Lerbach. Abriss und Neubau durch Gutachten empfohlen – Aber: Befall in Lerbach erfolgreich bekämpft.

Das Sterben der Fichten Harz durch den Borkenkäfer sorgt seit 2019 für Schlagzeilen. Aber dass es auch vor 90 Jahren Schädlinge, wie Messingkäfer, Bohrkäfer und Schimmelfresser gab, ist heute kaum noch bekannt. Wie damals die Bekämpfung der Schädlinge nach fünf Jahren erfolgreich beendet wurde, zeigen verschiedene Schriften in Archiven.

Karl Trull, Gemeindevorsteher in Lerbach, wendet sich damals mit einem Schreiben in deutscher Schrift an den Landrat des Landkreises Zellerfeld: „Es ist hier die Meldung eingegangen, dass in dem Wohnhause des hiesigen Ortsgeistlichen der sogenannte Messingkäfer in größeren Mengen aufgetaucht ist. Wie aus verschiedenen Zeitungsberichten zu ersehen, zerstört dieser Insekt fast alles zum menschlichen Lebensnotwendigen. Ich bitte um sofortige Maßnahmen, um die Bekämpfung dieses äußerst schädlichen Käfers aufnehmen zu können“.

Gutachten der Biologischen Reichsanstalt Berlin 1924

Der Direktor der Biologischen Reichsanstalt für Land- und Forstwirtschaft mit Sitz in Berlin-Dahlem hat mit Schreiben vom 18. Oktober 1924 Stellung genommen: „Die am 16. d. Mts. durch die Herren Dr. Voelkel und Dr. Janisch von der Biologischen Reichsanstalt, Berlin-Dahlem, vorgenommene Untersuchung und Besichtigung des Pfarrhauses hat folgendes ergeben: Das Pfarrhaus ist ein mehrere hundert Jahre altes Gebäude aus Lehmfachwerk, das ohne Fundament gebaut ist. Infolgedessen ist das Haus sehr feucht und das Balkenwerk zum Teil morsch und verfault. Die Wände bestehen aus Holzfachwerk mit Einlagen von Holzknüppeln, welche mit Stroh umwunden und mit von Stroh und Kälberhaaren vermengtem Lehm beworfen sind. Die Fußböden, Scheuerleisten usw. sind, teilweise sehr stark, von Bohrkäfern (Anobium) zerfressen. Wo Dielen, Scheuerleisten, Holzverschalungen, Türpfosten und die Lehmwände aneinander stoßen, finden sich fast durchweg breite und tiefe Spalten und Risse, ebenso ist der Lehmbewurf an vielen Stellen von großen und langen Sprüngen durchsetzt.

An tierischen Schädlingen wurden gefunden: Messingkäfer (Niptus Hololeucus), Diebkäfer (Ptinus fur), Bohrkäfer (Anobium), Schimmelfresser (Mycetaea hirt) und Silberfischchen (Lepisma). Niptus Hololeucus wurde noch Mitte Oktober sehr zahlreich lebend in sämtlichen Zimmern gefunden, besonders unter Teppichen, Abtretern, in Vasen, Tassen usw. Er stellt seit 1905 eine Grossplage des Pfarrhauses dar. Jahrelang durchgeführte Bekämpfungsmaßnahmen wie Ausschwefeln, Abfangen und Töten der Käfer, Neuverputzen und Tapezieren, Legen neuer Dielen in einzelnen Zimmern waren zwecklos.

Die Lerbacher Kirche im Winterkleid um das Jahr 1920. Links das 1796 eingeweihte Pfarrhaus, welches bis 1949 Wohnung und Amtshaus der Pastoren war.
Die Lerbacher Kirche im Winterkleid um das Jahr 1920. Links das 1796 eingeweihte Pfarrhaus, welches bis 1949 Wohnung und Amtshaus der Pastoren war. © archiv | Rainer Kutscher

Der größte, zunächst fühlbare Schaden wurde durch Käferfraß an Tuchen, Kleidern, Teppichen der Hausinsassen angerichtet, der die Familie zwingt, ihre Kleidung an Bindfäden quer durch das Zimmer aufzuhängen. Doch ist diese Maßnahme auch nicht zum Schutz ausreichend, da die Käfer von der Decke auf die Kleider herunterfallen.

