Berlin. Im Juni ist Deutschland das Drehkreuz für eine riesige Übung der internationalen Luftstreitkräfte – mit Folgen auch für Flugreisende.

Mitte Juni wird es voll im Himmel über Deutschland: 25 Nationen kommen zum „Air Defender“-Manöver zusammen. Es ist die größte Übung zur Verlegung von Luftstreitkräften seit Gründung der Nato. Mit rund 230 Militärflugzeugen und etwa 10.000 Teilnehmern wird der kollektive Verteidigungsfall geübt – mit Deutschland als Gastgeber und Drehkreuz. Allein die USA verlegen 100 Flugzeuge, die Bundeswehr ist mit 70 Flugzeugen beteiligt.

Die Menschen in Deutschland müssen sich für die Dauer des Manövers vom 12. bis zum 23. Juni auf mehr Fluglärm einstellen – und auf Beeinträchtigungen des zivilen Flugverkehrs. Zu Beginn der Sommerreisezeit macht dies der Branche Sorgen.

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Die Riesenübung findet inmitten der Spannungen mit Russland statt und bekommt dadurch besondere Brisanz. Geplant wurde „Air Defender“ jedoch lange vor dem russischen Überfall auf die Ukraine. Als Generalleutnant Ingo Gerhartz 2018 Chef der deutschen Luftwaffe wurde, schlug er dem Pentagon vor, über Europa für den Ernstfall zu trainieren.

Militärübung in Europa: Luftkampf wie die Arbeit in einem Orchester

„Mit der Übung Air Defender zeigen wir, dass die Luftwaffe das erste militärische Mittel in einer Krise ist“, sagt der Inspekteur der Luftwaffe dieser Redaktion. „Wir können sehr schnell, in Stunden, Kräfte aus den USA nach Deutschland verlegen und so für eine glaubhafte Abschreckung sorgen.“

Ingo Gerhartz, Generalleutnant und Inspekteur der Luftwaffe.
Ingo Gerhartz, Generalleutnant und Inspekteur der Luftwaffe. © dpa | Fabian Sommer

Die Idee hinter dem Manöver ist, dass es die Luftstreitkräfte sind, die im Falle eines Angriffs auf Deutschland oder seine Partnerländer zuerst reagieren. „Ähnlich wie bei einem Orchester, bei dem alle unterschiedlichen Instrumente zur genau gleichen Zeit den richtigen Ton treffen müssen, um gemeinsam gut zu klingen“, erläutert ein Sprecher der Luftwaffe. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten „Aufklärung, Jäger, Bomber und elektronische Kampfführung zusammen geplant werden.“

Großmanöver bevor in Deutschland flächendeckend die Sommerschulferien beginnen

Die CDU-Tourismuspolitikerin Jana Schimke zeigt Verständnis für die Übung. „Wir befinden uns weltweit in einer verschärften außen- und sicherheitspolitischen Lage“, sagt Schimke unserer Redaktion. Allerdings: „Sicherlich wäre aus touristischer Sicht ein anderer Zeitraum wünschenswert.“ Die Übung sei aber beendet, bevor in Deutschland flächendeckend die Sommerferien beginnen, hebt die Chefin des Tourismusausschusses im Bundestag hervor.

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Die Übung wird in drei Lufträumen abgehalten, die während der Dauer des Manövers zeitweise immer wieder für den zivilen Flugverkehr gesperrt werden. „Damit haben wir es mit weniger Luftraumkapazität, also vereinfacht gesagt weniger Platz am Himmel zu tun“, erklärt eine Sprecherin der Deutschen Flugsicherung (DFS). „Um Überlastungen zu vermeiden, werden Flüge, wo erforderlich, umgeleitet und feste Startzeitfenster vergeben. Übersteigt die geplante Anzahl an Flügen die aus Flugsicherungsgründen akzeptable Kapazität, können Verspätungen entstehen.“

„Air Defender“: Das sind die drei ausgewiesenen Lufträume in Deutschland

Die DFS plant für den Zeitraum der Übung eine „außergewöhnliche Personalaufstockung“, um Flugausfälle zu vermeiden. Die CDU-Politikerin Schimke begrüßt dies: „Ein weiteres Chaosjahr auf unseren Flughäfen darf es nicht geben.“

Ein Pilot in einem Eurofighter.
Ein Pilot in einem Eurofighter. © Maurizio Gambarini | Maurizio Gambarini

Der für „Air Defender“ reservierte Luftraum Nord erstreckt sich über Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hamburg, Bremen und Teile der Nordsee. Im Osten wird über der Ostsee, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen geflogen, im Südwesten sind vor allem Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und das Saarland betroffen, wie die Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Linken mitteilte.

