eine herbei – aber nichts da. Dr. Masyar Monazahian, Virologe und Zecken-Experte im Niedersächsischen Landesgesundheitsamt, geht über den alten Friedhof am Lindener Berg in Hannover. Dabei lässt er seine „Flagge“, also ein an Stöcken befestigtes Baumwolltuch, über Gras und Kräuter schleifen. Nein, er ruft nicht „Put, Put, Put“, solche Albernheiten fallen nur dem Reporter ein, der zum ersten Mal an einer „Zeckenbeflaggung“ teilnimmt und natürlich auch gleich das Gefühl hat, ihm würden kleine juckende Lebewesen die Beine hochkrabbeln.

Der Wissenschaftler dagegen betrachtet in aller Seelenruhe sein immer noch blütenweißes Tuch und geht ganz langsam weiter. Er weiß ja, dass hier weder der Vorführeffekt noch irgendeine Ahnung des Gemeinen Holzbocks (der hierzulande dominierenden Zeckenart) seinen Jagd- oder Sammelerfolg verlangsamen. Stattdessen geht er davon aus, dass die Zecken sich aufgrund der Erschütterungen beim Rasenmähen, das ausgerechnet heute auf dem Friedhof stattfand, verkrochen haben dürften.

Aber keine Sorge, eine halbe Stunde später kriechen dann doch drei, vier Zecken auf jeweils acht Beinen über die Baumwolltücher, mit denen Monazahian und Kollegin Dr. Sylvia Olbrich auf dem idyllischen Friedhof zugange sind. Keine Holzböckchen sind es, sondern „adulte Weibchen“. Ihre Aussichten sind ausgesprochen ungünstig: Um ihre Nukleinsäure auf Krankheitserreger zu untersuchen, werden sie später im Labor „zermörsert“, wie Monazahian das nennt. Vor allem die Frage nach FSME-Viren ist in diesem Zusammenhang höchst relevant. Die Frühsommer-Meningoenzephalitis ist in Süddeutschland ein viel größeres Problem als in Niedersachsen. Dennoch: „Im Landkreis Cuxhaven, in Nienburg, im Emsland und in der Region Hannover haben wir FSME-Viren vereinzelt in Zecken nachweisen können“, sagt Monazahian. Die Ergebnisse zeigten, dass das FSME-Virus in Niedersachsen auch außerhalb des Landkreises Emsland vorkomme, sagt der Zecken-Checker, fügt aber auch hinzu: „Eine Infektion ist in den meisten Gebieten immer noch sehr unwahrscheinlich.“

Was sollen die Biester überhaupt?

Doch bevor es jetzt gleich schon wieder um die Krankheiten geht, die diese zur Klasse der Spinnentiere gehörenden Blutsauger verursachen können, um die Tipps zur Vermeidung von Zeckenstichen oder auch die Frage, ob man überhaupt „Stich“ oder „Biss“ sagen sollte, lehnen wir uns kurz zurück und erlauben uns eine ketzerisch-abgründige Frage: Was, verehrte Evolution, sollen diese ekelhaften Biester eigentlich? Die Antworten, die sich finden lassen, laufen auf diesen Satz hinaus: Auch Parasiten gehören dazu, und sei es, um ihre Wirte zu schwächen und so indirekt zur Ernährung wieder anderer Lebewesen beizutragen. Plausibel? Ja, schon, aber ein wirklich schöner Gedanke ist das eigentlich auch nicht…

Egal, zurück zum Friedhof: Dem Landesgesundheitsamt wird niemand Panikmache vorwerfen können. Doch der öffentliche Zeckensuchtermin hat schon einen Grund: Es soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Zecken nicht nur in der „freien Natur“ vorkommen, sondern dass mit ihnen auch auf städtischen Grünflächen, vor allem in Grünstreifen am Waldrand, zu rechnen ist, wobei sie direkte Sonneneinstrahlung vermeiden. Und das „Medienecho“ auf dem Friedhof spricht sehr dafür, dass das Thema Zecke allgemein und diese städtische Facette im Besonderen interessant gefunden wird: Ein journalistischer Pulk umringt zunächst die Tücher und die Tierchen. Geradezu zeckenartig zäh musste man vorgehen, um die Experten auch mal solo bedrängen zu können. Dann aber war es möglich, mit der Ärztin Bettina Wilhelm (Gesundheitsamt der Region Hannover) speziell über den besten Schutz und mit Masyar Monazahian etwas grundsätzlicher über Zecken zu sprechen.