Das Hauptaugenmerk der Untersuchung wurde auf die mutmaßlichen Brutstellen der Käfer gerichtet. Es zeigte sich, dass die Käfer überall da vorkommen, wo Spalten und Risse vorhanden sind. Hier sind die Tapeten genau entlang den Sprüngen und Spalten zerfressen und mit Ausbohrlöchern versehen. Die nähere Untersuchung zeigte, dass die Brutstellen in dem Lehmfachwerk und den stützenden Holzpfosten sitzen. An dieser Stelle konnten in einem senkrechten Balken noch in sechs Zentimeter Tiefe dicht nebeneinander befindliche Fraßgänge der Larven festgestellt werden. Der Gesamteindruck ist der, dass das ganze Haus in seinen Lehmfachwänden Niststätten des Messingkäfers bis tief ins Innere der Wände enthält, dass die Larven des Käfers nicht nur die Strohfüllungen, sondern auch beträchtliche Teile des Holz- und Balkenwerks zerfressen haben.

Die bisher vorliegenden Kenntnisse und Erfahrungen über Niptus hololeucus konnten in Lerbach durch Rücksprache mit etwaige Beunruhigung ebenso wie der Brotkäfer zur Abwanderung gezwungen werden. Es ist dies wichtig bei einem eventuellen Abbruch des alten Pfarrhauses bei dem besondere Vorkehrungen getroffen werden müssten, um eine Infizierung der Nachbarhäuser durch wandernde Legeweibchen zu verhindern.

Eine Bekämpfung der Messingkäferplage im Pfarrhaus müsste sich gegen die Brutplätze in den Lehmwänden richten. Ein Abtöten der sichtbaren Käfer ist wegen der erwähnten biologischen Eigentümlichkeit zur Unterdrückung der Plage als solcher zwecklos. Eine Durchgasung mit giftigen Gasen würde auch nur die zur Zeit gerade vagabundierenden zur Fortpflanzung wahrscheinlich nicht mehr fähigen Käfer erreichen, da ein völliges Durchdringen der Lehmwände selbst bei sehr hoher Konzentration und langer Einwirkung unmöglich ist, und auch wegen der zahllosen Ritzen und Spalten ein Gas selbst bei zimmerweiser Durchgasung sich niemals in der nötigen Konzentration halten würde. Leicht flüchtige Gase wie Blausäure (Cykloin-Ventox) sind deswegen in diesem Haus ganz unbrauchbar, aber selbst das schwere Tetrafin verspricht aus den angeführten Gründen kein Erfolg. Eine Bekämpfung der Messingkäferplage ist daher im Pfarrhause unmöglich. Der Umfang der Zerstörung von Holzwerk und Balken durch den Messingkäfer, stellenweise in Gemeinschaft mit Bohrkäfern der Gattung Anobium und im Zusammenhang mit der sonstigen Baufälligkeit des Hauses ist bereits mit den Hausinsassen und durch Augenschein bestätigt und zum Teil erweitert werden.

Behaarte Larven breiten sich im gesamten Haus aus

Danach stellt sich die Lebensweise des Messingkäfers im Pfarrhause folgendermaßen dar: Die weißen engerlingsartig gekrümmten, behaarten Larven, welche in Müll und Abfall, in Getreide, Mehl, Grieß, Haferflocken, Drogen, überhaupt in stärkehaltigen Stoffen aller Art zu leben vermögen, entwickeln sich in den Lehmfachwänden des alten Hauses und zerstören in ihrem Innern die Strohfüllungen und besonders auch das Holzwerk. Die Verpuppung findet am Fraßort statt. Die Käfer verhalten sich nach den bisherigen Erfahrungen ganz ähnlich wie der genauer in seiner Biologie durchforschte Brotkäfer (Sitodrepa panicea) d.h. Kopulation Eiablage vollziehen sich in der Regel in den Hohlräumen des Brutplatzes, sodass die Entwicklung neuer Generationen immer wieder um die alten Fraßorte herum vor sich geht. Erst nach Beendigung der Geschlechtsfunktionen verlassen die Käfer ihre Schlupfwinkel durch die Sprünge und Risse der Wände, fressen sich durch die Tapeten hindurch und vagabundieren außen umher. Ihre Lebensdauer scheint recht lang zu sein. Sie werden dann durch Fraß an Tuchen, Teppichen, Kleidern, Gardinen recht schädlich und bevorzugen offenbar die Stellen, wo Fettflecke oder ähnliches in den Stoffen sitzen oder gesessen haben. Es scheint somit wahrscheinlich, dass die frei umherkriechenden Tiere nach Verlassen ihrer Schlupfwinkel selten Eier ablegen, eine Tatsache, die für die Frage der Verschleppung durch die Kleider usw. eine wichtige Rolle spielt. Höchstwahrscheinlich werden dann auch die noch Ei legenden, in den Schlupfwinkeln sitzenden Tiere durch ein etwa derartig, dass das Haus dem Verfall entgegensieht.

