Straßburg/Kiew. Putins Scheitern: Die Ukraine gehört längst zum Westen. Scholz und von der Leyen setzen das richtige Signal. Aber das reicht nicht.

Das war kein guter Tag für den russischen Präsidenten, aber umso mehr für das demokratische Europa. Bei der Militärparade auf dem Roten Platz waren Schwächezeichen Putins und seiner Armee nicht zu übersehen. Der lückenhafte Aufmarsch und Putins Rede mit den bekannten Versatzstücken über Russlands angeblichen Kampf gegen den Faschismus waren keine Demonstration der Stärke, sondern zeigten die Nervosität angesichts der Rückschläge im Krieg.

Dann musste sich Putin auch noch vom vereinten Europa vorführen lassen, weil er mit seinem zentralen Ziel im Ukraine-Krieg längst gescheitert ist. Egal, wie die Gefechte weitergehen: Die Ukraine ist durch Putins Aggression unwiderruflich Teil des westlichen, demokratischen Europas geworden – genau das, was der Kremlherrscher hatte verhindern wollen.

Kanzler Scholz und Kommissionspräsidentin von der Leyen ist mit einem Doppel-Auftritt im Straßburger EU-Parlament und in Kiew ein eindrucksvolles Signal gelungen. Die beiden Deutschen zeigten im Namen der Union, dass Putins Versuche, den Westen einzuschüchtern, vergeblich waren. Sie versprachen nicht nur weitere militärische Unterstützung und Hilfe beim Wiederaufbau. Für die Ukraine war die deutliche Zusage, dass sie Mitglied der Europäischen Union wird, von ebenso großem Wert. Aber so wichtig dieser Schulterschluss am Europatag war: Die Spitzen der EU müssen den Worten auch Taten folgen lassen.

EU geht die Herausforderung eines Ukraine-Beitritts nur zögerlich an

Schon die künftige Waffenhilfe für die Ukraine ist kein Selbstläufer, die Anstrengungen der Europäer haben sichtlich nachgelassen. Zuletzt hat die Union der Ukraine großspurig eine Million dringend benötigter Artillerie-Granaten versprochen – und sich anschließend übel zerstritten, wie die Lieferung organisiert werden soll. Nicht weniger irritierend ist die Zögerlichkeit, mit der die EU die weit größeren Herausforderungen eines Beitritts der Ukraine angeht. In welchen Zeiträumen das riesige, aber arme Land die harten Aufnahmekriterien des Brüsseler Clubs erfüllen könnte, ist völlig unklar – einen Zwischenbericht hat die Kommission jetzt lieber verschoben.

Christian Kerl
Christian Kerl © Privat/Funke

Die EU ist gegenwärtig ohnehin nicht in der Lage, neue Mitglieder aufzunehmen, Entscheidungen dauern zu lange und werden zu oft blockiert. Wie groß die Aufgabe innerer Reformen ist, hat der von Polen und anderen Osteuropäern verhängte Importstopp für Getreide aus der Ukraine gezeigt. Eine baldige Club-Aufnahme der östlichen Kornkammer mit entsprechenden Subventionsansprüchen würde vor allem in der Landwirtschaft für riesige Verwerfungen sorgen. Eine umfassende, schmerzhafte Reform der Agrarförderung ist unvermeidlich.

Ukraine: Die EU muss sich schnell fit machen für eine Erweiterung

Aber diese heiße Eisen wagt in Brüssel niemand anzufassen. Worauf wartet von der Leyen noch? Vor allem die EU-Kommission ist gefragt. Wenn die EU die Ukraine nicht brüskieren will, muss sie sich zügig fit für eine große Erweiterung machen. Klug wäre es, ebenso an Alternativen zu arbeiten für den Fall, dass eine vollständige EU-Mitgliedschaft so schnell nicht realisiert werden kann.

Aber weder das eine noch das andere passiert. Dass Putin mit seinen Kriegszielen weitgehend scheitern wird, sollte die EU nicht zu falschen Schlüssen verleiten. Europas neue Ordnung nach dem Krieg wird eine politische Jahrhundertaufgabe. Ohne zügige Anstrengungen auch in Brüssel droht der Ukraine später eine bittere Enttäuschung. Und Europa ein Verlust an Glaubwürdigkeit weit über Osteuropa hinaus.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt