Berlin. Organische Photovoltaik kommt ohne seltene Rohstoffe aus. Sie könnte die Solarindustrie massiv voranbringen. Was dafür passieren muss.

  • Die Photovoltaik-Industrie in Deutschland wurde im vergangenen Jahrzehnt abgebaut: Längst kommen die meisten mit seltenen Rohstoffen gebauten Solaranlagen aus China
  • Bei den organischen Solarzellen sieht das anders aus: Deutschland leistet hier wichtige Pionierarbeit
  • Dabei hat die Technologie das Zeug dazu, der deutschen Solarindustrie einen kräftigen Push zu geben. Allerdings muss sie dafür noch deutlich verbessert werden

Manchmal ist ein Fußabdruck überdeutlich. Das gilt auch für den Carbon Footprint, den CO2-Fußabdruck. Er gibt nicht nur an, wie viel klimaschädliche Treibhausgase ein Mensch durch seinen Lebensstil verursacht. Auch die diversen Energieträger schneiden unterschiedlich ab. Eine Kilowattstunde Strom aus Wasserkraft wird mit 3 Gramm CO2e „erkauft“. Das „e“ steht für Äquivalent und macht klar, dass auch alle anderen Gase berücksichtigt werden. Kernkraft und herkömmliche Solarzellen stehen mit rund 50 Gramm zu Buche, Strom aus Braunkohle mit bis zu einem Kilogramm.

Der Dresdner Physiker Karl Leo hat all diese Zahlen im Kopf und noch eine Trumpfkarte in der Hand: die organische Photovoltaik (OVP). „Sie kommt in Mitteleuropa auf einen Wert zwischen 7 bis 9, in sehr sonnenreichen Gegenden kann sogar der Carbon Footprint von Wasserkraft erreicht werden.“

  • Energiewende: Entdecken Sie die Themenseiten Photovoltaik und Balkonkraftwerk
  • Highlight Mai: Lidl verkauft Balkonkraftwerk für unter 200 Euro – unser Faktencheck
  • Hochleistung: Balkonkraftwerke von Anker und GreenAkku im Test – unsere Empfehlung
  • Geld vom Staat: Wo Verbraucher für ihr Balkonkraftwerk eine Förderung bekommen
  • Kostenspanne: Wie viel ein Balkonkraftwerk für Verbraucher kostet

Organische Photovoltaik: Solarzellen ohne seltene Rohstoffe

Dass die Photovoltaik (PV) für die künftige Energieversorgung gebraucht wird, ist eine Binsenweisheit: „Wenn wir langfristig denken, brauchen wir aber Solartechnologien, die keine kritischen Rohstoffe enthalten, bei der Herstellung möglichst wenig Energie verbrauchen und überall einsetzbar sind“, sagt der Professor. Die Zukunft gehöre deshalb organischen Solarzellen. Sie bestehen im Wesentlichen aus Kohlenwasserstoffen und werden in Schichten – hundertmal dünner als ein menschliches Haar – auf eine Trägerfolie aufgedampft. Sie seien extrem leicht und sehr flexibel, nennt der Forscher weitere Vorzüge. „Dadurch kann man sie fast überall einsetzen.“

Der renommierte Wissenschaftler, der in seiner Laufbahn schon mehrere bedeutende Auszeichnungen erhalten hat, verschweigt aber auch bisherige Defizite der Technologie nicht. Die ist gerade erst den Kinderschuhen entwachsen. „Was ihr bislang fehlt, ist ein hoher Wirkungsgrad. Er ist momentan nur etwa halb so groß wie bei herkömmlichen Silizium-Solarzellen. Wir wollen erstmal verstehen, warum die Wirkungsgrade so sind, wie sind. Dann wollen wir sie verbessern, etwa mit Hilfe effektiverer Kohlenstoffverbindungen und besserer Schichtaufbauten. Dazu brauchen wir aber noch viele Jahre Grundlagenforschung.“

 Karl Leo, Direktor des Instituts für Angewandte Physik (IAP) der TU Dresden, hockt auf dem Dach des Hermann-Krone-Baus inmitten von Solarmodulen. Der Leibniz-Preisträger forscht unter anderem im Bereich der Photovoltaik und organischen Elektronik.
Karl Leo, Direktor des Instituts für Angewandte Physik (IAP) der TU Dresden, hockt auf dem Dach des Hermann-Krone-Baus inmitten von Solarmodulen. Der Leibniz-Preisträger forscht unter anderem im Bereich der Photovoltaik und organischen Elektronik. © Robert Michael/dpa

