Osterode. Michael Riechel, Vorsitzender des Vorstandes der Thüga AG, beantwortet Fragen zur Energiewirtschaft, -technik und -versorgung.

Viele Verbraucher im Altlandkreis Osterode decken ihren Energie- beziehungsweise ihren Wasserbedarf über die Harz Energie GmbH & Co. KG. Der wohl führende Energieversorger der Region hat seinen Sitz in Osterode und versorgt etwa 290.000 Menschen überwiegend im Harz, Harzvorland und Eichsfeld mit Strom, Erdgas und Trinkwasser. Die Harz Energie, als Grundversorger in der Region, fördert zudem soziale Projekte, unterstützt Kultur- und Sportveranstaltungen und macht sich für das Ehrenamt stark. Auch als Ausbildungsbetrieb ist das Unternehmen eine feste Größe. Sprecher der Geschäftsführung ist Dr. Hjalmar Schmidt, Geschäftsführer Konrad Aichner.

Das Unternehmen entstand 2002 aus der Fusion der Nordharzer Kraftwerke, der Licht- und Kraftwerke Harz und der Westharzer Kraftwerke.

Harz Energie lieferte im Jahr 2017 2,3 Mrd. kWh Erdgas, 0,7 Mrd. kWh Strom und 5,9 Mio. Kubikmeter Trinkwasser an 180.000 Kunden. Das Netzgebiet der 100-prozentigen Tochtergesellschaft Harz Energie Netz GmbH umfasst 150 Orte im Harz, im Harzvorland sowie im Eichsfeld zwischen Bad Lauterberg, Bad Sachsa, Duderstadt, Goslar, Osterode und Seesen. Insgesamt betreibt die Netzgesellschaft etwa 70.100 Gaszähler, 112.200 Stromzähler und 31.900 Wasserzähler.

Die Energieversorgung einer ganzen Region erfordert viele Mitarbeiter – und lässt sich nicht allein bewältigen. Deshalb ist die Thüga AG ein wichtiger Anteilseigner der Harz Energie. Das Unternehmen mit Hauptsitz in München hat bundesweit etwa 100 Minderheitsbeteiligungen an Stadtwerken und ist das größte kommunal ausgerichtete Netzwerk von Energie- und Wasserdienstleistern in Deutschland. So ist die Thüga AG eben erst als dritter Gesellschafter bei BS Energy eingestiegen, dem Energieversorger in der Region Braunschweig.

Vorsitzender des Vorstandes der Thüga AG ist Dipl.-Ing. Michael Riechel. Der gebürtige Harzer, Jahrgang 1961, hat am Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium in Herzberg seine Hochschulreife erworben und an der TU Clausthal das Studium der Ingenieurwissenschaften absolviert.

Rainer Härtl und Martin Baumgartner sprachen mit dem Vorsitzenden des Vorstands der Thüga AG über aktuelle Fragen zur Energiewirtschaft, -technik und -versorgung.

Klimaschutz und Kohleausstieg gehören in Deutschland weiter zu den Top-Themen. Welche Rolle spielt dabei der Erhalt von Arbeitsplätzen?

In der großen Koalition jedenfalls ist die Energie- und Klimapolitik bislang kein Top-Thema. Im Koalitionsvertrag gibt es viele gute Ideen, die müssen jetzt aber auch angegangen werden. Momentan agiert die Bundesregierung leider sehr zaghaft und verliert sich im Klein-Klein. Das einzig wahrnehmbare Ereignis war bislang die Einsetzung der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“. Auf den ersten Blick kommt man gar nicht darauf, dass das etwas mit Kohleausstieg und Klimaschutz zu tun hat. Selbstverständlich ist dabei der Erhalt von Arbeitsplätzen zu berücksichtigen, besser noch die Schaffung neuer und zukunftssicherer Arbeitsplätze in den betroffenen Regionen. Ich erhoffe mir hier einen Masterplan ähnlich dem Vorgehen beim Ausstieg aus dem Kohlebergbau vor einigen Jahren.

War es unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes ein Fehler, die Atomkraftwerke jetzt schon und so rasch abzuschalten?

