Goslar. Vor der Paul-Lincke-Ringverleihung verrät der Sänger, wann er die besten Einfälle hat, warum er politisch ist und wie es ihm als Eintracht-Fan ergeht.

Ein Termin für die Paul-Lincke-Ringverleihung steht zwar noch nicht fest, doch eines ist sicher: Der Sänger und Songwriter Bosse ist der diesjährige Preisträger. Wann er die besten Einfälle für seine gefühlvollen Texte hat, warum er politisch ist und wie es ihm derzeit als Eintracht Braunschweig-Fan ergeht, darüber hat er mit Redakteurin Silja Meyer-Zurwelle (Goslarsche Zeitung) im Interview gesprochen.

Wie darf man sich den perfekten Start in den Tag bei Bosse vorstellen?

Es gibt den Tag zuhause, an dem ich ganz normal um sechs Uhr aufstehe und mit meinem Kind mit dem Fahrrad in die Schule fahre. Danach gehe ich auf dem Markt einen Cappuccino trinken, jogge eine Runde und fange dann an zu arbeiten. Aber es gibt auch die Tourvariante: Da wird eher so um zehn Uhr aufgestanden, gejoggt und dann beginnt der Tag. Grundsätzlich starte ich meinen Tag immer mit Sport.

In Ihrem jüngsten Album „Alles ist jetzt“ singen Sie im titelgebenden Song Zeilen wie „Ich hab gelernt, das Leben zu genießen“ und „Das Leben ist zu kurz für ein langes Gesicht“. Gab es für Sie einen bestimmten Anlass, Ihr Publikum daran zu erinnern, wie wertvoll das Leben ist?

Ich singe auf dem Album ja über so ein paar Sachen, vor allem aber die, die mir in den vergangenen drei Jahren wichtig waren. Und dabei habe ich gemerkt, dass ein „Carpe diem“ was das Thema Haltung, Empathie, Lebenslust und Energie angeht, ein guter Grundsatz ist.

Ich weiß selbst, dass ich das nicht ständig so einhalten kann. Aber ich denke, es sollte dazugehören, interessiert und empathisch zu sein. Irgendwann war mir dann klar, dass der Albumtitel „Alles ist jetzt“ lauten soll. In den Songs stecken genau die zehn, zwölf Dinge drin, die mich zuletzt beschäftigt haben.

Bekommen Sie auf die Lieder eigentlich Rückmeldungen von Fans, die sagen, dass sie sich darin wiederfinden?

Ja, das passiert momentan ziemlich häufig, weil gerade die sozialen Medien die Leute schon dazu verleiten, mal die Privatnachrichtenfunktion zu nutzen und Feedback zu geben, viel mehr als früher. Früher wurden eher lange Briefe geschrieben. Eine schöne Nebenerscheinung von der schnellen Erreichbarkeit heute ist, dass ich die Menschen teilweise durch die sozialen Netzwerke live sehe, wie sie zu meiner Musik tanzen. Und, dass sie eben auch schnell aufschreiben können, wie sie die Songs finden.

An politischen Aussagen kommt man nicht vorbei, wenn man sich mit Ihnen beschäftigt. Sie sind bekannt dafür, sich für mehr Menschlichkeit einzusetzen, haben bei der Echo-Verleihung deutlich Stellung bezogen, als Sie zu der Zeile „Die hier gehen raus an jedes Nazischwein“ den Mittelfinger in die Kamera hielten. Sehen Sie es als öffentliche Person als eine Art Verantwortung an, sich zu positionieren?

Die Frage ist gut, weil sie eigentlich schon meine Antwort beinhaltet. Zum einen kann ich nicht anders, weil ich schon immer ein politischer Mensch war und, weil ich ein sehr stark ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden habe. Zum anderen ist es eine tolle Sache, dass ich als Musiker so frei bin und einfach die Sachen machen kann, auf die ich Lust habe.

Da gibt es eben auch Länder, in denen ich schon gelebt habe, in denen wird es schwieriger mit der künstlerischen Freiheit. Der letzte Grund ist natürlich, dass ich als Musiker das Gefühl habe, dass die Leute mir zuhören und ich dadurch Dinge bewegen kann.

Es geht in der heutigen Zeit mehr denn je darum, Stellung zu beziehen, aufeinander zuzugehen, aber auch gerade, was Nazis und Gewalt im Allgemeinen betrifft, sich dagegen auszusprechen und gerade junge Leute, die meine Musik hören, aber auch die älteren zu animieren, aktiv zu werden und sich darüber Gedanken zu machen. Ich sehe das jetzt nicht als Pflicht an. Das entscheidet jeder Fußballer, Schauspieler, Musiker, einfach jeder Mensch für sich. Aber es ist eben so, dass ich mich irgendwann vehement dazu entschieden habe, das so zu machen. Ich habe genug Zeit und Ideen dafür, etwas zu tun.

