Brüssel. Die Arzneimittelknappheit wird immer dramatischer. Nun will die EU durchgreifen – bei bestimmten Arzneien geht Brüssel den anderen Weg.

Kein Fiebersaft für Kinder, zu wenig Medikamente gegen Heuschnupfen, Engpässe bei Medikamenten gegen Krebs oder Hepatitis C: Millionen Menschen in Deutschland und Europa leiden unter einer zunehmenden Arzneimittelknappheit. Jetzt will die Europäische Union gegensteuern und Engpässe bei wichtigen Medikamenten verhindern. Auch mit drastischen Maßnahmen: So sollen Pharmaunternehmen auf Anforderung für besonders wichtige Arzneimittel Notvorräte anlegen.

Die EU-Kommission legte am Mittwoch einen entsprechenden Entwurf für ein EU-Gesetz vor. Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides sagte: „Wir müssen sicherstellen, dass Arzneimittel Patienten in ganz Europa rechtzeitig und auf gerechte Weise erreichen.“ Nach der Analyse der Kommission ist die Arzneimittelknappheit in der EU seit mehreren Jahren ein „ernstes Problem“, die Corona-Pandemie habe Schwachstellen offengelegt.

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Deshalb sollen die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) in Amsterdam und nationale Behörden jetzt systematisch gegen drohende Engpässe vorgehen: Pharmaunternehmen müssen solche Versorgungsprobleme frühzeitig melden und Pläne zu ihrer Beseitigung vorlegen.

EU will für kritische Arzneimittel die Lieferketten stärken

Besonders kritische Arzneimittel, die im Gesundheitssystem jederzeit verfügbar sein müssen, soll die Europäische Union in einer offiziellen Liste erfassen: Für diese Medikamente wird es einerseits Empfehlungen zur Stärkung von Lieferketten geben. Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, soll die Kommission per Rechtsakt auch die Einrichtung von Notvorräten anordnen können. Der Branche sollen aber auch starke Anreize zur Entwicklung bislang fehlender Medikamente gegeben werden.

In Deutschland hatte es zuletzt etwa Lieferengpässe bei patentfreien Medikamenten wie Fiebersäften für Kinder sowie bei Antibiotika und Krebsmedikamenten gegeben. Der Verband der Arzneimittel-Importeure warnte gegenüber unserer Redaktion vor weiten Engpässen. Anfang April hatte deshalb bereits Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) einen Gesetzentwurf zum Kampf gegen Engpässe vorgelegt, unter anderem mit attraktiveren Preisregeln für Hersteller.

Jährlich 35.000 Tote wegen Antibiotika-Resistenz: So reagiert die EU

Die EU-Kommission will mit ihrem Gesetzesplan, den das Parlament und der Rat der EU-Staaten noch beraten müssen, auch dafür sorgen, dass Medikamente zeitgleich in allen 27 EU-Staaten auf den Markt kommen. Derzeit stehen neu zugelassene Medikamente Patienten in Deutschland durchschnittlich etwa vier Monate nach Zulassung zur Verfügung, während es in Rumänien, Polen oder Bulgarien mehr als zwei Jahre sind.

Außerdem will die Brüsseler Behörde den Kampf gegen Antibiotikaresistenzen verstärken. Jährlich sterben daran allein in der EU mehr als 35.000 Menschen, weltweit nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sogar 1,3 Millionen. Die Kommission will erreichen, dass Antibiotika zurückhaltender eingesetzt werden, bis 2030 soll der Verbrauch um 20 Prozent reduziert werden. Deutschland und die anderen EU-Ländern sollen dazu auch nationale Aktionspläne beschließen. Zugleich sollen die Pharmaunternehmen mehr Anreize zur Entwicklung neuer Antibiotika bekommen.