Das Thema Kernenergie wurde in Deutschland über Jahrzehnte öffentlich und politisch sehr kontrovers diskutiert. Der finale Ausstieg aus der Kernenergie und die Beschleunigung der Energiewende wurde 2011 vom Bundestag mit überwältigender Mehrheit beschlossen. Dies deckt sich meines Erachtens auch mit der öffentlichen Meinung eines breiten gesellschaftlichen Ausstiegkonsenses. Ich halte daher absolut nichts davon, dieses Thema – auch unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes und der Dekarbonisierung – wieder aufzumachen. Zumal Atomstrom keineswegs CO2-neutral ist, wenn man nicht nur die Stromproduktion, sondern auch die vor- und nachgelagerten Prozesse betrachtet.

Die Ressourcen der Erde neigen sich dem Ende zu, der Energiebedarf der Menschen aber wächst. Wie sehen Sie die Zukunft der Energieversorgung, insbesondere mit Blick auf erneuerbare Energien?

Was die Erzeugung betrifft, halte ich eine Kombination aus erneuerbaren Energien, Erdgas und erneuerbaren Gasen für vielversprechend. Die Thüga-Gruppe engagiert sich seit Jahren in diesen Feldern. Zwei weitere Entwicklungen sind die zunehmende Dezentralisierung der Energieversorgung. Für beides sind die Partnerunternehmen der Thüga durch ihre Nähe zum Kunden und die Verknüpfung der Sektoren bestens aufgestellt.

Welche ist aus Ihrer Sicht die wichtigste Energiequelle der Zukunft?

Die eine wichtige Quelle wird es auch in Zukunft nicht geben. Wir werden auch in Zukunft immer einen Mix aus verschiedenen Primärenergieträgern haben. Aufgrund des notwendigen Klimaschutzes sicherlich immer mehr CO2-arme Energieträger wie Erdgas und CO2-freie Energieträger wie Wind, Sonne und Biomasse. Das Ganze veredelt in verschiedenen Sekundärenergieformen wie Strom oder Gas, um die Energie leichter transportieren, speichern oder direkt nutzen zu können.

Viele Menschen sind für erneuerbare Energien, aber dagegen, wenn das Windrad nur wenige Meter entfernt steht, die Stromtrasse über das eigene Grundstück verläuft oder die Biogasanlage am Ortsausgang entsteht. Bauen wir dennoch genug Windräder, Solarpaneele und Biogasanlagen?

Was Sie beschreiben ist ein bekanntes Phänomen, das auch als „NIMBY“ bezeichnet wird – „Not in my backyard“, frei übersetzt in etwa „Nicht vor meiner Haustür“. Das ist fast schon ein natürlicher Reflex. Aber letztendlich gilt es Gemeinwohl und Partikularinteressen abzuwägen. Ich meine, wenn wir als Gesellschaft „Ja“ zur Energiewende sagen – was wir als Thüga tun – sind erneuerbare Energien-Anlagen und Stromtrassen schlicht die logische Konsequenz.

Natürlich müssen die Auswirkungen auf Mensch und Natur angemessen berücksichtigt werden. Unter Gesichtspunkten wie Rechtssicherheit und Fairness erscheinen bundeseinheitliche Regelungen anstelle von vielen unterschiedlichen Regelungen auf Länderebene sinnvoll. Eine Abstandsregelung wie beispielsweise die 10-H-Regelung in Bayern erscheint wenig zielführend, wenn dadurch der Ausbau der Windenergie faktisch verhindert wird. Um dem Nimby-Phänomen besser zu begegnen, würden wir uns von Seiten der Politik mehr öffentliche Unterstützung wünschen. Und dies auf allen Ebenen – es reicht nicht, wenn in Berlin Ziele verabschiedet werden, ohne dass auf Ebene der Länder und Kommunen eine politische Flankierung der Vorhaben erfolgt. Hier müssen Politik und Energiewirtschaft gemeinsam überzeugen.

Die Energiegewinnung durch Windkraft-Anlagen ist zuletzt in Misskredit geraten: Kritiker sagen, viele Investoren scheinen allein auf schnelle Profite aus und nehmen die Verspargelung der Landschaft rücksichtslos in Kauf und viele der Anlagen würden die prophezeiten Erträge gar nicht erzielen. Außerdem seien die Anlagen in wenigen Jahrzehnten problematischer Sondermüll und in der Erde bleiben riesige Betonblöcke zurück. Welche Haltung hat Ihr Unternehmen zur Windkraft?

