Göttingen. Tierversuche sind immer wieder ein Streitthema. Im Deutschen Primatenzentrum in Göttingen werden Versuchstiere gezüchtet – und an ihnen geforscht.

Der Affenkäfig ist in Aufruhr, die Weißbüschelaffenfamilie macht Radau. Die Tiere turnen, klettern und springen. Ein Äffchen schaukelt in einer Affenhängematte, ein anderes springt ans Gitter, legt den Kopf schief und beobachtet die Menschen außerhalb des Käfigs. Es ist auf den ersten Blick ein Treiben wie im Zoo. Nur, dass man diese Affen unter Laborbedingungen besuchen muss: Menschen müssen zweimal ihre Schuhe und einmal ihre Kleidung wechseln, bevor sie die Tür zu den Affengehegen im Deutschen Primatenzentrum (DPZ) in Göttingen öffnen dürfen.

Hinter der ersten Tür tauscht Rüdiger Behr seine weißen Plastiklatschen gegen grüne. Der 51-Jährige arbeitet seit 2005 am DPZ, er leitet den Bereich „Degenerative Erkrankungen“. Es riecht säuerlich nach Exkrementen. „Das ist der typische Geruch der Weißbüschelaffen“, sagt er und lacht. Im Vorraum steht ein Rollwagen mit Mehlwürmern in Plastikboxen als Futter für die Affen. Dann schiebt Behr die Tür zu den Gehegen auf. „Na, ihr?“ Damit sind die Affen gemeint.

Die Weißbüschelaffen sind Teil eines Genversuchs. Manche Tiere sind genetisch verändert. Sie haben eine Markierung am Schwanz. Ansonsten sind sie nicht von den anderen Tieren zu unterscheiden. Die meisten Affen haben nicht nur Nummern, sondern die Tierwärter geben ihnen auch Namen, erzählt Behr.

1.300 Affen im DPZ

Am Deutschen Primatenzentrum gibt es mehr als dreimal so viele Affen wie Menschen. Etwa 1.300 Makaken, Paviane, Weißbüschel- und Rhesusaffen leben auf dem Gelände. 400 Menschen arbeiten im Zentrum, sie erforschen Infektionskrankheiten wie HIV/Aids, das Verhalten der Tiere und ihre Biologie. Das DPZ wird anteilig von Bund und Ländern finanziert. Behr kommt nur noch selten in die Tierhaltung. Heute erklärt er Besuchern, was das DPZ macht.

Ein großer Teil der Affen sind Zuchttiere. Denn in Göttingen werden die Versuchstiere für alle deutschen Universitäten und öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen gezüchtet. Nur ein kleiner Teil wird in Göttingen für Tierversuche in Forschungsprojekten eingesetzt.

Behr forscht gerade zusammen mit Ärzten an einer Methode, die Herzinfarkt-Patienten in Zukunft helfen könnte, Gewebeschäden im Organ zu regenerieren. Er spricht von „Herzpflastern“. Sie werden aus Stammzellen gezüchtet und auf ein krankes Herz transplantiert, um die Regenerierung des Gewebes anzuregen. Derzeit wird die Methode im Primatenzentrum an Rhesusaffen getestet. Die Tiere aus diesem Versuch können die Besucher allerdings nicht sehen.

Es klingt brutal, wenn Behr erzählt, welchen Behandlungen die Affen in dem Versuch ausgesetzt sind. Denn um die Wirksamkeit des Herzpflasters zu testen, muss bei den Versuchstieren ein künstlicher Infarkt erzeugt werden. Mit Hilfe eines Katheters wird ein kleiner Ballon in die Herzkranzgefäße des Tieres eingebracht, dort pustet er sich auf und unterbricht den Blutfluss in einem Teil des Herzens. Das führt dazu, dass das Gewebe in diesem Teil abstirbt – ähnlich wie bei einem Infarkt, der durch ein Blutgerinnsel ausgelöst wird. Ein Affe ist dabei gestorben, während er narkotisiert war.

Nach einigen Wochen wird den Affen dann das Herzpflaster transplantiert, und die Beobachtung der Regenerierung beginnt. Nach dem Ende des Versuchs werden die Tiere eingeschläfert, um ihre Herzen zu untersuchen, sagt Behr.

In Deutschland wurden nach Zahlen der Deutschen Herzstiftung 218.000 Menschen im Jahr 2017 wegen Herzinfarkt in eine Klinik eingewiesen. Mehr als 48.600 starben im Jahr 2016 an einem Infarkt. „Wir beeinträchtigen die Tiere und fügen ihnen Schäden zu“, sagt Behr später in seinem Büro. „Aber wir tun alles, um die Auswirkungen für die Tiere so gering wie möglich zu halten.“ Die Tiere werden von Chefärzten der Uniklinik Göttingen operiert, bekommen Schmerzmittel und werden täglich untersucht, auch am Wochenende.

Behr kann die Tierversuche unter medizinethischen Erwägungen mit seinem Selbstverständnis als Forscher vereinbaren. „Wenn man unter Einsatz von 20 bis 30 Affen eine sehr sinnvolle Therapie entwickeln kann, um möglicherweise vielen Hunderttausend Menschen zu helfen, kann ich das für mich rechtfertigen“, sagt er.

Es gibt aber auch Forscher, die das anders sehen. Der Verein „Ärzte gegen Tierversuche“ lehnt Forschung an Tieren grundsätzlich ab – aus ethischen und wissenschaftlichen Gründen. Denn Ergebnisse aus Tierversuchen ließen sich nicht 1:1 auf den Menschen übertragen. Außerdem hätten viele moderne Zivilisationskrankheiten wie einige Herz-Kreislauf-Erkrankungen ihre Ursache in ungesunder Lebensführung. Tatsächlich sind laut der Deutschen Herzstiftung noch heute fast 30 Prozent der Reha-Herzpatienten Raucher, 18 Prozent sind stark übergewichtig und 22 Prozent haben Diabetes. Die Zahlen sind ein Hinweis darauf, dass präventive Therapien in Zukunft noch wichtiger werden. Dennoch könnte das „Herzpflaster“, wenn es auch klinisch seine Wirksamkeit bestätigt, für viele Menschen eine gute Therapie sein. Für Behr sind die Tierversuche an den Rhesusaffen auch deswegen ethisch vertretbar, weil die Versuchsanordnung strikter behördlicher Kontrolle unterliegt. Jede Blutabnahme, jeder Ultraschall, jede Medikamentengabe müssen beim niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz beantragt werden. Und das Kreisveterinäramt hat permanent Zutritt zum DPZ für unangemeldete Kontrollen.

So wird immerhin sichergestellt, dass es den Tieren in Göttingen gut geht – wie den Weißbüschelaffen in ihren Käfigen. „Es ist allen bewusst, dass es Tiere sind, die Schmerz, Angst und Stress empfinden können“, sagt Behr. „Hier ist niemand, der ein lebendes Tier als reines Studienobjekt ansieht.“

Lesen Sie dazu auch den Kommentar von Felix Gräber