Göttingen. In 15 Jahren hat Wolfgang Peter vieles erlebt. Zwei große Projekte stehen noch an bis zum Ende der Legislaturperiode.

Er hat die UN-Behindertenrechtskonvention auf Landkreisebene mitumgesetzt, den barrierefreien Umbau an Schulen vorangetrieben, den Beirat für Menschen mit Behinderungen für den Landkreis Göttingen 2011 initiiert, den rollstuhlgerechten Ausbau von Bahnhöfen im Landkreis begleitet, den Inklusionspreis ins Leben gerufen und so vieles mehr. Jetzt ist Wolfgang Peter 70 Jahre alt und 15 Jahre ehrenamtlicher Behindertenbeauftragter des Landkreises Göttingen. Mit dem Ende der Legislaturperiode endet seine Aufgabe im Kreishaus.

Peter kommt aus Schleswig-Holstein – da, wo es hügelig ist“, studierte Holzwirtschaft in Hamburg und wohnt seit 43 Jahren in Göttingen. Der Diplomholzwirt unterrichtete damals Arbeitstugenden an der Kreisvolkshochschule in Hann. Münden. Knapp zehn Jahre machte er den Job, dann ging er für ein Aufbaustudium zur Entwicklungsarbeit nach Flensburg. „Dann saß ich auf gepackten Koffern und wollte nach Simbabwe, als mein Telefon klingelte“, erinnert Peter sich an diesen Tag im Jahr 1990.

Ihm wurde angeboten, kurz nach der Wende im ehemaligen Ostdeutschland Aufbauarbeit bei Lehrlingen in der Kali-Industrie zu leisten. „Wir haben uns das dann angeschaut – ganz dunkel und trostlos war es da, die Menschen gingen im Dunkeln zur Arbeit“, erzählt er. Peter nahm die Aufgabe an, und kümmerte sich im Weiterbildungszentrum Nordhausen um etwa 700 Lehrlinge – bis ihm plötzlich schwindlig wurde. Eine Hirnblutung.

Mobilitätseingeschränkt seit 26 Jahren

26 Jahre ist das her, aber Peter kann sich gut erinnern. Eine rechtsseitige Lähmung war die Folge, sie führte ihn in die Reha, dort musste er drei Jahre lang „alles neu lernen“. Auch das Sprachzentrum war betroffen. Zeitung lesen und logopädische Einheiten halfen dem Mann, dessen Einschränkung man heute nur noch beim Gehen bemerkt – aber nicht beim Fahrradfahren. Eines Tages probierte er heimlich hinter der Klinik mit einem Freund, ob er noch das Gleichgewicht halten kann. Langsam erlangte er Mobilität zurück, sein aktuelles E-Bike ist auf ihn abgestimmt. Eine Halterung hilft beispielsweise, den rechten Fuß auf dem Pedal zu halten. „Das ist mir sehr wichtig, ich fahre auch zu meinen Terminen außerhalb der Stadt mit dem Rad“, erzählt er. „Man sollte sich von der Angst nicht alles nehmen lassen.“

Zwei Jahre versuchte er, im alten Job wieder Fuß zu fassen. Dann schaute er sich in der „Behindertenszene“ um, wie er sie nennt. In der Stadt Göttingen hatte sich gerade einen Behindertenbeirat gegründet und er sprach bei Gudrun Freyer, Koordinatorin für Menschen mit Behinderungen, vor. Die habe ihn wieder aufgebaut. „Ich bin geduckt rein gegangen und aufrecht wieder raus gekommen“, sagt er. Peter nutzte die neue Energie für eine Ausstellung seiner Fotografien, „Lebensmut mit Handicap“ hieß sie. Dann wurde er Mitglied im städtischen Beirat für Menschen mit Behinderungen, vor 15 Jahren übernahm er sein jetziges Amt.

Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen bringt Peter zur Begehung mit

Seitdem beschäftigt er sich der 70-Jährige mit eigenen Ängsten und denen anderer. „Wenn ich einen Radweg prüfe, bringe ich einen Menschen mit Sehbehinderung, einen mit Höreinschränkungen, einen Rollstuhlfahrer und manchmal auch einen kognitiv eingeschränkten Menschen mit und dann schauen wir uns genau an, wo die Gefahren sind, die andere nicht sehen“, sagt Peter. Das sei auch so, wenn es um Verwaltungsgebäude, Schulen oder andere bauliche Maßnahmen geht. „Man muss das verinnerlichen: Der Rollstuhlfahrer will keine Schwelle, der Blinde braucht eine“, erklärt er. Die Verwaltung habe schon viel gelernt in den letzten 20 Jahren, meint er.

Wolfgang Peter auf seinem Fahrrad.
Wolfgang Peter auf seinem Fahrrad. © GT | Niklas Richter

Ein klassischer Tag fange bei ihm mit der Erledigung der Post an. Der ZVSN fordert zum Beispiel eine Stellungnahme von Peter zu 40 Bushaltestellen im Landkreis. Weiter geht es dann mit einem Planfeststellungsverfahren für einen Radweg bei Waake – „das ist viel Arbeit“. Sprechstunden im Kreishaus und im Rathaus Dransfeld kommen dazu, Gremiensitzungen, Beratungen für Kirchengemeinden und andere Institutionen, Schulungen für Busfahrer, Konferenzen und Workshops. Und selbstverständlich viele Gespräche mit Verantwortlichen, um das Thema Inklusion in die Köpfe zu bringen.

Europaweiter Protesttag für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung

Wie viele Stunden es in der Woche sind, will er nicht sagen. 390 Euro Aufwandsentschädigung erhält Peter pro Monat vom Landkreis, „mit der Rente liege ich unter dem Existenzminimum. Vielleicht bewegt sich auch da noch was in der Verwaltung, man könnte gut eine Stelle gebrauchen“, sagt Peter. Sein Gehalt kam vom Verein Selbsthilfe Körperbehinderter, wo er bis zur Rente die Buchhaltung machte. Bevor er geht, stellt er noch mit anderen Akteuren ein Alternativprogramm für den coronabedingt entfallenen 5. Mai, dem europaweiten Protesttag für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung, auf die Beine.

„Wir planen eine Art Parcours in Göttingen, Hann. Münden, Duderstadt und Osterode im September“, verrät er. Gleichzeitig muss sein Ehrenamt nachbesetzt werden. Die Suche nach einem Nachfolger läuft gerade, noch gibt es keinen. „Ich würde den Nachfolger auch gerne ordentlich einarbeiten“, sagt Peter. Denn die Aufgabe gehe garantiert nicht mit ihm in den Ruhestand – dafür sei sie zu wichtig.