Göttingen. Der Intendant der Göttinger Händel-Festspiele, Tobias Wolff, äußert sich im Gespräch zu Brexit, Jubiläum und Göttinger Stadthalle.

Es ist das Festival vor dem Jubiläum. Am 17. Mai starten die Händel-Festspiele unter erschwerten Bedingungen. Intendant Tobias Wolff äußert sich im Interview zum Brexit, zur Stadthalle und zum 100. Geburtstag im Jahr 2020.

Herr Wolff, der Brexit ist das Thema der letzten Woche. Wie wirkt er sich auf die Festspiele aus?

Wie alle anderen Europäer wissen wir noch gar nicht, wie er sich auswirken wird. Wir sind regelmäßig mit der Brexit-Hotline des Landes Niedersachsen in Kontakt, um zu verstehen, was es bedeuten könnte. Wir wissen derzeit nicht, ob es Reiseeinschränkungen für unsere Musiker geben könnte, ob es steuerliche Änderungen für uns geben wird oder ob wir Zoll-Fragen klären müssen. Derzeit gehen wir davon aus, dass alles so bleiben wird wie bisher.

Aber langfristig wird sich das Thema schon stark auf die Händel-Festspiele auswirken. Viele unserer Künstler kommen aus Großbritannien und eben auch unser künstlerischer Leiter Laurence Cummings. Mit dem telefonieren wir ebenfalls regelmäßig, um zu schauen, ob es auf der anderen Seite des Kanals vielleicht andere Informationen gibt.

Was bedeutet das emotional für die Festspiele?

Erst einmal bin ich selbst betroffen. Ich habe in England studiert und habe dort viel Freunde. Noch 2014 haben wir bei den Händel-Festspielen das Jubiläum der Personalunion gefeiert und wir haben gedacht, dass wir uns so viel näher gekommen sind. Aber dann bricht das Ganze zusammen und wird von Tag zu Tag grotesker. Momentan weiß niemand so recht, wo wir stehen.

Wäre der Brexit nicht ein wunderbares Thema für eine Auftragskomposition?

Nein. Unsere Besucher beschweren sich ja schon, wenn eine Aufführung länger als dreieinhalb Stunden dauert. Die Brexit-Oper müsste sich wie der Ring der Nibelungen über mehrere Tage hinziehen, um einigermaßen repräsentativ zu sein.

Außerdem möchte ich gar nicht wissen, wie traurig die Musik sein müsste, die dort im Hintergrund spielt.

Kommen wir zur zweiten Problemzone. Wie funktionieren die Händel-Festspiele ohne Stadthalle?

Das hat uns in der Tat sehr hart getroffen. Wir planen sehr weit im voraus, so haben die Planungen für 2019 schon 2016 begonnen. Dass die Sanierung kommen wird, war schon klar. Wir sind damals aber davon ausgegangen, dass es Alternativen wie ein Zelt, eine ausgebaute Fabrikhalle o. ä. geben würde. Die Pläne haben sich aber allesamt zerschlagen.

Jetzt haben wir die Situation, dass wir Festspiele, die im großen Rahmen geplant waren, in kleine Spielstätten stopfen müssen. Schließlich werden derzeit auch die St. Johannis-Kirche und das Junge Theater renoviert. Da hätten wir uns schon ein Mehr an Abstimmung gewünscht.

Welche Folgen hat das?

Auf der einen Seite müssen wir Gäste verprellen, die die Festspiele gern besucht hätten. Wir haben 2.000 bis 3.000 Karten weniger als in einem Durchschnittsjahrgang im Verkauf. Wir sind dankbar, dass die Stadt dies finanziell ausgleicht. Aber es wäre schöner, das Geld selbst zu erwirtschaften, denn wir möchten das große Publikum hier haben.

Auf der anderen Seite ist es schön, dass wir in der Region tolle Partner haben. Besondere Bedeutung bekommt hier Hann. Münden. Dort gehen wir mit dem Oratorium und einem riesigen Tross hin. Der NDR wird sogar live übertragen.

Was heißt dies jetzt für die Spätentschlossenen?

