Rom. Beim Italien-Besuch von Scholz geht es vor allem um Flüchtlinge: In Libyen wollen wohl 700.000 Migranten nach Europa – Meloni warnt.

Als Giorgia Meloni vor siebeneinhalb Monaten zur italienischen Ministerpräsidentin gekürt wurde, war die Skepsis in Europa groß. Die Chefin der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia galt vielen als suspekt. Ihre früheren Sympathien für Italiens Diktator Benito Mussolini und ihre Kampfansage an die EU – „Jetzt ist Schluss mit lustig“ – trieben nicht nur in Brüssel den Adrenalinspiegel nach oben.

Doch im Amt gab sich die 46-Jährige überraschend samtpfötig. Sie ging – anders als viele Rechtspopulisten in Europa – nicht auf Kuschelkurs zu Kremlchef Wladimir Putin. Meloni trug die Sanktionen gegen Russland mit und fuhr einen moderaten Kurs mit Blick auf die EU.

Beim Antrittsbesuch der Premierministerin Anfang Februar in Berlin gab sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) konziliant. „Deutschland und Italien sind aufs Engste miteinander verbunden“, hob Scholz hervor. Er pries Italien gar als „Sehnsuchtsland“ der Deutschen an, woran sich seit Goethes Zeiten nichts geändert habe.

Italien: Seit Januar viermal mehr Migranten als im Vorjahr

Wenn Meloni an diesem Donnerstag den Kanzler in Rom empfängt, hat die italienische Regierungschefin eine Reihe von politischen Problemen am Hals. Und dabei setzt sie auch auf die Unterstützung durch Scholz. Zu schaffen macht ihr vor allem das Flüchtlingsthema. Meloni war im September hauptsächlich dank des Versprechens gewählt worden, die Migrationsströme aus Nordafrika zu stoppen. Dies scheint ihr trotz scharfer Kampfparolen nicht wirklich zu gelingen.

Auf Mission in Nordafrika: Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni nach einem Gespräch mit dem tunesischen Staatschef Kais Saied in Tunis. Dabei ging es auch um die Vereinbarung eines Flüchtlingsabkommens.
Auf Mission in Nordafrika: Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni nach einem Gespräch mit dem tunesischen Staatschef Kais Saied in Tunis. Dabei ging es auch um die Vereinbarung eines Flüchtlingsabkommens. © AFP | -

Mehr als 50.000 Flüchtlinge sind seit Anfang 2023 in Italien gelandet, viermal so viele wie im gleichen Zeitraum 2022. Der italienische Auslandsgeheimdienst AISE warnt davor, dass in Libyen fast 700.000 Migranten zur Abfahrt in Richtung Italien und Europa bereit seien. „Hier geht es nicht mehr um die Frage, ob wir Migranten aufnehmen sollen oder nicht. Wir haben es hier mit einem Phänomen zu tun, das in einigen Monaten eine unüberschaubare Dimension annehmen könnte“, schlug Europaminister Raffaele Fitto Alarm.

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Inzwischen sorgt das Thema Migration für großen Unmut in der italienischen Bevölkerung. Für die großen Fluchtbewegungen macht Rom unter anderem die russische Privatarmee Wagner verantwortlich, die in Libyen weite Teile der Küste kontrolliert. Meloni erhofft sich nun Rückendeckung durch Deutschland.

Rom beschuldigt die russische Privatarmee Wagner in Libyen

Ihr geht es um Asylverfahren in Drittstaaten. Abgelehnte Asylbewerber sollten verstärkt in ihre Heimat abgeschoben werden. Außerdem fordert die Regierungschefin Deutschlands Ja für einen europäischen „Libyen-Marshall-Plan“ für die nordafrikanischen Länder: Illegale Auswanderung soll eingedämmt und das Schlepperwesen bekämpft werden. Meloni wird Scholz ausführlich über ihren Besuch in Tunesien am Dienstag berichten. Dank der engeren Zusammenarbeit mit dem nordafrikanischen seien im Mai weniger Flüchtlinge in Italien angekommen als im März und April, erklärte Meloni.