Übung der Luftwaffe: Wann ist welcher Luftraum gesperrt?

Die Übungsräume orientieren sich der Bundeswehr zufolge an Gebieten, die bereits durch die Luftwaffe zur Ausbildung genutzt werden. Für das Manöver wurden sie erweitert und teilweise durch Korridore miteinander verbunden.

Die gute Nachricht für alle, die während „Air Defender“ in ein Flugzeug steigen wollen: An den Wochenenden ist für die Teilnehmer des Manövers Ausruhen angesagt. Während der Woche allerdings soll der Übungsraum Ost zwischen 10 und 14 Uhr, der Übungsraum Süd zwischen 13 und 17 Uhr und der nördliche Übungsraum zwischen 16 und 20 Uhr für das Manöver reserviert sein.

Luftfahrtbranche blickt nervös auf Mitte Juni

Die Luftfahrtbranche blickt nervös auf die zehn Tage ab Mitte Juni. „Die Detailplanung von Flugzeiten und -routen über Deutschland während des Übungszeitraumes läuft aktuell noch, daher lassen sich die operativen Auswirkungen auf den Flugbetrieb derzeit noch nicht konkret abschätzen“, teilt die Lufthansa mit. Airline-Chef Carsten Spohr äußerte die Erwartung, dass während des Luftmanövers bestehende Nachtflugverbote flexibler gehandhabt würden und nicht genutzte Start- und Landerechte erhalten blieben.

Die Union hatte vorgeschlagen, das Nachtflugverbot zumindest an den letzten zwei Tagen der Übung – während des Ferienstarts im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen – ausnahmsweise außer Kraft zu setzen. Die Bundesregierung reagierte nicht, verwies an die Länder.

Während des Militär-Manövers: Verspätungen und längere Flugzeiten möglich

Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) wünscht sich „sehr genaue Informationen“, wann welche Luftraumblöcke gesperrt werden und wie dann die Flugführung organisiert werden soll, um die Beeinträchtigungen für Passagiere und die Unternehmen „so gering wie möglich zu halten“. Der deutsche Luftraum sei „ohnehin hochbelastet“, warnt ein BDL-Sprecher.

„Übersteigt die geplante Anzahl an Flügen die aus Flugsicherungsgründen akzeptable Kapazität, können Verspätungen entstehen“, sagt ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums. „Auch verlängerte Flugzeiten werden unausweichlich sein.“ Deswegen habe die europäische Flugsicherung Eurocontrol einen Simulationslauf mit tatsächlichen Ist-Daten aller Flüge sowie Umleitungsszenarien durchgeführt. Auf der Grundlage der Ergebnisse dieses Stresstests passen Airlines ihre operativen Planungen und Flughäfen ihre Bodenprozesse noch einmal an, heißt es aus dem Verkehrsministerium.

Rat von Grünen-Politiker: Umstieg auf die Bahn könnte eine Option sein

Die Sprecherin der Deutschen Flugsicherung verspricht: „Es wird alles getan, um die Auswirkungen auf den zivilen Flugverkehr so gering wie möglich zu halten.“ Die Luftwaffe gibt sich zuversichtlich, dass dies gelingt. Es seien nur gewisse „Höhenbänder“ betroffen, die insbesondere bei Starts an Flughäfen unterflogen werden könnten, betont der Sprecher. „Es wird keine Streichungen von zivilen Flügen geben, kein ziviler Flugplatz wird für den Übungszeitraum gesperrt.“

Für Verständnis werben Politiker der Ampel-Koalition. SPD-Tourismusexperte Stefan Zierke sagt unserer Redaktion: „Ich hoffe auf die Solidarität der Reisenden, wir sollten Sicherheitsinteressen nicht gegen touristische Interessen ausspielen. Denn ohne Freiheit und Sicherheit, gibt es auch keinen internationalen Tourismus.“ Stefan Schmidt, Tourismuspolitiker der Grünen, hat als Tipp parat: „Für manche Reisende könnte es möglicherweise eine Option sein, auf andere Verkehrsmittel wie die Bahn umzusteigen.“

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