Göttingen . Auch in dieser Spielzeit bietet das Deutsche Theater ein Musik-Abo an. Auftakt war der „Schwanengesang“.

Auch in dieser Spielzeit bietet das Deutsche Theater (DT) in Göttingen ein Musik-Abo an. Den Auftakt machte der „Schwanengesang“ von Christian Friedel mit Musik von Franz Schubert. Durch Babylon Berlin ist Friedel allgegenwärtig und wird in Göttingen dem Ruf doch gerecht. Das Leben, der Tod und der ganze Rest vom menschlichen Universum.

In seiner Revue verknüpft der Regisseur und Komponist Friedel die Musik von Schubert mit Elektro-Beats, Schauspiel und Tanz. Am Ende steht die Erkenntnis, dass der Mensch seinem tödlichem Schicksal nicht entrinnen kann. Bis dahin zeigt sich das Stück als gelungene Revue.

Erinnerung an Goethes „Faust“

Die Vorstellung beginnt weit vor dem ersten Vorhang. Im DT-Bistro verwehrt ein Absperrband den Zutritt zum Obergeschoss. Angeblich tagt hier eine Gesellschaft für Humangenetik. Doch es entpuppt sich als Teil der Inszenierung. Florian Eppinger begrüßt das Publikum, als wäre es Teilnehmer eben dieser Tagung.

Als Dr. Bottmann will er einen Überblick über den Stand, die Entwicklung und die Zukunft der Gen-Technik geben. Ein Wissenschaftler allein auf leerer Bühne gleich am Anfang eines Welterklärstücks. Das erinnert ein wenig an Goethes Faust. Er spricht über seine Motive, sich dieser Genetik zu widmen und diese sind recht persönlich.

Der frühe Herztod der Mutter und dieselbe Erkrankung beim Bruder. Das kann man durchaus unprofessionell nennen. Aber er scheint besessen von der Angst vor der Krankheit. Allmachtsfantasien beflügeln ihn. Im Nano-Kosmos der Gene ist er auf der Suche, nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält. Eingeklemmte Schultern und gepresste Intonierung, Florian Eppinger gelingt hier in wenigen Minuten das Portrait eines Mannes, der bei genauer Betrachtung ein Getriebener ist und nicht die treibende Kraft. Schon in der Einleitung muss er seine Lücken offenbaren.

Ein harter Schnitt

Christian Friedel hat seine Revue in sechs Abschnitte gegliedert. Solch starke Bilder hat man am DT schon lange nicht mehr gesehen. Ein harter Schnitt. Auf der Hinterbühne interpretiert ein Streichquartett Lieder von Franz Schubert aus dessen „Schwanengesang“-Zyklus. Dabei ist die Entfernung zur musikalischen Vorlage aber durchaus deutlich. Später kommen Elektrobeats und Stroboskop dazu.

Als Mutter hat Gaby Dey zwei Kinder an der Hand. Es ist dunkel und Bedrohung liegt in der Luft. Sind es die Bombennächte, von denen Bottmann zuvor sprach? Es bleibt unbestimmt. Die Kostüme ermöglichen auch eine andere Datierung und die Bedrohung ist damit allgegenwärtig und jederzeitig.

Der nächste Schnitt. Im Gegenlicht kommt eine große Gruppe aus dem Bühnenhaus nach vorn. Das junge Volk ist gut gelaunt. Sie schieben eine Drehbühne nach vorn. Die Kostüme datieren das folgende Geschehen in die 1970er Jahre. Es ist ein Zeitsprung. Volker Muthmann spielt den Wissenschaftler am Beginn seiner Laufbahn. Rebbeca Klingenberg seine Gattin.

Die Bühne dreht sich

Es wird rasant, die Bühne dreht sich und wird zur U-Bahn, zum Büro, zum Labor. Dann kommen wieder Gäste und es werden die abgestandenen Scherze des letzten Treffens serviert. Direkt und doch mit den Mitteln des Theaters inszeniert Friedel hier die rasante Entwicklung der Forschung in den letzten 1940 Jahren. Die Impulse, die Bühnenbildner Alexander Wolf hier gibt, sind großartig und einleuchtend. Aber die nachhaltige Wirkung setzen Rebbeca Klingenberg und Volker Muthmann. Immer angespannter, immer verklemmter. Mit kleinen Nuancen verdeutlichen sie den Niedergang ihrer Ehe. Als sie geht, herrscht Schweigen im Publikum.

Sechs großartige Bilder

Sechs großartige Bilder sind es, die Friedel und das Ensemble aufbauen. Das Versprechen lautet, alle großen Themen abzuarbeiten. Aber nicht alles ist verständlich und manches wirkt nur dekorativ. Das barocke Schäferstündchen soll die Liebe symbolisieren, überrascht die Eingeweihten nicht, wirkt aber gelegentlich auch albern. Am Ende bleibt aber die Dekonstruktion. Das Leben zerfällt in die Einzelteile und einer davon heißt Sterben.

Im letzten Bild lauert der Tod auf karger Bühne auf den Forscher. Der Text tritt hinter die Choreographie zurück. Zum Schluss schwebt der Gevatter wie ein Todesvogel über den im Bett zerschmetterten Forscher. Noch ein Ikarus.

Es sind großartige Bilder, die Friedel, Wolf und das Ensemble auf der Bühne des DT entstehen lassen. Es ist eine gelungene Komposition aus Musik, Theater und Ballett, die auf das Publikum einwirkt. Aber die Wucht erdrückt nicht, es bleibt allen noch der Raum zum Atmen und Nachdenken und Assoziieren. Das macht diese Inszenierung so sehenswert.

Nächste Aufführungen erfolgen am 12. Februar um 19.45 Uhr, am 10. März um 15 Uhr sowie am 29. März um 19.45 Uhr.