Hiroshima. Putins Invasion hat große Teile der Ukraine zerstört, die rechtliche Aufarbeitung wird schwierig. Nun machen die G7 einen Vorschlag.

Deutschland und seine Verbündeten wollen Russlands Kosten für den Angriff auf die Ukraine weiter in die Höhe treiben. Die G7-Staaten weiteten bei ihrem Gipfeltreffen in der japanischen Stadt Hiroshima ihre Sanktionen aus. Die internationale Gemeinschaft sucht zudem nach weiteren Wegen, Russland für den Krieg zur Rechenschaft zu ziehen – finanziell und juristisch. Die bisherigen Bemühungen zeigen allerdings: Leicht wird das nicht.

Neben der militärischen Unterstützung sind die internationalen Strafmaßnahmen gegen Russland und seine Wirtschaft das wirksamste Mittel, der Ukraine zu helfen. Die G7-Staaten wollen Russland von allen Technologien und Dienstleistungen „aushungern, die seine Kriegsmaschinerie unterstützen“ und von den russischen Truppen auf dem Schlachtfeld genutzt werden, kündigten die Staats- und Regierungschefs aus Deutschland, Japan, den USA, Frankreich, Großbritannien, Italien und Kanada am Freitag in einer gemeinsamen Erklärung an. Welche Güter damit konkret gemeint sind, blieb zunächst offen.

Satellitenbilder zeigen das zerstörte Mariupol. Die G7-Staaten wollen nun an russisches Geld, um die Ukraine wieder aufzubauen.
Satellitenbilder zeigen das zerstörte Mariupol. Die G7-Staaten wollen nun an russisches Geld, um die Ukraine wieder aufzubauen. © AFP PHOTO / Satellite image ©2022 Maxar Technologies

„Wir haben noch einmal versichert, dass wir der Ukraine die notwendige Unterstützung geben, so lange wie das erforderlich ist“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Die bereits bestehenden Sanktionen sollten immer weiter geschärft werden.

Die sieben Industrienationen warnen andere Staaten zudem, Produkte aus den G7-Staaten an Russland weiterzugeben. Drittstaaten wurden aufgefordert, „die materielle Unterstützung der russischen Aggression unverzüglich einzustellen, andernfalls müssen sie mit hohen Kosten rechnen“. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kritisierte: „Hightech-Exporte in Drittländer – von Mikroprozessoren und Sensoren für russische Marschflugkörper bis hin zu Chips in militärischer Kommunikationsausrüstung – gehen nach Russland und landen auf dem Schlachtfeld in Waffen gegen die Ukraine.“ Das müsse ein Ende haben.

Lesen Sie auch: So wirken die 5 wichtigsten Sanktionen gegen Putin

Neue Sanktionen: „Russische Diamanten sind nicht für immer“

Ein weiteres Ziel sind die weiterhin milliardenschweren Rohstoffeinnahmen Russlands. Dafür nehmen die G7-Staaten den Handel mit russischen Rohdiamanten ins Visier, der bedeutende Summen in die Kriegskasse von Russlands Staatschef Wladimir Putin spült. In Anlehnung an den James-Bond-Film „Diamonds are forever“ sagte EU-Ratspräsident Charles Michel: „Russian diamonds are not forever“ („Russische Diamanten sind nicht für immer“).

Der staatliche russische Diamantenförderer Alrosa erzielte 2021 Einnahmen von rund vier Milliarden Euro. Bisher leistete das EU-Mitglied Belgien Widerstand dagegen, den Diamantenhandel mit Sanktionen zu belegen. Die flämische Hafenstadt Antwerpen gilt seit dem 16. Jahrhundert als Diamantenzentrum der Welt. Die G7 wollen nun eng zusammenarbeiten, um den Handel mit in Russland „geschürften, verarbeiteten oder hergestellten Diamanten“ einzudämmen.

Anders als ursprünglich geplant wird der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj selbst nach Hiroshima kommen, um an dem G7-Gipfel teilzunehmen. Bisher war die Rede davon, dass Selenskyj per Video zugeschaltet wird. Der ukrainische Staatschef hatte in den vergangenen Tagen eine diplomatische Offensive mit mehreren Auslandsbesuchen unternommen und unter anderem in Deutschland bei einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für eine anhaltende Unterstützung seines Landes geworben. Selenskyj könnte am Sonntag zu der Runde in Japan dazustoßen, hieß es.