Ein brisantes Thema beim Treffen Meloni-Scholz dürfte auch Italiens Umgang mit Rettungsschiffen sein. Die italienischen Behörden setzten am Wochenende zwei Rettungsschiffe deutscher Hilfsorganisationen, die „Sea Eye 4“ und die „Mare Go“, fest. Der Grund: Die deutschen NGOs hielten sich nicht an die Vorschrift der Regierung Meloni, laut der ihre Schiffe pro Einsatz eine einzige Rettungsaktion im Mittelmeer durchführen dürfen. Sie müssen danach die Migranten sofort an Land bringen.

Rishi Sunak (l-r), Premierminister von Großbritannien, Giorgia Meloni, Ministerpräsidentin von Italien, und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) haben sich zuletzt in Moldau über die Ukraine-Hilfe ausgetauscht.
Rishi Sunak (l-r), Premierminister von Großbritannien, Giorgia Meloni, Ministerpräsidentin von Italien, und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) haben sich zuletzt in Moldau über die Ukraine-Hilfe ausgetauscht. © dpa | Kay Nietfeld

Die „Sea Eye 4“ und die „Mare Go“ hatten jedoch in der vergangenen Woche mehrere Migrantenboote gerettet, bevor sie mit den aufgegriffenen Menschen in Italien an Land gingen. Ihnen droht nun eine Strafe von 50.000 Euro. Die „Sea Eye 4“ bat Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) um Hilfe. Scholz könnte in Rom zur Freisetzung der Schiffe Druck auf Meloni machen.

Deutschen Hilfsorganisationen droht eine Strafe von 50.000 Euro

Darüber hinaus will Meloni mit Scholz über Energiethemen reden. Der italienische Gasnetzbetreiber SNAM, der seit 2016 mit der deutschen Allianz Capital Partners zusammenarbeitet, will Deutschland und Österreich spätestens bis 2030 mit grünem Wasserstoff aus Nordafrika versorgen. Die Trasse „South H2 Corridor“, die durch ein Konsortium aus fünf Firmen betrieben wird, soll von Tunesien und Algerien über Italien und Österreich bis nach Bayern verlaufen.

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Über die Verbindung könnte Italien pro Jahr 4,4 Megatonnen Wasserstoff aus Nordafrika importieren. 1,7 Megatonnen davon sind laut dem Unternehmen für den Export nach Deutschland und Österreich bestimmt. Damit würde der geplante Korridor einen großen Teil des europäischen Bedarfs abdecken.

Auch die Umsetzung des Corona-Wiederaufbauplans der EU wird Meloni beim Treffen mit Scholz ansprechen. Italien ist mit einem Gesamtbetrag von 191,5 Mrd. Euro der bei Weitem größte Nutznießer des Programms. Es umfasst ein Volumen von insgesamt mehr als 800 Milliarden Euro in Form, das in Form von Zuschüssen oder zinsgünstigen Krediten gewährt wird.

Regierung in Rom hat Probleme, Gelder aus Brüssel auszugeben

Die Hoffnung in Brüssel war, mit diesem Betrag in dem hoch verschuldeten Land einen dringend benötigen Modernisierungsschub auszulösen. Doch Italien hat erhebliche Probleme, die Gelder auszugeben. Die Auszahlung der nächsten EU-Hilfstranche über 19 Milliarden Euro für das zweite Halbjahr 2023 ist in Gefahr. Grund: Italien sei bei der Umsetzung der Reformen im Rückstand.

Die Regierung in Rom bemüht sich dennoch um Optimismus. Meloni verweist darauf, dass ihr Marathonlauf gerade erst begonnen habe. Die Resultate würden erst in einiger Zeit zu sehen sein. Ob Scholz das überzeugt, bleibt abzuwarten.