So schützt man sich richtig

Die Schutzfrage ist zum einen wichtig und zum anderen niemals hundertprozentig zu klären. Auch Bettina Wilhelm erzählt zunächst, dass ihre Tochter vor wenigen Tagen erst gestochen wurde. Apropos: Die meisten Expertinnen und Experten sagen „stechen“, weil die „Methode“, mit der die Zecke Tiere und Menschen anzapft, weniger beißend als stechend und saugend ist. Das, was die Ärztin erzählt (und was in vielen Faltblättern steht, obwohl man es oft genug dann doch nicht beherzigt), lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Erster Tipp: Wer am Waldrand und besonders im Unterholz unterwegs ist, sollte feste Schuhe tragen und die Strümpfe über die Hosenbeine streifen. Auch empfiehlt sich helle Kleidung, auf der man Zecken gut erkennen kann.

Zweiter Tipp: Nach einer solchen Tour sollte man Kleidung und Körper gründlich absuchen. Zecken „mögen“ dünne und warme Hautstellen an den Armen, den Kniekehlen, am Hals und im Schritt. Eltern sollten ihre Kinder nach dem Spielen im Wald und auf der Wiese gründlich absuchen. Auch der mitgeführte Hund sollte kontrolliert werden. Nicht nur seinetwegen: Noch nicht angesaugte Zecken können vom Hund auf Herrin oder Herrn übergehen.

Dritter Tipp: Zeckenabweisende Hautschutzmittel sind empfehlenswert, auch wenn sie keine Garantie dafür bieten, nicht gestochen zu werden. Das Organ, mit dem die Zecken riechen oder wittern, ist das nach einem deutschen Apotheker des 19. Jahrhunderts benannte „Hallersche Organ“ am Vorderbein. Es registriert Kohlendioxid, das beim Ausatmen entsteht, und auch im Schweiß enthaltene Stoffe.

Vierter Tipp: Aber was tun, wenn „es“ trotzdem geschehen ist? Ganz verkehrt ist laut Gesundheitsamts-Expertise das Betäuben der Zecke mit Öl. Mit diesem Schock mache man sie nur wild und verursacht gegebenenfalls sogar Speichelabgabe und die Übertragung von Erregern, erläutert Monazahian. Stattdessen sollte man sie schnell entfernen, am besten mit Pinzette oder Zeckenzange – und zur Not eben auch mit den Fingerspitzen, indem man sie so hautnah wie möglich, an den Mundwerkzeugen und bloß nicht am vollgesogenen Körper fasst und dann herauszieht, ohne sie zu zerquetschen. Danach empfiehlt sich die Desinfektion des Einstichs.

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Die beiden bösen Krankheiten

In östlich von uns gelegenen Weltgegenden, vor allem in Südostasien, ist die Gefahr, die von Zecken ausgeht, viel größer als bei uns. Trotzdem: Die häufigste Zeckenart bei uns, der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus), ist in zweierlei Hinsicht gefährlich. Zunächst zur Lyme-Borreliose: Mit Borreliose kann man sich laut Landesgesundheitsamt überall in Niedersachsen infizieren, denn bis zu vierzig Prozent der Zecken tragen diesen Erreger in sich. Die Borrelien befinden sich im Darm der Zecke. Bevor der Erreger übertragen wird, muss die Zecke eine längere Zeit saugen – so dass das Risiko, wenn man sie frühzeitig entfernt, sehr gering ist.

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© Julian Stratenschulte / dpa | Kristin Heine

Das Robert-Koch-Institut zitierte im Jahr 2021 Studien, denen zufolge bis zu dreihunderttausend Fälle pro Jahr in Deutschland vorkommen. Das markante Zeichen in Sachen Borreliose ist die „Wanderröte“, die Tage oder Wochen nach dem Unglücksstich auftreten kann, eine ringförmige Hautrötung, deren roter Ring allmählich nach außen wandert. Doch auch unter Fieber, Kopfschmerzen und Müdigkeit können die Patienten leiden, wie Bettina Wilhelm erläutert. Oder noch einmal eine RKI-Einschätzung im Wortlaut: „Allerdings handelt es sich bei den allermeisten Erkrankungen um vergleichsweise milde Verläufe, die mit Antibiotika gut behandelbar sind.“ Aber erkannt werden muss das Problem natürlich schon…

Noch etwas ausführlicher ist auf dem Friedhof in Linden von der FSME-Infektion die Rede. Die Faustformel ist: In Risikogebieten – vor allem in Süddeutschland, aber auch im Landkreis Emsland – ist die Impfung („sehr gut verträglich“, sagt Bettina Wilhelm) eine gute Idee. „Aber auch für alle, die sich beruflich oder in ihrer Freizeit häufig in der Natur aufhalten, kann nach einer individuellen Risikobewertung eine solche Impfung sinnvoll sein“, sagt Bettina Wilhelm und kommt im Hannoverschen Sonnenschein auch gleich auf ein frühsommerliches Thema zu sprechen: „Vor allem sollten sich Urlauberinnen und Urlauber, die in FSME-Risikogebieten unterwegs sind, rechtzeitig vor der Reise ärztlich über eine Impfung informieren lassen.“ Wie gesagt: Es geht nicht um Panikmache. Doch erst im April 2023 schlug Gerhard Dobler vom Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr Alarm, weil die FSME-Infektionen nach Zeckenstichen des Öfteren nicht erkannt würden. „Wir sehen, dass die Frühsommer-Meningoenzephalitis vor allem im Erststadium und erst recht bei Kindern relativ unspezifisch verlaufen kann“, sagte Dobler, und rief die Ärzte dazu auf, sich nicht alleine auf die FSME-Risikokarte zu verlassen.

Die faszinierenden Tierchen

Dr. Masyar Monazahian ist mit den Zecken seit langem befasst, hat schon in den 90er Jahren über sie gearbeitet. Mit raschen Analysen in Sachen Zecke und Klimawandel ist er vorsichtig. Aber natürlich wirkten sich milde Winter direkt und indirekt positiv auf die Zahl der Zecken aus. „Fest steht: Die Zecke mag es feucht und warm“, sagt er. Auch dass bei den „Schildzecken“ wie dem Gemeinen Holzbock der besagte Schild beim Männchen den gesamten Rumpf bedeckt, bei den größeren Weibchen aber nur etwa die Hälfte, kann man auf dem Friedhof noch aufschnappen. Andere faszinierende Details findet man dann auf den zeckenkundlichen Websites. Am erstaunlichsten finde ich persönlich drei Eigenheiten. Erstens: Wie lange mag eine Zecke mit einer einzigen Blutmahlzeit zufrieden sein? Die Antwort: Unter Umständen jahrelang. Zweitens: Warum bemerkt man oft nicht, wenn man von einer Zecke gestochen wird? Die Antwort: Beim Stechen geben Zecken mit ihrem Speichel ein Betäubungsmittel ab – da haben wir sie wieder, die schreckliche Raffinesse der Evolution. Letztens: Ein Säugetier gibt es, das gar keine entsprechenden Probleme hat, weil es auf eine Weise riecht, die sämtliche Zecken fernhält. Das sind Giraffen. Bemerkenswert, oder? Leider hat man selten eine zur Hand, die einen beim Spaziergang begleiten würde…