Auch spannend: Vier neue Strafen für Putin: So verschärft die EU Sanktionen

Wiederaufbau-Kosten: Schätzungen gehen von 370 Milliarden Euro aus

Die Zerstörungen in der Ukraine durch den Krieg sind enorm. Die Kosten für den Wiederaufbau werden inzwischen auf 411 Milliarden Dollar (gut 370 Milliarden Euro) geschätzt – so hieß es zumindest in einer Veröffentlichung von Weltbank, EU, UNO und ukrainischer Regierung Ende März. Es gibt jedoch auch weitaus höhere Schätzungen. Zudem: Da ein Ende des Krieges derzeit nicht in Sicht ist, ist der endgültige Schaden noch nicht abzusehen. Die internationale Gemeinschaft beschäftigt sich aber schon jetzt mit der Frage, wie der Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, dauernde Wiederaufbau der Ukraine gestemmt werden kann.

Die Staats- und Regierungschefs der G7 beraten im japanischen Hiroshima darüber, Russlands Diamantenhandel zu sanktionieren.
Die Staats- und Regierungschefs der G7 beraten im japanischen Hiroshima darüber, Russlands Diamantenhandel zu sanktionieren. © Michael Kappeler/dpa

Für die Kosten soll auch Russland finanziell zur Rechenschaft gezogen werden. „Wir werden unsere Bemühungen fortsetzen, um sicherzustellen, dass Russland für den langfristigen Wiederaufbau der Ukraine zahlt“, kündigten die G7-Staaten in der Erklärung an. Die Staats- und Regierungschefs begrüßten das vor ihrem Gipfel bei einem Treffen des Europarats vereinbare Schadensregister, in dem die Zerstörungen des Krieges dokumentiert werden sollen. Damit ist die Hoffnung verbunden, Russland eines Tages zu Entschädigungszahlungen heranzuziehen. In der Praxis dürfte es jedoch schwer werden, die Regierung in Moskau zu Reparationszahlungen zu verpflichten.

Die UN-Vollversammlung verabschiedete im November eine Resolution, in der Russland aufgerufen wird, die Zerstörungen in der Ukraine durch den Krieg aufzukommen. Der Beschluss ist allerdings nicht bindend. Eine Idee ist daher, im Ausland eingefrorene Mittel der russischen Zentralbank oder blockierte Vermögen russischer Oligarchen für den Wiederaufbau der Ukraine einzusetzen. Die Europäische Union sucht allerdings noch nach Wegen, diese Gelder rechtssicher in den Wiederaufbau des Landes umzuleiten. Die G7 erklärten, weiterhin die Vermögen sanktionierter Russen aufspüren und beschlagnahmen zu wollen. Eingefrorene Gelder des russischen Staates sollen so lange blockiert bleiben, „bis Russland für den Schaden bezahlt, den es der Ukraine zugefügt hat“.

Auch spannend: Ukraine: Kampfjet-Koalition steht – das soll Deutschland tun

Ahndung vom Kriegsverbrechen: Strafgerichtshof kann nicht tätig werden

Das Massaker in der Kiewer Vorstadt Butscha ist das international bekannteste der Kriegsverbrechen, die russischen Soldaten in der Ukraine vorgeworfen werden. Die ukrainische Justiz ermittelt inzwischen wegen mehr als 70.000 Fällen. Die europäische Justizbehörde Eurojust baut eine internationale Datenbank auf, um Beweise für Kriegsverbrechen wie Fotos und Videos sowie Zeugenaussagen für eine spätere Strafverfolgung zu dokumentieren und zu sammeln.

„Es darf keine Straffreiheit für Kriegsverbrechen und andere Gräueltaten geben, wie etwa Russlands Angriffe auf Zivilisten und kritische zivile Infrastruktur“, fordern die G7. Die Staats- und Regierungschefs verurteilten „aufs Schärfste die unrechtmäßige Deportation“ von Ukrainern, einschließlich Kindern, aus den besetzten Gebieten der Ukraine nach Russland. In ihrer Erklärung hoben die Staaten die Rolle des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) bei der Aufklärung der Kriegsverbrechen in der Ukraine hervor.

Das Verfolgen von Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist Aufgabe des IStGH in Den Haag. Rechtsexperten weisen allerdings darauf hin, dass das Gericht die Vorwürfe gegen die russischen Invasoren nicht untersuchen kann, da weder Russland noch die Ukraine die rechtliche Grundlage dafür ratifiziert haben. Als mögliche Alternative ist daher ein Sondertribunal im Gespräch. Dies fordert auch Selenskyj: „Es muss eine Zuständigkeit für dieses Verbrechen geben“, sagte er kürzlich. Allerdings liegt auch eine juristische Aufarbeitung des Krieges in weiter Ferne, solange der blutige Konflikt in der Ukraine nicht beendet ist.