„Es reicht nicht, wenn in Berlin Ziele verabschiedet werden, ohne dass auf Ebene der Länder und Kommunen eine politische Flankierung erfolgt“, sagt Dipl.-Ing. Michael Riechel, Vorstandsvorsitzender der Thüga AG.
„Es reicht nicht, wenn in Berlin Ziele verabschiedet werden, ohne dass auf Ebene der Länder und Kommunen eine politische Flankierung erfolgt“, sagt Dipl.-Ing. Michael Riechel, Vorstandsvorsitzender der Thüga AG. © Thüga AG | Falk Heller

Die im Koalitionsvertrag vorgesehenen Sonderausschreibungen bei Wind und Photovoltaik in Höhe von je vier Gigawatt über die nächsten zwei Jahre begrüßen wir. Unsere Partnerunternehmen, die an Thüga beteiligten Stadtwerke, und unsere Plusgesellschaft Thüga Erneuerbare Energien investieren langfristig über 20 bis 25 Jahre in Windenergieprojekte – von schnellem Profit kann dabei keine Rede sein. Zumal aufwändige Genehmigungsverfahren, strikte Regelungen und Vorgaben zu beachten sind. Bei konservativer Planung bringen Windkraftanlagen auch Erträge. Und es ist mitnichten so, dass man am Ende der Betriebsdauer die Anlagen einfach sich selbst überlassen kann. Vor Baubeginn eines Projekts müssen der Behörde die voraussichtlichen Abrisskosten am Ende des Betriebs belegt werden. Eine entsprechende Bankbürgschaft ist beizubringen, über die der Rückbau abgesichert ist – und vieles mehr. Von einer Windkraftanlage sind – abgesehen von den Rotorblättern und der Gondel aus GFK – viele Teile recycelbar. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich lieber geschreddertes GFK nehmen, als die strahlenden Reste eines Atomkraftwerks...

Hat der Traumsommer Ihrer Meinung nach Auswirkungen auf das Geschäft mit Photovoltaikanlagen? Erzeugen wir in Deutschland zu viel oder zu wenig Solarstrom?

Die Photovoltaik ist heute ein wesentlicher Pfeiler der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien in Deutschland, der auch in Zukunft seine Berechtigung haben wird. Wie schon erwähnt begrüßen wir die im Koalitionsvertrag vorgesehenen Sonderausschreibungen für die Photovoltaik. Wind und PV haben nicht nur beide eine Berechtigung, sondern ergänzen sich auch gut. Die Frage ist nicht, ob wir zu viel oder zu wenig Solar- oder Windstrom haben. Es geht vielmehr um die Aufnahmefähigkeit der Netze, die Speichermöglichkeiten sowie die konsequente Nutzung im Wärme- und Mobilitätsbereich.

Stichwort Energiesicherheit: Die Bundesrepublik bezieht große Mengen Erdgas aus Russland, ein – zumindest politisch – fragwürdiger Partner. Von den USA wird die Bundesregierung für das Projekt Nordstream-Pipeline aktuell scharf kritisiert. Spielen diese geopolitischen Fragen eine Rolle für Ihr Unternehmen?

Unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit für Deutschland und Europa ist jede neue Versorgungsroute oder deren Ausweitung, sei es über Pipelinegas oder LNG, zu begrüßen. Das gilt auch für die Nordstream-Pipeline II durch die Ostsee, die die bisherige Pipeline ergänzt und damit die Importkapazitäten russischen Erdgases auf dieser Route verdoppelt.

Bereits die Errichtung der ersten Trasse wurde vor gut zehn Jahren seitens der Ostsee-Anrainerstaaten und der Ukraine kontrovers diskutiert. Die dabei ins Feld geführten Argumente gegen den Pipelinebau erschienen oftmals vorgeschoben, um die eigentlichen wirtschaftlichen Interessen der jeweiligen Staaten zu kaschieren. Ähnlich verhält es sich aktuell mit der Argumentation der US-Regierung über mögliche steigende Abhängigkeiten Europas von Russland. Der US-Regierung geht es in erster Linie um die politische Flankierung von ureigenen Wirtschaftsinteressen in Zusammenhang mit möglichen LNG-Lieferungen aus USA nach Europa, die in Konkurrenz zu Pipelinegas aus Russland stehen. Die letztendliche Beurteilung, ob bei gegebenen Regierungskonstellationen in USA wie Russland das eine besser als das andere ist, muss die deutsche Politik treffen.

