Hamburg. John Neumeier lässt in seiner Fassung des Williams-Stücks Blanches spitzenschuhumtänzelte Welt der Träume an Männerkraft zerschellen.
Sie hat bessere Tage gesehen. Wenn Blanche Dubois mit dem Koffer in der Hand bei ihrer Schwester in New Orleans einziehen muss, wirkt ihr zartes, immer wieder filigran auf Spitze geführtes Tänzeln in duftigen weißen Kleidchen plötzlich fremd und affektiert. Es stammt aus einer anderen Welt, einer Welt, die John Neumeier im ersten Teil seines Kammertanzstücks über Tennessee Williams’ „Endstation Sehnsucht“ ausgebreitet hat: Da queren klassische Paare den Saal, die Attitüde ist an ihrem Platz.
Und doch gibt es auch hinter diesen Formen Abgründe. Wenn Blanches Bräutigam Allan immer wieder vor einem weiß gekleideten Beau (Lennard Giesenberg) zum Stoppen kommt. Irgendwann gleiten Allans Hände von hinten zum Herzen des Beaus, macht Jacopo Bellussi aus der nervösen Fahrigkeit Begehren, kommt’s zum Kuss. Sie sieht es, er erschießt sich. Immer wieder durchlebt Blanche diesen Moment, sucht sie der Kuss, der Schuss heim in Neumeiers Ballett.
Glacéhandschuh trifft Boxerhandschuh
Ihre Flucht führt zunächst in die Arme der Soldaten der Flamingo-Bar, sie braucht männliche Bestätigung. Anna Laudere macht die Gespaltenheit Blanches zwischen dem Traum vom kultivierten Leben und erweckter zügelloser Leidenschaft spannend deutlich.
Wenn sie ihrem Schwager Stanley zum ersten Mal begegnet, sie ihm ihre Hand im Glacéhandschuh zum Kuss reicht, er aber noch in seinen Boxerhandschuhen dasteht, treffen zwei Welten aufeinander. Und zugleich zwei leidenschaftliche Körper, die unbewusst auf Vereinigung drängen. Sie fühlt schon ganz gern seine Muskeln, wenn er sie beim ersten Alleinsein um seine Hüften schleudert. Ihn, den schlichten Auswanderer, reizt es, die längst fadenscheinige Hülle der besseren Welt zu zerreißen, Blanche auf ihr körperliches Begehren zu reduzieren und so ihre Seele zu töten.
Auf starken Armen schweben
Er kann es nicht mal dulden, dass sein Kumpel Mitch durch Blanches Pirouetten verzaubert wird, sie lässt sich schon etwas mutwillig in seine Arme fallen. Edvin Revazov gibt seiner kraftvollen Körperlichkeit als Mitch eine schüchtern-galante Note, die zu Blanche gut passen würde. In seinen starken Armen darf sie schweben, läuft in der Luft weiter, das wäre eine Existenz für sie.
Aber Stanley führt ihm ihre Ex-Geliebten vor, zerreißt den Lampion, so dass Mitch nun die nackte Glühbirne in Blanches Gesicht richten kann: Die Illusion ist zerstört, Endstation Sehnsucht.
Sportler als geschmeidige Raubkatze
Matias Oberlin ist als Stanley nicht der Macho und Muskelprotz, eher eine geschmeidige Raubkatze von gefährlicher erotischer Verspieltheit. Neumeier hat für ihn sehr fantasievolle Akte entworfen: Sportlich-jungenhaft post er nackt im Bett mit seiner Frau Stella, der Charlotte Larzelere eine naive Freude am Sex verleiht.
Aber auf Blanche macht er regelrecht Jagd, als sie nach all den Demütigungen mit ihrem Koffer fliehen will. Er nimmt sie in die Beinschere, wälzt sich mit ihr auf dem Boden, befriedigt sich an ihren Beinen und lässt sich im Handstand auf sie runter. Aus ihren angstgeweiteten Augen bezieht er seine Lust.
Blanche ist nun zerbrochen, sitzt geistesabwesend auf dem Bett. Anna Laudere dürfte ihr noch etwas mehr Traumverlorenheit geben, als wäre sie dieser Welt schon entschwebt, ist sie doch eine Schwester von Neumeiers kleiner Meerjungfrau oder Ludwigs II. aus seinen „Schwanensee“-Illusionen. Und auch hier gibt es einen Schatten, der sie abholt und hinüberleitet: Der Arzt wird von ihrem toten Bräutigam gespielt, dem sie willig folgt.
Ein rührendes, starkes Stück.
Wieder 22., 24. September, 12., 13. Oktober, 11. Juli. Karten: (040) 356868.