Hamburg. Kult-Kommentator Peter Urban über seinen Abschied vom ESC, ätzende Kritik, das Abschneiden deutscher Teilnehmer und sein neues Buch.

  • Er ist eine wahre ESC-Legende: Kommentator Peter Urban
  • 2023 feiert er seinen 25. Eurovision Song Contest – und gleichzeitig seinen Abschied
  • Im Interview verrät er, was den ESC so besonders macht und welche Chancen "Lord Of The Lost" haben

Für viele Fans ist er die deutsche Stimme des Eurovision Song Contests: Der Radiomoderator und TV-Journalist Peter Urban. Seit 1997 kommentiert Urban den ESC, der als die größte Musikshow der Welt gilt, für die ARD – seine ironischen Bemerkungen zu schiefen Tönen und schrägen Auftritten sind legendär. Nun kommentiert Urban, der nur einmal aus gesundheitlichen Gründen aussetzen musste, den ESC zum 25. und letzten Mal.

Herr Urban, zum 25. und letzten Mal kommentieren Sie in diesem Jahr die Übertragung des ESC. Wie viel Punkte – natürlich von eins bis zwölf – würden Sie sich als ESC-Kommentator geben?

Peter Urban: Das ist ja ne Frage! (lacht) Ich würde mal sagen: zehn. Natürlich war nicht alles gelungen, aber vieles war doch ganz gut. Und ich habe auch mitgeholfen, bei Leuten Interesse an dieser Show zu wecken, die das vorher für einen skurrilen Quatsch hielten. Vielleicht habe ich die überzeugt, dass es beim ESC interessante Musik zu hören gibt, das ist ja viel spannender geworden als in den Anfangsjahren. Da ist jetzt eine Diversität drin, die es früher nicht gab, und ich fühle mich beinahe missionarisch verpflichtet, den Leuten das klarzumachen.

Peter Urban kommentiert den ESC 2023 ein letztes Mal.
Peter Urban kommentiert den ESC 2023 ein letztes Mal. © Christian Charisius/dpa

Für viele Fans sind Sie die Stimme des ESC. Werden Sie im Alltag oft an Ihrer Stimme erkannt?

Urban: Ja, relativ oft. Im Norden oder Westen ist das ja kein Wunder, denn da bin ich seit 50 Jahren mindestens ein, zweimal die Woche als Radiomoderator zu hören. Aber dass ich wegen des ESC, der nur einmal im Jahr läuft, sogar in München oder Stuttgart im Supermarkt erkannt und angesprochen werde, wo ich nicht im Radio zu hören bin, ist schon erstaunlich.

Es gab für Sie aber auch ein Leben vor dem ESC: In Ihrem neuen Buch „On Air“ schreiben Sie über Ihre Karriere bei Radio und TV und Begegnungen mit Weltstars wie David Bowie, Elton John, Joni Mitchell oder Keith Richards. Wer hat Sie am meisten beeindruckt?

Urban: Tief beeindruckt hat mich die Begegnung mit Harry Belafonte, der mir faszinierend von seiner Jugend im Ghetto, seiner Freundschaft zu Martin Luther King und John F. Kennedy und von seinem Engagement für unterprivilegierte und notleidende Menschen erzählte.

Es war auch denkwürdig, mit Bruce Springsteen in seiner engen Garderobe direkt nach seinem dreistündigen Konzert zu sitzen, er mit bloßem Oberkörper, glänzend von Schweiß und Massageöl, wie ein Boxer nach dem Kampf, und dabei redeten wir ganz entspannt über das Konzert. Yoko Ono war überhaupt nicht der launische Drachen, für den sie früher gehalten wurde, sie war herzlich, unkompliziert und freundlich, obwohl John Lennons Ermordung noch nicht lange her war.

Auch den Beatles sind Sie begegnet…

Urban: Die Beatles traf ich schon mit 18 Jahren vor den Abbey Road Studios in London. Alle vier kamen nacheinander angefahren und unterhielten sich freundlich mit mir. Die Karte, auf der ich John Lennon und Paul McCartney unterschreiben ließ, halte ich in Ehren. Vier Jahre später durfte ich dann für Dreharbeiten zu einer NDR-TV-Serie in das Studio hinein, hatte Glück: Plötzlich liefen mir auf dem Weg zur Kantine Paul und Linda McCartney vor die Füße und nahmen sich Zeit für einen kurzen freundlichen Smalltalk.

Der letzte ESC, den Sie kommentieren, kommt wegen des russischen Angriffskriegs aus der Beatles-Stadt Liverpool statt aus der Ukraine, dem Land des Vorjahressiegers. Was erwarten Sie vom Wettbewerb dieses Jahr, wie politisch wird er sein?

