Hannover. Der Grüne Rathauschef Belit Onay will mit der Entscheidung zur Elternzeit ein Zeichen setzen. Was hält die Politik von diesem Schritt?

Wieder mal war es Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay, der Schlagzeilen machte. Und das über Niedersachsen hinaus. Der Grüne, der schon demonstrativ einen City-Autoparkplatz für Kleinkunst-Auftritte sperren ließ und sich spektakulär zu Gesprächen mit Klimaklebern der „Letzten Generation“ bereitfand, ließ jüngst mit einer weiteren Ankündigung aufhorchen.

„Oberbürgermeister Belit Onay plant, für die Monate Juli und August in Elternteilzeit zu gehen“, teilte die Pressestelle im Neuen Rathaus mit. Onay werde seine wöchentliche Arbeitszeit auf 32 Stunden reduzieren. „Meine Familie ist mir sehr wichtig, und ich versuche trotz der zeitintensiven Arbeit in meinem Amt, auch Verantwortung in der Familienarbeit zu übernehmen“, erklärte der Oberbürgermeister. Die zwei Monate wolle er nutzen, um mehr Zeit mit seinen beiden kleinen Kindern zu verbringen und dafür einen verbindlichen Rahmen setzen. Eine entsprechende Drucksache sei den zuständigen Ratsgremien zur Entscheidung zugegangen und solle im Verwaltungsausschuss beschlossen werden, so die Stadt.

In seiner Grünen Partei dürfte der in Goslar geborene Jurist und Ex-Landtagsabgeordnete einmal mehr den richtigen Nerv getroffen haben. Doch Onay will auch ein Zeichen darüber hinaus setzen, das ist deutlich. „Ich möchte mit meiner Entscheidung alle Väter – nicht nur in unserer Stadtverwaltung – darin bestärken, von den Elternzeitmodellen Gebrauch zu machen. Führungskräfte übernehmen hier eine besondere Vorbildfunktion“, betonte er. „Es steht allen Vätern unabhängig von ihrem Beruf oder ihrer Position offen, Verantwortung und Zeit für die Familie zu übernehmen. In welchem Umfang, ist eine individuelle Abwägung“, so Onay.

„Höchster Repräsentant“

Eine Vertretungsregelung gibt es für den OB natürlich, der ja außerdem mit seiner Arbeitszeit keineswegs auf „Null“ geht. Die Reduzierung fällt zudem in die Sommerzeit. Rechtsgrundlage sind laut Stadt Hannover das Niedersächsische Beamtengesetz sowie die Mutterschutz- und Elternzeitverordnung des Bundes – „wenn zwingende dienstliche Belange nicht entgegenstehen“. Möglich seien bis zu 24 Monate zwischen dem dritten Geburtstag und dem vollendeten achten Lebensjahr des Kindes. Dass er Elternzeit nutzen wolle, hatte Onay bereits im OB-Wahlkampf angekündigt. Zwar hebt die Stadt auf ihren Webseiten hervor: „Der Oberbürgermeister ist der höchste Repräsentant der Landeshauptstadt Hannover und zugleich Leiter der Verwaltung.“ Ihm obliege die repräsentative Vertretung der Landeshauptstadt Hannover. Er vertrete die Stadt in Rechts- und Verwaltungsgeschäften sowie in gerichtlichen Verfahren nach außen. Doch ein großes Thema war die fristgerechte Ankündigung nicht.

Väteranteil am Elterngeld
Väteranteil am Elterngeld © Jürgen Runo

Wenn ein gewähltes Oberhaupt einer Großstadt also reduzieren darf, was ist dann eigentlich mit Mitgliedern der Landesregierung, was mit Ministerpräsident Stephan Weil (SPD)? „Gemäß Artikel 34 Abs. 1 Satz 1 der Niedersächsischen Verfassung sind Mitglieder der Landesregierung keine Beamtinnen oder Beamte“, heißt es seitens des Niedersächsischen Innenministeriums. Sie stünden laut Ministergesetz in einem öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis zum Land. Das aber sehe keine Regelungen zur Arbeitszeit der Regierungsmitglieder vor. Deren „zeitlicher Umfang“ werde von den Regierungsmitgliedern selbst bestimmt und verantwortet. Arbeit also bis zum Umfallen, und das ohne Rücksicht auf die Familie? Diesen Eindruck will man in einer rot-grünen Koalition offenbar auch nicht aufkommen lassen. „Insbesondere im Rahmen ihrer familienfreundlichen Ausrichtung stünde der Ministerpräsident dem Wunsch eines Regierungsmitglieds auf zeitliche Reduzierung der Amtswahrnehmung grundsätzlich positiv gegenüber“, ließ die Staatskanzlei über das Innenministerium wissen. Die wäre „in eigener Verantwortung des Regierungsmitglieds, jedoch im Rahmen der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach Absprache innerhalb der Landesregierung demnach grundsätzlich umsetzbar“. Praktisch wohl eher nicht. So hatte beispielsweise Finanzminister Gerald Heere (Grüne) durchblicken lassen, dass er mit Blick auf die Familie zumindest die Zahl der Abendtermine möglichst etwas begrenzen wolle. Ob’s klappt?

