Göttingen. „Soll ja auch gut aussehen“: Experten präparieren ein riesiges Walskelett für den Umzug in das neue Forum Wissen in Göttingen.

20 Jahre lang war das 15 Meter lange Skelett eines Pottwals die größte Attraktion der Zoologischen Sammlungen der Universität Göttingen. 2018 musste der Wal aus dem einstigen Zoologischen Museum am Göttinger Bahnhof ausziehen, weil das Gebäude zu einem neu gestalteten Wissensmuseum umgebaut wurde. Seitdem lagerten die Knochen in einem Stallgebäude der Universität Göttingen. Inzwischen ist das neue Museum „Forum Wissen“ seit einigen Monaten fertig, und nun soll auch der Wal dort wieder einziehen. Dieser Umzug ist allerdings nicht einfach zu bewerkstelligen: Die Experten müssen nicht nur die insgesamt 123 Walknochen wieder in der richtigen Reihenfolge zusammensetzen. Weil das tonnenschwere Skelett an einer Decke aufgehängt werden soll, so dass es über den Besuchern schwebt, müssen alle Teile so stabil montiert sein, dass kein Knochen herunterfallen kann.

Der Umzug sei allein schon wegen der riesigen Ausmaße des Walskeletts eine große Herausforderung, sagt der wissenschaftliche Leiter des Forum Wissen, Professor Christoph Bleidorn. Insgesamt werde das Unternehmen voraussichtlich 100.000 Euro kosten. Das Skelett stammt von einem Pottwal, der im Januar 1998 vor der Halbinsel Nordstrand verendet ist. Die Göttinger Wissenschaftler hatten damals eigenhändig vor Ort den größten der insgesamt drei gestrandeten Pottwalbullen zerlegt und rund 40 Tonnen Fleisch und Speck vom Skelett abgetrennt. Anschließend wurden die mehr als 120 Knochen mit großem Aufwand präpariert und in mühsamer Puzzlearbeit zusammengebaut.

Inzwischen habe sich gezeigt, dass die damalige Reinigungsaktion nicht ausreichend gewesen sei, sagt Präparator Carsten Wortmann. „Da waren immer noch Restfette drin.“ Dies sei deshalb ein Problem, weil das Fett mit der Zeit ranzig werde und dann die Knochen zerstören würde. Um zu verhindern, dass das Skelett ähnlich wie bei einer Osteoporose-Erkrankung porös und brüchig wird, haben die Experten die Walknochen zum Entfetten zwei Jahre lang in einer speziellen Chemikalienlösung gebadet. Für einen dieser vielen Walknochen brauchten die Experten eine besonders große „Badewanne“: Der fünf Meter lange und 500 Kilo schwere Schädel des Pottwals wurde in einem großen Container gelagert, der mit 30.000 Liter Wasser gefüllt war. „Jetzt ist alles sauber und fertig, und wir können den Wal wieder zusammenbauen“, freut sich Wortmann.

Damit die Experten gleich wissen, welche Knochen wohin kommen, waren alle Einzelteile beim Auseinandernehmen des Walskeletts nummeriert und etikettiert worden. Der Knochen mit dem Etikett „R 2“ ist zum Beispiel die zweite Rippe auf der rechten Seite, erläutert Wortmann. Die Montage der Rippen erwies sich als kompliziertes Unterfangen – und das lag nicht nur an der sehr speziellen Anatomie eines Pottwals, sondern auch an den ästhetischen Ansprüchen des Walpräparators: „Das Ganze soll ja auch gut aussehen“, sagt Wortmann. So ging es nicht nur darum, die insgesamt 22 Rippen – elf auf jeder Seite – an die richtige Stelle zu bringen, so dass sie einander synchron gegenüberliegen, sondern sie auch so zu positionieren, dass das Fehlen der Knorpel an den Ansatzpunkten nicht auffällt. „Wir haben jede Rippe dreimal an- und abgebaut, bis wir zufrieden waren“, sagt er. „Jetzt haben wir ein ästhetisch ansprechendes Endprodukt.“

Präparator Carsten Wortmann präsentiert die Brustflosse (Flipper) des Pottwals.
Präparator Carsten Wortmann präsentiert die Brustflosse (Flipper) des Pottwals. © pid | Hubert Jelinek

Bevor das aufgehübschte Skelett im Forum Wissen aufgehängt werden kann, muss es allerdings noch stabilisiert werden. „Das ist die größte Herausforderung, dass keine Knochen herunterfallen“, sagt Wortmann. Eine österreichische Spezialfirma werde in den kommenden Wochen ein Stahlskelett anfertigen. Diese wird für jede Rippe eine passgenaue Eisenform herstellen, am Ende sollen alle Knochen auf einer passgenauen Stahlauflage ruhen.

Voraussichtlich im Januar soll dann das fertig zusammengesetzte „Rippenstück“ des Walskeletts in das Forum Wissen am Göttinger Bahnhof umziehen. Dort sollen dann nach und nach auch noch die zahlreichen Wirbel und sonstigen Knochen montiert werden, auch der riesige Schädel und der 160 Kilogramm schwere Unterkiefer.

Der Schädel stellt auch diesmal wieder eine besondere logistische Herausforderung dar: Als das Walskelett 1999 ins Zoologische Museum in Göttingen kam, musste eine 15 Quadratmeter große Öffnung in die Außenmauer des Gebäudes gebrochen werden, weil der fünf Meter lange Schädel nicht durch das Treppenhaus passte. Anschließend wurde der Koloss mit einem Autokran in den zweiten Stock gehievt. Diesmal kombinieren die Experten den Wal-Transport mit der Behebung eines Baumangels: An der Glasfassade des Atriums, in dem der Wal aufgehängt werden soll, ist eine Scheibe gesprungen und muss ersetzt werden. Bei dieser Gelegenheit werde man zwei weitere Scheiben herausnehmen und den Walschädel durch die so entstandene Lücke mit einem Kran in das Gebäude befördern, erläutert Wortmann. Wenn einmal alles fertig zusammengebaut ist, wird der Wall in dem Atrium wie in einem großen Wassertank schweben - und Göttingen ist wieder um eine Attraktion reicher.