Berlin. Die Ampel-Koalition hat ihr Neubauziel von 400.000 Wohnungen deutlich verfehlt. Was Mieter und Kaufinteressenten jetzt wissen müssen.

Die Vorgabe im Koalitionsvertrag ist eindeutig: „Unser Ziel ist der Bau von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr, davon 100.000 öffentlich geförderte Wohnungen“, heißt es in dem Papier, auf das sich SPD, Grüne und FDP im Dezember 2021 verständigten. Doch nach eineinhalb Jahren Ampel-Koalition scheint jetzt schon festzustehen: Der „Aufbruch in der Baupolitik“, den die Koalitionspartner versprachen, fällt aus. Stattdessen steckt der Wohnungsbau in einer tiefen Krise.

Gerade einmal 295.300 neue Wohnungen wurden im vergangenen Jahr fertiggestellt, teilte das Statistische Bundesamt am Dienstag mit. Inflation und der Krieg in der Ukraine haben auch auf dem Bau die Parameter grundlegend verändert. Die Bauzinsen haben sich vervierfacht. Im letzten Jahr schossen im Zuge der Energiekrise die Preise für bestimmte Baumaterialien in die Höhe. Mittlerweile sind sie zwar wieder zurückgekommen, liegen aber immer noch über dem Niveau von vor eineinhalb Jahren. Hinzu kamen handwerkliche Fehler der Politik. Die Neubauförderung endete im Chaos, zweimal waren die Geldtöpfe im vergangenen Jahr leer. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zog die Zügel an und verschärfte die Neubaustandards. Manch einem Projektentwickler fehlte plötzlich der fest einkalkulierte Zuschuss.

Wohnen: Reihenweise Stornierungen auf dem Bau verschärfen Krise

Immerhin: Viele Branchenexperten hatten einen Einbruch erwartet. Im Vergleich zum Vorjahr wurden aber sogar 1900 Wohnungen mehr fertiggestellt, vor allem bei den Zweifamilienhäusern stand ein dickes Plus von 14,1 Prozent. Trotzdem fehlen der Ampel zum Erreichen ihres Zieles knapp 105.000 Wohnungen. Und die Folgen des vergangenen Jahres könnten womöglich erst in diesem Jahr richtig durchschlagen. In einer Umfrage des ifo-Instituts berichteten jüngst 16 Prozent der Unternehmen, dass sie ihre Wohnungsbauprojekte stornierten. Mehr als viertes Unternehmen melde einen Auftragsmangel. Der Bau als Zugpferd der Konjunktur ist kräftig ins Straucheln geraten. Mit Folgen für Mieter, Kaufinteressenten und Unternehmen.

Schon heute fehlen Berechnungen zufolge bundesweit 700.000 Wohnungen. Tendenz steigend. Denn während auf der einen Seite der Wohnungsbau lahmt, verzeichnete Deutschland unter anderem durch die Geflüchteten aus der Ukraine im vergangenen Jahr einen neuen Rekord bei der Zuwanderung. Auch die Arbeitskräfte, die die Ampel-Koalition aus dem Ausland anlocken will, brauchen eine Wohnung. Das Angebot aber wächst nicht mit der Nachfrage. Gerade erst vermeldete der Verband deutscher Pfandbriefbanken (vdp), dass sich in den ersten drei Monaten des Jahres das Neugeschäft für Wohnungskredite fast halbiert habe.

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Immobilien: Stärkster Preisrückgang seit 16 Jahren

Im vierten Quartal des vergangen Jahres sanken bereits die Wohnimmobilienpreise bundesweit im Schnitt um 3,6 Prozent, hat das Statistische Bundesamt errechnet. Es war der erste Preisrückgang seit Ende 2010 und der stärkste seit 2007. Eigentlich ist das ein Szenario, auf das viele gelauert haben. Diejenigen, die seit Jahren von den eigenen vier Wänden träumen, die die Preissprünge aber nicht mitgehen wollten oder konnten. Doch auch ihnen nützen die Abschläge kaum etwas – denn es fehlt ihnen an Eigenkapital, sagt Jürgen Schick, Präsident des Immobilienverbandes Deutschland (IVD): „Die Zeit einer 100-Prozent-Finanzierung gehört bei Bauzinsen von vier Prozent der Vergangenheit an.“ Einige Banken würden sich beispielsweise nur noch auf eine 70-Prozent-Finanzierung einlassen. „Dieses Eigenkapital haben aber viele nicht“, sagt Schick.