Urban: Beim ESC 2022 war es ja eine europäische Volksabstimmung gegen den russischen Angriffskrieg. Der Wettbewerb in Liverpool wird von der BBC mit Unterstützung der Ukraine durchgeführt, die auch inhaltlich präsent sein wird. Ob die Ukraine dieses Jahr wieder gewinnt, aus Sympathie vielleicht, weiß ich nicht. Es wird aber sicherlich deutlich auf die politischen Zusammenhänge hingewiesen. Das wird ständig präsent sein. In einer Zeit, in der ein Krieg in Europa herrscht, ist es natürlich nicht so leicht, eine lockere Show zu machen.

Wie politisch kann und darf so ein Spektakel sein?

Urban: Einen unpolitischen ESC kann es gar nicht geben. Die Welt ist nun mal kein Paradies, und das spiegelt sich in dem Wettbewerb. Er war oft politisch, wenn er soziale Dinge bewegt hat, wie beim Sieg von Conchita in Kopenhagen 2014. Ein Transvestit mit Bart, der mit hoher Stimme eine James-Bond-Ballade singt, gewinnt mit großem Abstand und bekommt Stimmen aus ganz Europa – das war für mich ein unglaubliches Zeichen von Toleranz.

Welches waren Ihre Highlights in all den Jahren?

Urban: Da gibt es einige. Lenas Sieg in Oslo war natürlich ein Highlight. Ihr Auftritt war sensationell – der Song war gar nicht so wichtig, der war eher okay. Und dann Birmingham 1998: Der Auftritt von Guildo Horn, dieser große Wirbel, der auf einmal um den ESC gemacht wurde, das hat mir sehr gefallen. Ich bin auch sehr gerne in die baltischen Länder gereist, für die war der Wettbewerb extrem wichtig, wie überhaupt für viele Länder aus Ost- und Südosteuropa. Für sie ist der ESC eine Chance, auf der europäischen Landkarte eine Marke zu setzen. Auch interessant: Alle ESC-Gewinner von 1956 bis heute im Überblick

Warum schneiden die deutschen Beiträge oft so schlecht ab?

Urban: Eine Reihe von Jahren hatten wir einfach Pech. Andreas Kümmert etwa wäre 2015 ein hervorragender Kandidat gewesen, aber der hat ja leider abgesagt mit der Begründung, er könne diese Belastung nicht tragen, und dann wurden wir Letzter. Oft hatten wir aber auch nicht die richtigen Songs und vielleicht auch nicht die überzeugendsten Künstler, mit der Ausnahme von Michael Schulte, der 2018 den vierten Platz belegte.

Zu lange hat man in Deutschland nicht richtig wahrgenommen, dass sich die Qualität des ESC geändert hat. Ein normaler, radiotauglicher Mainstream-Titel geht da unter. Es muss Aufmerksamkeit erzeugt werden, es muss beim internationalen Publikum ins Herz gehen, in die Seele, in den Bauch. Deutsche Beiträge haben das oft nicht geschafft. Da hatten wir nicht das Händchen bei der Auswahl. Lesen Sie auch: Diese deutschen ESC-Teilnehmer landeten auf dem letzten Platz

Wie bewerten Sie die Chancen von „Lord Of The Lost“, die dieses Jahr für Deutschland nach Liverpool reisen?

Urban: Ich denke, diesmal wird es kein letzter Platz, sondern ein Platz im guten Mittelfeld. Der Auftritt ist laut, knallig und bunt, das wird wenigstens registriert und fällt auf. Man muss beim ESC den Mut haben, was Spezielles hinzuschicken. Mehr zum Thema: "Blood & Glitter" von Lord Of The Lost – Das ist der deutscher ESC-Beitrag 2023

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Sie selber haben regelmäßig ironisch auf schiefe Töne und schräge Outfits hingewiesen. Hat sich öfter mal jemand beschwert?

Urban: Künstler selber haben sich nicht beschwert, eher Zuschauer, die sich empfindlich getroffen fühlten. Einmal habe ich eine Sängerin, die etwas füllig war, als „runden Beitrag“ bezeichnet. Das war gar nicht böse gemeint, aber da gab es prompt einen Beschwerdebrief vom Verband der Dickleibigen. Grundsätzlich überlege ich mir vorher schon, ob eine humorvoll gemeinte Bemerkung jemanden treffen könnte, denn das will ich ja nicht, ich will ja unterhalten.

Im Zeitalter der sozialen Medien kommt die Kritik von erbosten Zuschauern noch während der Show in Echtzeit…

Urban: In der Tat haben viele Leute am Fernseher ihr Handy griffbereit und ätzen in ihren Posts los, noch bevor ich meinen Satz beendet habe. Dabei habe ich meine Ironie ja oft so verpackt, dass die Pointe am Schluss kommt. Von so was lasse ich mich aber nicht nervös machen.

Werden Sie sich die Show auch künftig ansehen?

Urban: Na klar. Der ESC wird mir fehlen, und wenn ich damit aufhöre, werde ich sicherlich auch betrübt sein. Aber es ist jetzt irgendwie eine klare Sache: 25 ESC-Übertragungen, das ist eine runde Zahl, und ich selber bin 75. Ich höre lieber jetzt auf, solange ich noch fit bin, als erst dann, wenn mir am Mikrofon Fehler unterlaufen.