Stichwort E-Mobilität: Elektromobilität ist wichtig, aber wird nicht wirklich ernst genommen: Personen auf dem Land können in der Scheune laden, es mangelt jedoch an Reichweite der Fahrzeuge. Mieter in der Großstadt beklagen keine mangelnde Reichweite, ihnen fehlen aber Lademöglichkeiten. Wie soll die Diskrepanz vermindert werden?

Daran müssen alle Beteiligten Hand in Hand arbeiten: Ich glaube, dass mit der nächsten Generation E-Fahrzeuge ab 2020 die Reichweiten ausreichend für fast alle Anwender sein werden. Hier ist die Automobilindustrie gefordert. Die durchschnittliche tägliche Fahrtstrecke liegt in Deutschland bei 40 km, dies ist selbst mit den jetzt verfügbaren E-Fahrzeugen möglich. Für Stadtbewohner muss das Thema Lademöglichkeiten gelöst werden. Hier sind öffentliche Ladepunkte, aber insbesondere auch Modelle zum Laden am Arbeitsplatz gefragt. Zusätzlich können Gewerbetreibende mit Kundenparkplätzen, beispielsweise Supermärkte, Restaurants und Einkaufszentren, Möglichkeiten zum Laden anbieten. Dies sind alles Potenziale, die genutzt werden können, vor allem wenn durch Digitalisierung die Kommunikation und Abwicklung zwischen den Anbietern und Nutzern erleichtert wird.

Viele Partnerunternehmen der Thüga-Gruppe bieten bereits Lösungen für Gewerbekunden an. Eines unserer Start-ups, die smartlab Innovationsgesellschaft mbH, bietet einen deutschlandweiten White-Label-Abrechnungsservice für Ladesäulen, um Kunden per App einfachen Zugang zu Ladepunkten zu ermöglichen. Langfristig wird sich das Mobilitätsverhalten ändern, das eigene Auto verliert an Wert, Sharing und intermodale Mobilität werden vermehrt genutzt. Auch darauf müssen wir uns einstellen und neue Ideen entwickeln. Die Thüga Innovationsplattform entwickelt daher zusammen mit den Partnerunternehmen Konzepte, wie die Mobilität der Zukunft unter Einbindung der lokalen Energieversorger hierzu aussehen könnte.

Wie muss sich der Kunde den Einfluss des Gesellschafters Thüga AG auf Versorger wie Harz Energie oder BS Energy vorstellen?

Bei einer Beteiligung von Thüga steht stets der Netzwerkgedanke im Vordergrund. Unternehmen wie die Harz Energie profitieren von den Erfahrungen und dem Know-how des bundesweiten Netzwerks der Thüga-Gruppe. Als strategischer Partner sehen wir uns in der Rolle, dieses Know-how zu bündeln und den Partnerunternehmen zur Verfügung zu stellen. So gibt es beispielsweise ein Forum Netze, in dem sich die Unternehmen zu allen regulatorischen und betrieblichen Anforderungen im Netzgeschäft austauschen. Außerdem bündeln wir in unseren Plusgesellschaften und Plattformen Dienstleistungen, die wir unseren Partnerunternehmen aufgrund der Skaleneffekte zu günstigen Konditionen und in hoher Qualität anbieten können.

Noch zwei private Fragen: Wie nehmen Sie Ihre alte Heimat heute wahr?

Der Harz gehört für mich zu einer der landschaftlich schönsten Regionen Deutschlands mit großem Lebenswert. Schade ist, dass der demografische Wandel hier und da unverkennbar seine Spuren hinterlässt.

Wie häufig im Jahr sind Sie noch in Ihrer alten Heimat?

Meine Arbeit führt mich regelmäßig in den Harz und Umgebung, dienstliche Termine nutze ich dann oftmals auch für einen privaten Abstecher. Denn wer verzichtet schon freiwillig auf die traditionelle Harzer Hausmannskost von „Muttern“? (lacht).