Und dann sind da ja auch noch die Staatssekretärinnen und Staatssekretäre als „Nummer Zwei“ in den Ministerien. Sie sind in der Regel politische Beamte, haben also gemäß Beamtengesetz aus familiären Gründen relativ weitgehende Ansprüche auf Teilzeit. Ansonsten muss das im Einzelfall abgestimmt werden. „Das Abgeordnetengesetz und die Geschäftsordnung des Landtages enthalten bislang keinerlei Regelungen zu Teilzeitmöglichkeiten oder die Inanspruchnahme etwa von Mutterschutz und Elternzeit für Mitglieder des Landtages“, sagt Landtagssprecher David-Leon Rosengart zum Anspruch von Landtagsabgeordneten. Regelungen des Niedersächsische Beamtengesetzes und gesetzliche Regelungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ließen sich nicht analog anwenden.

Landtagspräsidentin Hanna Naber (SPD) allerdings plädierte schon dafür, Regelungen zu Mutterschutz und Elternzeit von Abgeordneten gesetzlich zu verankern. Die entsprechende Gesetzgebung allerdings ist Sache der Landtagsfraktionen. Der Braunschweiger Grünen-Landtagsabgeordnete Andreas Hoffmann ist Vater einer neun Wochen alten Tochter, seine Frau sitzt im Braunschweiger Rat. „Die Tage sind aufeinander abgestimmt“, erzählt Hoffmann – Termine in seinem Braunschweiger Wahlkreis gingen derzeit nur eingeschränkt, und statt drei schafft er derzeit nur noch zwei „Hannover-Tage“. Bei der Plenarsitzung in der kommenden Woche sitzt der Finanzpolitiker aber auf seinem Platz im Landtag. Viel läuft, wo immer möglich, per Videoschalte und Telefonat. Für Mütter sei eine solche Situation aber deutlich härter, sagt er. Allein schon wegen des Stillens, während vieler langer Sitzungen in Präsenz. Unter Naber-Amtsvorgängerin Gabriele Andretta (SPD) hatte der Landtag versucht, mehr für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu tun. So wurden ein Eltern-Kind-Büro und eine Kita eingerichtet.

Normalerweise 60 Stunden

Der Braunschweiger SPD-Bundestagsabgeordnete Christos Pantazis nahm 2022 als frischgebackener Vater von Zwillingen im Mai „Familienzeit“ – verbunden mit dem Hinweis, dass der Bundestag „grundsätzlich für Abgeordnete nach der Geburt von Kindern keine Familien- beziehungsweise Elternzeit“ vorsehe. Sein gesamtes Mitarbeiterteam werde aber durchgehend in engem Austausch mit ihm stehen.

Onay übrigens kommt nach Angaben eines Sprechers normalerweise auf 60 Stunden in der Woche. Und weniger glatt als für den Grünen lief es im Kreis Stendal in Sachsen-Anhalt für den dortigen Landrat: Patrick Puhlmann (SPD) musste 2022 eine begrenzte Elternzeit im Kreistag durchkämpfen. Auch Puhlmann machte bundesweit Schlagzeilen. Erst mit der Ablehnung durch eine Kreistagsmehrheit, dann – so jedenfalls ein SPD-Magazin für Kommunalpolitik – mit der überfälligen Korrektur des Beschlusses. Wer sich nicht sicher sein könne, Familien- und Berufsleben beziehungsweise die eigene öffentliche Position unter einen Hut zu bekommen, gehe niemals in die Kommunalpolitik, so die dortige SPD-Fraktionsvorsitzende im Kreistag.

Swantje Schendel, familienpolitische Sprecherin der Grünen im niedersächsischen Landtag sagt: „Politische Mandate sollten auf jeder Ebene mit einer Familie vereinbar sein.“ Es sei wichtig, auch die Perspektiven junger Eltern in die Politik einzubringen. Rechtliche Möglichkeiten sollten ausgeschöpft werden. „Justizministerin Kathrin Wahlmann hält zumindest den regulären Mutterschutz und eine halbjährige Elternzeit von Abgeordneten für vertretbar“, so Schendel. Viele politische Karrieren begännen allerdings in der Kommunalpolitik. Daher solle man auch dort ansetzen. Es sei noch deutlich Luft nach oben.