Göttingen. Die Idee der Dorfmoderation wurde im Modellprojekt „Dorf ist nicht gleich Dorf“ drei Jahre lang erforscht und erprobt.

Das Landleben hat viele Vorzüge, doch vor allem Jüngere ziehen in die Städte. Aber was kann man ändern, damit das Dorfleben attraktiv bleibt? Eine Idee ist die Dorfmoderation, die im Modellprojekt „Dorf ist nicht gleich Dorf“ drei Jahre lang erforscht und erprobt wurde.

Mit dem Ziel, die Dorfmoderation auch über Südniedersachsen hinaus zu etablieren, haben Wissenschaftler des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen (Sofi) und der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst, Fakultät Ressourcenmanagement in Göttingen, relevante Faktoren der Dorfentwicklung identifiziert und gemeinsam mit Sozialpädagogen der Ländlichen Erwachsenenbildung (LEB) sowie der Freien Altenarbeit Göttingen (FAG) eine neue Qualifizierungsmaßnahme für die erfolgreiche Moderation von Dorfprozessen entwickelt.

Veränderung durch demografische Entwicklung

„Unsere Dörfer haben viel zu bieten. In den letzten Jahren gab es dort viele neue, interessante Entwicklungen und Angebote. Nichtsdestotrotz wissen wir: Die demografischen Entwicklungen verändern unsere Dörfer. Viele von ihnen verzeichnen Bevölkerungsverluste, insbesondere jüngere Menschen zieht es zunehmend in die Städte. In der Folge sind Läden, Poststellen und Kneipen aus vielen Ortschaften längst verschwunden und Vereine finden kaum Nachwuchs“, sagt der Soziologe Dr. Rüdiger Mautz vom Sofi und ergänzt: „Um mit der neuen Situation umgehen zu können, brauchen die Menschen in den Dörfern Mut zur Veränderung, kreative Ideen und eine engagierte Dorfgemeinschaft für die Umsetzung. Im Modellprojekt ‚Dorf ist nicht gleich Dorf‘, in dem Wissenschaftler gemeinsam mit einem sozialpädagogischen Team zusammengearbeitet haben, sollten mit der Idee der Dorfmoderation daher langfristige ‚Prozesse von unten‘ gefördert werden, indem interessierte Dorfbewohner für diese ehrenamtliche Aufgabe qualifiziert werden.“

Politik, Verwaltung, Vereine und Bürger jeden Alters

„Die Qualifizierung zum Einstieg in die Dorfmoderation richtet sich gleichermaßen an Akteure aus Politik, Verwaltung und Vereinen sowie an alle jüngeren und älteren Bürger, die motiviert sind, sich für ihr Dorf oder ihre Gemeinde zu engagieren“, führt Dr. Swantje Eigner-Thiel von der HAWK als Projektkollegin fort. „Die Voraussetzungen für positive Veränderungen sind in jedem Dorf unterschiedlich. Die Geschichte der Orte, die Bedeutung von Landwirtschaft, Gewerbe, Kirche und Vereinen sowie zahlreiche weitere soziale, wirtschaftliche und kulturelle Faktoren haben die Dörfer und ihre Menschen unterschiedlich geprägt. Die Dorfmoderation kann zur Demokratisierung von Dorfentwicklung beitragen, indem sie es der Dorfbevölkerung erleichtert, auf Prozesse und Projekte im Dorf aktiv Einfluss zu nehmen und dabei die jeweils eigene Situation vor Ort zu berücksichtigen“, so Eigner-Thiel.

Um den geschilderten Herausforderungen besser gerecht werden zu können, sind mit dem Abschluss des im Herbst 2017 gestarteten Projekts, das in enger Kooperation mit den vier südniedersächsischen Landkreisen Göttingen, Northeim, Goslar und Holzminden durchgeführt sowie vom Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz fachlich begleitet und finanziell unterstützt wurde, zielführende Handreichungen vorgelegt worden:

  1. ein unter wissenschaftlicher Begleitung erarbeitetes Curriculum Dorfmoderation,
  2. ein Handbuch für Referierende in der Dorfmoderation,
  3. ein Methodenkoffer für die Dorfmoderation,
  4. ein Dorfanalyseschema,
  5. ein Verstetigungs- und Vernetzungskonzept für die Dorfmoderation in (Süd-) Niedersachsen.

Darüber hinaus enthält ein umfassender Abschlussbericht des Gesamtprojekts detaillierte Hintergründe zu allen Handreichungen. In ihm werden die empirischen Befunde und wissenschaftlich begleiteten Evaluationen aus der gesamten Projektlaufzeit im Einzelnen dargestellt.

Dr. Swantje Eigner-Thiel (HAWK) und Dr. Rüdiger Mautz (Sofi) mit den Publikationen des Projekts „Dorf ist nicht gleich Dorf“.
Dr. Swantje Eigner-Thiel (HAWK) und Dr. Rüdiger Mautz (Sofi) mit den Publikationen des Projekts „Dorf ist nicht gleich Dorf“. © Swantje Eigner-Thiel | Hawk

Dorfhistorische Kontexte und Prägungen

Ein weiterer Schwerpunkt der wissenschaftlichen Analyse befasst sich mit der genaueren Bestimmung dorfhistorischer Kontexte und Prägungen für die heutige Dorfmoderationspraxis und will damit zum besseren Verständnis lokaler Potenziale heutiger Dorfentwicklung beitragen. Im Abschlussbericht finden sich zudem empirisch gestützte Erkenntnisse über die Motivationen und Handlungsorientierungen der Dorfmoderatoren sowie über erste Erfahrungen, die diese in der Dorfmoderationspraxis bisher sammeln konnten – etwa im Hinblick auf das eigene Rollenverständnis sowie die Akzeptanz dieser Rolle in der Dorföffentlichkeit sowie auf die bereits erkennbaren Wirkungen der Dorfmoderation.

Die genannten Handreichungen für die Qualifizierung und Praxis der Dorfmoderation sowie der Abschlussbericht stehen unter www.dorfmoderation-sn.de zum kostenfreien Download zur Verfügung.

Auch Kurzfilme über die Praxis der Dorfmoderation in Bühren, Eisdorf, Hahausen, Kirchbrak und Sievershausen sind auf der Projektseite zu finden und können gebührenfrei angesehen werden.