Berlin. Vor der Präsidentenwahl in der Türkei verzichtet ein Bewerber – dies könnte Oppositionskandidat Kilicdaroglu in die Hände spielen.

Die Spannung vor der Präsidentenwahl in der Türkei am Sonntag wächst. Die Wahl gilt als Weichenstellung für das osteuropäische Land. Erstmals ist der mächtige Staatschef Recep Tayyip Erdogan – der das Land seit 20 Jahren führt – mit der Möglichkeit einer Niederlage konfrontiert. Kurz vor dem Ende des Wahlkampfs verschieben sich jetzt die politischen Kräfteverhältnisse noch einmal. Am Donnerstagnachmittag erklärte der Linkspopulist Muharrem Ince seinen Rückzug aus dem Rennen. "Ich tue es für mein Vaterland", sagte Ince vor der Presse.

Türkei-Wahl 2023: Linkspopulist Ince zieht sich zurück – pikante Videos könnten der Grund sein

Der Grund für den Verzicht dürften Sex-Videos sein, die in den vergangenen Tagen aufgetaucht waren. Ince sagt, es handele sich um Fälschungen. Was schwerer wiegt: Im Internet kursierten angebliche Bank-Belege, die beweisen sollen, dass Ince Überweisungen von Erdogan-Vertrauten erhalten haben soll. In der Türkei gab es schon länger Gerüchte, wonach Ince von Erdogan als "trojanisches Pferd" ins Rennen geschickt worden sei, um die Opposition zu spalten – Ince bestreitet das.

WahlTürkei-Wahl 2023
(Stichwahl)
DatumSonntag (28. Mai 2023)
OrtTürkei
Gewählt wirdPräsident
Wahlberechtigt sindRund 64 Millionen Menschen
Kandidaten für PräsidentenamtRecep Tayyip Erdoğan (69) und Kemal Kılıçdaroğlu (74)

Er hatte seinen Wahlkampf allerdings vor allem gegen Kilicdaroglu geführt, der als gemeinsamer Kandidat von sechs Oppositionsparteien antritt. Schon 2018 kandidierte Ince als Kandidat der größten Oppositionspartei CHP gegen Erdogan und erreichte rund 30 Prozent. Später trat er aus der CHP aus und gründete seine eigene linkspopulistisch ausgerichtete Heimatpartei. Welche Auswirkungen Inces Verzicht auf den Wahlausgang haben werden, ist schwer vorherzusagen.

Tritt nicht mehr zur Wahl in der Türkei an: Muharrem Ince.
Tritt nicht mehr zur Wahl in der Türkei an: Muharrem Ince. © Burhan Ozbilici/AP/dpa

Jüngste Umfragen zur Türkei-Wahl: Linkenpolitiker Kilicdaroglu erreicht fast absolute Mehrheit

In den Umfragen hat er anfangs bei fünf bis sieben Prozent, zuletzt aber nur noch bei zwei bis drei Prozent gelegen. Ince selbst hat bei seinem Rücktritt am Donnerstag keine Wahlempfehlung gegeben. Wenn sich seine Anhänger aber nun mehrheitlich Kilicdaroglu anschließen, könnte das den Ausschlag geben. In einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage des Instituts Konda sprachen sich 49,3 Prozent der Befragten für Kilicdaroglu aus. Erdogan kommt bloß auf 43,7 Prozent.

Damit liegt Kilicdaroglu nur noch ganz knapp unter der Schwelle zur absoluten Mehrheit. Mit Inces Rückzug steigen die Chancen, dass die Präsidentenwahl schon am Sonntag entschieden wird. Erreicht dann allerdings keiner der Bewerber mehr als 50 Prozent der Stimmen, findet in der Türkei zwei Wochen später eine Stichwahl zwischen Erdogan und Kilicdaroglu statt.

Türkei-Wahl 2023: Parlament und Präsident werden neu gewählt – Rückenwind für Kilicdaroglu?

Wichtig für eine mögliche Stichwahl dürfte sein, wie die ebenfalls am Sonntag stattfindende Parlamentswahl ausgeht. Erreichen die Regierungspartei AKP und ihre Koalitionspartner noch einmal die absolute Mehrheit der Mandate, wäre Erdogan im Vorteil. Gewinnen stattdessen die Oppositionsparteien eine Mehrheit in der nächsten Nationalversammlung, bekäme Kilicdaroglu Rückenwind.