Solarstrom: Deutsche Firma ist Vorreiter bei organischer Photovoltaik

Leo ist Direktor des Instituts für Angewandte Physik und Gründer des Dresden Integrated Center for Applied Physics and Photonic Materials der TU Dresden. Mit seinem Team hat er 1998 erstmals eine organische Halbleiter-LED (OLED) hergestellt. Organische Leuchtdioden sorgen heute wie selbstverständlich für bessere Bildhelligkeit, Kontraste und Energieeffizienz in Smartphones oder bei TV-Bildschirmen. 1998 war das noch Pionierarbeit. Auch bei den organischen PV ist der Weg bis zur technischen Vollendung noch weit.

Tatsächlich gibt es derzeit weltweit erst einen Hersteller, der organische PV als Massenproduktion aufzieht – auch wenn sich die Serienproduktion noch in der Anlaufphase befindet. Die Dresdner Firma Heliatek mit gut 270 Beschäftigten entstand als Ausgründung der Technischen Universität Dresden und der Uni Ulm. In den Aufbau der Serienproduktion wurden mehr als 75 Millionen Euro gesteckt. „Hinter unseren Folien steckt die gleiche Halbleitertechnologie wie bei den OLED. Sie machen aus Strom Licht, bei organischer Photovoltaik ist es genau andersrum“, sagt Heliatek-Sprecher Stephan Kube.

Die Dresdner Firma Heliatek registriert wachsendes Interesse an ihren Solarfolien.
Die Dresdner Firma Heliatek registriert wachsendes Interesse an ihren Solarfolien. © Robert Michael/dpa

Unlängst hat Heliatek im Hafen von Barcelona das gewellte Dach eines alten Fischereigebäudes mit den Solarfolien beklebt. Kube hält alte Industriebauten für prädestiniert. „Sie sind nicht für schwere Zusatzlasten auf dem Dach ausgelegt, halten das statisch nicht aus.“ Während ein Silizium-Modul zwischen 15 und 20 Kilogramm wiegt, hat eine gleichgroße Folie ein Gewicht von etwa 1,6 Kilogramm.

Der Bundesverband Solarwirtschaft sieht in der OVP großes Potenzial – wegen ihrer Nachhaltigkeit. Sie sei günstig herstellbar, vielseitig anwendbar und vergleichsweise einfach in die Gebäudehülle integrierbar, sagt Hauptgeschäftsführer Carsten Körnig. „Allerdings ist die Technologieentwicklung bei der OPV noch relativ jung und der Markteinführung siliziumbasierter Technologie rund 20-30 Jahre hinterher. Das zeigt sich in den noch geringeren Zellwirkungsgraden, höheren Kosten und der geringen Verbreitung im Markt.“

PV und OVP machen sich keine Konkurrenz, beide werden gebraucht. Der Wirkungsgrad industriell hergestellter Siliziumsolarzellen – die Stromausbeute aus Energie des einfallenden Lichtes – habe sich in den vergangenen 20 Jahren etwa verdoppelt, von 11 auf 22 Prozent, sagt Körnig. In in den nächsten zehn Jahren könnte er auf etwa 32 Prozent zunehmen. Das dürfte auch das Ziel der Unternehmen sein, die in Deutschland wieder Solarmodule produzieren wie Solarwatt aus Dresden, Antec Solar aus Arnstadt oder Q-Cells aus Bitterfeld-Wolfen.

Eine organische Solarfolie des Dresdner Solarunternehmens Heliatek klebt auf dem Dach des Instituts für Angewandte Physik (IAP) der TU Dresden auf dem Hermann-Krone-Bau.
Eine organische Solarfolie des Dresdner Solarunternehmens Heliatek klebt auf dem Dach des Instituts für Angewandte Physik (IAP) der TU Dresden auf dem Hermann-Krone-Bau. © Robert Michael/dpa

Karl Leo attestiert Heliatek einen technologischen Vorsprung. Ihn zu halten und Patente zu schützen, sei eine wichtige Aufgabe. Denn andernfalls drohe organischer PV das gleiche Schicksal wie Silizium-Zellen. Damals waren Module und Maschinen in Europa entwickelt und nach China exportiert worden. Zurück kamen Module, die viel billiger waren und europäische Hersteller in die Knie zwangen. „In China und der Dritten Welt kann man Silizium-Module billiger fertigen als in Europa, das wird immer so bleiben. Bei organischer Photovoltaik sieht das anders aus. Da steckt das Know-how in Maschinen und Technologie.“ (lro/dpa)