Leserbrief zu den Themen 1. Tibetfahnen und 2. Fukushima

Ich halte nur schwer aus, dass ich fast jeden Tag Faktengepansche in der Zeitung lesen muss. Dazu zwei Beispiele. 1. Tibetfahnen über Osterode (Artikel und Leserbrief vom 8. und 12. März). Was sich gut anhört, ist noch lange nicht richtig. Der Leserbrief und die Berichterstattung ist eine einseitig europäische Sichtweise mit esoterisch angehauchter Sozialromantik. Ich habe über Monate bei Bergexpeditionen Tibet und dessen Bewohner kennenlernen können. Nicht alle Tibeter sind traurig über ihr heutiges Leben, obwohl die Eroberung und Annektierung Tibets völkerrechtlich ein Verbrechen war. Noch zu Beginn des letzten Jahrhunderts hatte die Bevölkerung ein Leben wie bei uns im Mittelalter, unter unvorstellbarer Armut. Denn sie lebten unter der autokratischen Herrschaft einer klerikalen Machtclique, die allen Reichtum, die das Volk erarbeitete, in und für ihre religiösen Zentren bündelte. Das Leben dort hatte eben zwei Seiten, die man kennen, und über die man ausgeglichen berichten sollte. Ähnlich aufgebaute Staatsformen gibt es heute noch in Saudi-Arabien oder Nordkorea. Wehen bald auch deren Fahnen in Osterode?

2. Jahrestag der Atomkatastrophe von Fukushima (Bericht vom 13. März). Zur Verdeutlichung der Fakten, nicht zur Problematik der Kernkraft an sich: Am 11. März 2011 schob sich die Pazifische Platte um ca. 5 Meter auf die Nordamerikanische Platte und die Erdkruste riss auf einer Länge von ca. 400 km auf. Es gab ein Erdbeben mit einem schweren Tsunami, der auch das Atomkraftwerk in Fukushima zerstörte. Die Fakten im Kraftwerk: 7 Tote, davon 6 Ertrunkene und ein tödlicher Sturz. Aber 22000 Tote in der Umgebung direkt durch die Tsunamiwelle, nicht durch das Atomkraftwerk. Ansonsten muss in Zukunft unser Sprachgebrauch neu justiert werden. Fällt z.B. eine Windkraftanlage bei einem Sturm um, trifft einen Urlauberbus und tötet 20 Insassen, ist das dann eine Windkraftkatastrophe? Ich glaube nicht. Aber in Fukushima ist im medialen Sprachgebrauch die Atomkraft alleinig an den 22000 Tsunamiopfern schuld.