Sie haben es selbst eben angedeutet: Für ein Jahr haben Sie mal in der Türkei, dem Land aus dem auch Ihre Frau kommt, gelebt. Wie politisch geht es denn am Küchentisch im Hause Bosse zu?

Wir sind schon eine politische Familie. Meine Tochter ist jetzt zwölf Jahre alt und es ist spannend zu sehen, wie so ein offen groß gewordenes Kind die Dinge sieht. Für sie ist beispielsweise die Flüchtlingsdebatte in Deutschland total absurd, denn sie hat eine bunt gemischte Klasse, in der immer trotz aller Verschiedenheiten derselbe Nenner gefunden wird. Ansonsten geht es bei uns natürlich auch um die Türkei im Speziellen und die Weltpolitik im Allgemeinen.

Ich habe gehört, dass es für Sie auf Tour dazugehört, die Städte, in denen Sie auftreten zu erkunden. Ihre Heimatstadt Braunschweig ist ja gar nicht weit weg von Goslar. Wie gut kennen Sie die Kaiserstadt und den Harz?

Es gibt da extrem viele Bezüge. Mein Großvater war nämlich immer der erste Vorsitzende im Skiverein Torfhaus. Das bedeutet für mich, dass ich seit meinem fünften Lebensjahr bestimmt mehr als 50 Mal den Brocken rauf und runter gelaufen bin. Goslar kenne ich auch ziemlich gut. Ich mag das einfach sehr und fahre auch immer wieder gerne mit meiner Familie, wenn wir mal Urlaub haben, in den Harz.

Zurück zur Musik: Wie darf man Sie sich beim Songwriting vorstellen? Eher Musenkuss oder stetiger Prozess?

Also die Idee, warum ich etwas mache, muss immer schon vorher da sein. Ich brauche immer erst den Text, und seien es nur drei Sätze, aus denen sich dann eine Geschichte entwickelt. Wenn der steht, setze ich mich an die Gitarre und an das Klavier und schaue, was passiert.

Paul Lincke, der Namensgeber des Ringes, ist vor allem als Vater der Operette bekannt. Haben Sie Bezüge zur klassischen Musik?

Es gibt so leichte Verbindungen, aber das sind vielleicht so viele, wie es sie auch zum Death Metal bei mir gibt (lacht). Mein großes Hobby ist jetzt nicht die klassische Musik und auch nicht die Operette, aber Paul Lincke ist mir natürlich ein Begriff. Was ich hier schon auch öfter mache, ist, dass ich mir Chöre und Orchester ansehe – das geht sowohl in Hamburg als auch in Berlin ja ganz gut. Aber ich bin jetzt nicht der allergrößte Klassik-Nerd.

Kommen wir zu einem – beim Blick auf die Tabelle – derzeit etwas schmerzvollen Thema: Sie sind bekannt als Eintracht-Braunschweig- Fan. Der Verein hat sich ja gerade auch mit dem ehemaligen St. Pauli-Spieler Bernd Nehrig einen Fußballer aus Ihrer jetzigen Wahlheimat Hamburg geholt. Trotzdem läuft es gerade nicht so gut für den Verein. Wie gehen Sie damit um?

Ich glaube, man kann das bei mir mit dem Gefühl vergleichen, als ich ein ziemlich armer und erfolgloser Musiker war. Da hatte ich beim Bankautomaten immer ein komisches Gefühl, was wohl rauskommen wird und, ob überhaupt etwas herauskommt. Und dieses Gefühl habe ich bei Eintracht Braunschweig bereits mein ganzes Leben lang.

Es gehört aber als Fan dazu, dass man alle Höhen und Tiefen mitmacht. Ich lege meine Termine oft so, dass ich im Stadion dabei sein kann, und finde auch, die Mannschaft spielt nicht so schlecht, wie es in der Tabelle gerade aussieht.

Zu guter Letzt: Dürfen sich die Harzer nach der Verleihung auf ein Konzert mit Bosse freuen?

Wir sind gerade in Gesprächen. Die absolute Wahrheit ist: Gerade frage ich meine Band ab, wer überhaupt kann. Was ich aber schon sagen kann, ist, dass ich zumindest zwei Songs immer entspannt bei so einer Verleihung spielen kann.

Mein Cellist kann jedenfalls schon mal, das heißt Cello, Gitarre und mich haben wir schon. Ob es dann noch ein richtiges Konzert gibt, entscheidet sich in den kommenden Tagen.