Göttingen. Torsten Thiel ist katholischer Polizei- und Zoll-Seelsorger. Der Göttinger ist ab sofort für ganz Niedersachsen zuständig. Ein Interview.

„Die Polizei – Dein Freund und Helfer“ lautet ein alter Slogan. Manchmal brauchen auch die Helfer Hilfe. Torsten Thiel ist katholischer Polizei- und Zoll-Seelsorger. Der Göttinger ist ab sofort für ganz Niedersachsen zuständig.

Polizeiseelsorger Torsten Thiel.
Polizeiseelsorger Torsten Thiel. © HK | ARCHIV

Im Interview sprach Torsten Thiel über die Schweigepflicht und das Zeugnisverweigerungsrecht.

Wie oft werden Sie um Hilfe gebeten?

Ich führe im Durchschnitt jede Woche ein Gespräch mit einem Polizeibeamten. Zunächst steht den Betroffenen ja intern eine Beratung innerhalb ihrer Polizeidirektion zur Verfügung. Für die Göttinger Polizisten ist die Beratungsstelle in Hildesheim zuständig.

Warum gibt es darüber hinaus denn Seelsorger, die zur Kirche gehören?

Ich habe, anders als die Kollegen im Polizeidienst, ein Zeugnisverweigerungsrecht. Wir unterliegen zudem der Schweigepflicht. Das macht es den Beamten in manchen Fällen leichter, sich an uns zu wenden statt an Polizei-Kollegen. Selbst wenn ein Polizist einmal Mist gebaut hat – ich schweige.

Können Sie ein Beispiel für Fälle nennen, wo Sie vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht haben?

Wenn beispielsweise ein Polizist im Dienst von der Schusswaffe Gebrauch machen musste. Dann muss er sich intern immer einer Ermittlung stellen. Manchmal ist solch ein Verfahren aber auch seelisch belastend. Wichtig ist dann, dass sich die Einsatzkräfte die Sorgen von der Seele reden können, ohne dass es für sie juristisch relevant wird.

Das kann für Sie als Seelsorger aber auch eine Zwickmühle bedeuten, oder?

Ja, natürlich. Aber genau dann sind Schweigepflicht und Zeugnisverweigerungsrecht wichtig. Meine Aufgabe ist ja nicht die interne Aufklärung, sondern die psychische Gesundheit der Mitarbeiter. Aber derartige Fälle sind extrem selten. Ich arbeite seit 20 Jahren als Polizeiseelsorger, solche Fälle kann ich an einer Hand abzählen.

Mit welchen Problemen wenden sich die Polizisten denn in der Regel an Sie?

Oft sind es Fälle wie die Zeugenschaft bei einem Suizid. So etwas geht den Beamten oft an die Nieren. Meistens sprechen sie zunächst mit den Kollegen darüber. Manchmal ist ein professionelles Gespräch darüber hinaus aber nötig. Das gilt auch für Einsätze mit Kindern, beispielsweise tödliche Unfälle. An seine erste Kinderleiche erinnert sich jeder Kollege. Die vergisst man nie.

Ist es denn heute normal, dass sich Polizeibeamte an Sie wenden?

Die Gesprächskultur innerhalb der Polizei hat sich geändert und ändert sich noch. Als ich vor 20 Jahren anfing, fiel es vielen Beamten noch schwer, Schwächen zuzugeben, es herrschte eine stark männlich geprägte Kultur in der Polizei. Heute setzt sich mehr und mehr durch, dass derjenige, der Schwächen zugibt, der Starke ist – und nicht der Schwache. Heute haben wir 43 Prozent Frauen in der Polizeiausbildung. Gleichzeitig wird es einfacher, psychische Probleme anzusprechen.

Sie sind ja auch Ausbilder an der Polizeiakademie. Ist das Sprechen über Schwächen eine Generations-Frage?

Ja. Auch, aber nicht nur. Es gibt auch ältere Kollegen, die sich mittlerweile trauen, das Gespräch zu suchen.

Wie sieht es mit dem Thema Gewalt gegen die Ordnungshüter aus?

Die Gewalt nimmt zu. Das muss nicht einmal gleich körperliche Gewalt sein – Anspucken beispielsweise wird immer häufiger. Ich habe es selbst bereits mehrfach im Einsatz bei Demonstrationen erlebt.

Wie finden die Polizisten Kontakt zu ihnen?

Ich bin hier in der Region bekannt, auch über meine Tätigkeit als Dozent. Heute reagieren zudem auch die Vorgesetzten viel sensibler, wenn es Konflikte gibt. Oft spielen auch private Probleme eine Rolle, wenn ein Polizist nicht mehr wie gewohnt arbeitet. Auch dann werden wir kontaktiert.

Sie helfen Helfern, die Schlimmes erlebt haben. Wie steht es um Sie selbst, gibt es Einsätze, die Sie nie vergessen?

Natürlich. Immer, wenn ich Angehörigen die Nachricht überbringen musste, dass ein Polizist im Dienst ums Leben gekommen ist. Der furchtbarste Einsatz aber war im Jahr 2010. Damals wurden drei Beamte beim Versuch, eine Bombe auf dem Göttinger Schützenplatz zu entschärfen, getötet.