Es heißt nicht, dass es keine Karten mehr gibt. Es lohnt sich, in unseren Vorverkauf hineinzuschauen. Es gibt noch eine Reihe von Tickets für die Regionalkonzerte wie Dixit Dominus in Duderstadt. Oder dem PS.Speicher, einer großen Spielstätte. Dort haben wir Dorothee Oberlinger, die Preisträgerin des Echo Klassik. Aber auch für die Produktionen in Göttingen werden immer wieder Karten zurückgegeben.

Also brauchen die Händel-Festspiel gar keine Stadthalle?

Doch, in jedem Fall! Wir brauchen eine Stadthalle als die große Spielstätte mit mehr als 1.000 Plätzen. Wir haben in diesem Jahr schon einige Besucher verprellen müssen und das Problem wird uns die nächsten Jahre begleiten. Normalerweise wären wir in die Johannis-Kirche ausgewichen. Somit ist die gleichzeitige Sanierung der großen Spielstätten das eigentliche Problem. Natürlich brauchen wir langfristig eine Stadthalle. Wir haben keine Spielstätte mit einer vergleichbaren Akustik und gleichwertigen Nebenräumen. Auch ein Foyer zählt zu einer passenden Spielstätte. Also brauchen wir die Stadthalle, wenn wir weiterhin den internationalen Status halten wollen.

Wenn man aber sagt „Nein, es reicht, wenn wir in der provinziellen Liga spielen“, dann kann man auf die Stadthalle verzichten.

Wo liegen Ihre Präferenzen?

Ich würde das nicht befürworten, weil wir die internationale Ausstrahlung und das Potential haben. Das sollten wir nicht verschenken. Momentan werde ich von den unterschiedlichen Akteuren zu einem Statement eingeladen. Die Lagerbildung ist schon sehr deutlich und es ist schwierig, hier ein differenziertes Urteil abzugeben. Als Kulturschaffender ist es natürlich reizvoll, sich eine neue Halle mit der neuesten Technik vorzustellen. Da macht es Spaß, sich eine Stadthalle auf der grüne Wiese als Kulturzentrum vorzustellen. Ob das realisierbar ist, ist eine andere Frage. Es ist nicht unsere Aufgabe als Kulturschaffende, hier Entscheidungen zu treffen. Unsere Aufgabe ist es, Visionen zu entwerfen. Die Entscheidungen muss die Politik treffen, aber die Händel-Festspiele und alle anderen Kulturschaffenden brauchen Verlässlichkeit.

Zurück zum Kernstück der Spielzeit 2019. Was zeichnet die Oper „Rodrigo“ aus?

Im Grunde genommen ist sie Händels Beitrag zur #metoo-Debatte. Es geht um Versprechen und gebrochene Versprechen, um Rache und um ein uneheliches Kind, das dann als Geisel dient. Mit Erica Eloff haben wir eine wunderbare Sopranistin für die Titelrolle gewinnen können.

Modernisten oder Traditionalisten. Welches Lager wird in diesem Jahr bedient?

Es wird eine spannende Inszenierung mit vielen modernen Elementen.

Was können Sie über den 100. Geburtstag im nächsten Jahr verraten?

Die Oper wird auch weiterhin im Mittelpunkt stehen und zwar „Rodelinda“. Es war die Oper, mit der 1920 die Festspiele begründet wurden. Dazu haben wir einen Regiewettbewerb ausgeschrieben. Die Anforderung war, Zeitgenössisches mit einer Vision für das Musiktheater der Zukunft zu verknüpfen. Einsendeschluss war in der vergangenen Woche, und uns liegen mehr als 20 Bewerbungen vor. Nun wird sich ein Jury damit auseinandersetzen.

Sie bleiben trotz der Raumsituation bei dem Vorhaben, alle Händel-Opern aufzuführen?

Wir führen nicht alle 42 Opern in voller Länge auf, jeder Titel wird ein besonderes Format haben. Das geht von der großen szenischen Produktion mit großen Star-Aufgebot bis zur Kurz-Version für Akkordeon und einen Sänger.