Die jüngsten Zahlen bereiten dem Verbandschef Sorge. Umfragen hätten gezeigt, dass drei Viertel der Deutschen sich eine eigene Immobilie wünschen würden. Tatsächlich aber ist Deutschland eine Mieternation, gerade einmal 42 Prozent besitzen ein Eigenheim, alle anderen sind Mieter – beziehungsweise „verhinderte Eigentümer“, wie Schick sie nennt. „Jetzt ist auch die Mitte der Gesellschaft betroffen, die sich um den Lohn ihrer Arbeit betrogen fühlt, da sie sich die eigenen vier Wände nicht mehr leisten kann“, sagt Schick. „Für die Altersvorsorge und den Vermögensaufbau ist die Entwicklung eine Katastrophe.“

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Baugewerkschaft fordert 72 Milliarden Euro bis 2025

Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) will gegensteuern. Ab Juni sollen Familien mit einem Haushaltsjahreseinkommen von 60.000 Euro mit zinsgünstigen Baukrediten beim Eigentumserwerb gefördert werden. IVD-Präsident Schick rechnet allerdings nicht damit, dass die Förderung Wirkung entfalten wird – zu hoch seien die Anforderungen, zu niedrig die Einkommensgrenzen.

Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) will ab Juni Familien beim Eigentumserwerb unterstützen.
Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) will ab Juni Familien beim Eigentumserwerb unterstützen. © picture alliance/dpa | Paul Zinken

Auf dem Bau sorgt man sich daher bereits vor einer Krise wie zur Jahrtausendwende. Deutschland sei fertiggebaut, hieß damals das Credo. Reihenweise schlitterten Firmen in die Insolvenz. Es dauerte Jahre, bis die Kapazitäten wieder hochgefahren werden konnten.

„Wenn jetzt politisch nichts passiert, dann ist der Wohnungsbau am Ende“, sagt Robert Feiger, Chef der Baugewerkschaft IG BAU. In diesem Jahr drohe die Neubauzahl unter die Marke von 250.000 zu fallen, 2024 könnte die 200.000er-Marke gerissen werden. Ein „Desaster auf dem Wohnungsmarkt“ wäre das, so Feiger. Er fordert bis zum Jahr 2025 insgesamt 72 Milliarden Euro an Förderung – 50 Milliarden Euro als Sondervermögen für den sozialen Wohnungsbau und weitere 22 Milliarden Euro für den bezahlbaren Wohnungsbau mit Mieten zwischen 8,50 Euro und 12,50 Euro auf dem Quadratmeter.

Mieterbund warnt vor drastisch steigenden Mieten

Allerdings dürfte auch dem Gewerkschaftschef klar sein, dass Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) keine 72 Milliarden Euro bereitstellen wird. Und so schlage die Krise beim Neubau direkt auf Mieterinnen und Mieter durch, klagt Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes. „Man muss sich keinen Illusionen hingeben: Alles, was legal ist, wird an Mietsteigerungen in den nächsten Jahren ausgenutzt werden. Die Mieten werden deutlich stärker als die Löhne steigen.“ Schon für das vergangene Jahr stellte das Immobilienportal Immoscout24 einen „historischen Anstieg“ bei den Mieten fest: Im Bestand seien die Angebotsmieten auf Jahressicht um 12,3 Prozent gestiegen.

Immer weniger Menschen können sich diese Preise leisten. Wie das Statistische Bundesamt ermittelt hat, mussten im vergangenen Jahr 3,1 Millionen Haushalte 40 Prozent und mehr ihrer Haushaltseinkommen für die Miete ausgeben – empfohlen wird nicht mehr als 30 Prozent. „Wenn es so weitergeht, dann wird die Zahl derer, die 40 Prozent oder mehr für die Miete ausgeben müssen, in den nächsten Jahren drastisch steigen – das wären dann mehr als 5 Millionen Haushalte“, sagt Siebenkotten. Er geht davon aus, dass die durchschnittliche Miete, die zuletzt bei 8,70 Euro pro Quadratmeter lag, zeitnah auf mehr als zehn Euro steigen werde – und warnt die Politik: „Die Proteste werden weitergehen, im schlimmsten Fall drohen soziale Verwerfungen.“

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Eigentümerverband: Bis zu 35 Euro an Miete wären aktuell für Finanzierung notwendig

Das treibt auch die Wohnungswirtschaft um. „Die Situation ist bereits jetzt dramatisch und wenn die Neubauzahlen weiter einbrechen, werden wir die katastrophalen Folgen in einigen Jahren zu spüren bekommen“, sagt Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen.

Kai Warnecke, Präsident des Eigentümerverbandes Haus und Grund bescheinigt dem Wohnungsmarkt einen „enormen Druck“: „Private Bauherren eines Mehrfamilienhauses müssen derzeit laut einer Haus-und-Grund-Studie wegen der hohen Baukosten zwischen 14,25 Euro und 34,93 Euro den Quadratmeter für eine auskömmliche Vermietung verlangen – je nach Baulandkosten, Baustandard und Bundesland.“ Das allerdings werden nur die wenigsten bezahlen können.

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