Da der Messingkäferfraß schon tief in die Balken hineingeht, und Anobien stellenweise das Holz völlig vermorscht haben, muss damit gerechnet werden, dass plötzlich die Tragfähigkeit sein Minimum erreicht, zumal der im Innern der Balken vorhandene Schaden meist von außen nicht in seinem vollen Umfang erkannt werden kann, da die Käfer häufig eine dünne äußere Schicht stehen lassen und nur Ausfluglöcher das Holz durchbohren.

Falls das Pfarrhaus abgerissen werden sollte, so wäre es zur weiteren Klärung der Biologie des Messingkäfers sehr erwünscht, wenn sie eine Nachricht über den Zeitpunkt des Abbruches hierher gelangen lassen würden, um eventuell bei dieser Gelegenheit die Zerstörung in den Wänden besichtigen zu können.“

Bestandsaufnahme vom Hochbauamt 1930

Das Preußische Hochbauamt in Clausthal-Zellerfeld teilt mit Schreiben vom 1. August 1930 dem Landeskirchenamt Hannover folgenden Sachverhalt der Bekämpfungsmaßnahmen mit: „Die Bekämpfungsmaßnahmen zur Beseitigung des Messingkäfers im Pfarrhaus Lerbach sind nahezu durchgeführt worden. Es haben sich hierbei doch eine ganze Reihe Nester in den Wänden und Fußböden gefunden, sodass der Umfang der Käferplage meiner Ansicht nach größer ist, wie ich sie ursprünglich angenommen habe. Ich hoffe aber, das bei der Gründlichkeit der Arbeit die Brutstätten des Käfers soweit beseitigt sind, dass ein weiteres Ausdehnen der Käferplage nicht mehr wahrscheinlich ist, sondern dass der Käfer, nachdem ihm wesentliche Nahrungsgebiete genommen sind und auch eine Unmenge Käfer und Käferlarven mit dem Holzwerk, den Füllungen und dergleichen verbrannt sind, auf seinen eisernen Bestand zurückgeht. Bevor ich weitere Bauarbeiten ausführe, wäre ich dankbar, wenn ein Vertreter des Landeskirchenamtes oder Herr Konsistorialbaumeister, Professor Fischer, in der nächsten Woche zu einer Besichtigung kommen würde. Ich werde dann auch die Kostenzusammenstellung der bisherigen Arbeiten fertiggestellt haben und einen Kostenanschlag der noch auszuführenden weiteren Arbeiten vorlegen können. Bei dem großen Umfange der vom Käfer befallenen Gebäudeteile wird es allerdings kaum möglich sein, mit den zur Verfügung stehenden 5.000 RM (die allerdings durch die bisherigen Arbeiten noch nicht überschritten sind) das Gebäude wiederherzustellen, sondern wären voraussichtlich noch weitere 1.500 RM erforderlich.“

Räumung der Wohnung, Abriss oder Neubau

Auch der Konsistorialbaumeister in Hannover wurde eingeschaltet und hat das Pfarrhaus besichtigt und dringende Baumaßnahmen sowie einen Abriss und Neubau empfohlen. Im Schreiben vom 31. August 1929 wird auf die Räumung des Hauses und nochmalige Besichtigung mit dem Konsistorial-Baumeister Professor Dr. Voss hingewiesen. Es heißt: „Die in der Verfügung des Landrats unter 2 aufgeführte Forderungen der Beseitigung aller vegetabilischen Füllmaterialien unbedingt zunächst auch die Entfernung sämtlicher Fenster und Türen samt deren Bekleidung, sofern alle Gefache und Decken mit diesen Stoffen ausgefüllt sein sollten, was einem Abbruch fast gleich käme. Das lässt sich aber nur durch einen baulichen Eingriff feststellen. In diesem Fall würde meines Erachtens ein Neubau ratsamer sein, da dann 1. der Kostenaufwand geringer werden würde und 2. die Gewähr gegeben wäre, keine Messingkäfer mehr im Haus zu haben, d. h. die für einen Neubau aufgewandten Gelder wären nicht nutzlos angewandt. Denn bei der Erfüllung der Forderung des Landrats besteht immer die Gefahr, das einige Herde nicht erfasst werden oder in andere Teile des Hauses abwandern und nicht vernichtet werden können.“

Zum Abriss des Pfarrhauses kam es nicht, da die Schädlingsbekämpfung nach einiger Zeit erfolgreich beendet wurde. Dieses beschreibt ein Schreiber vom 30. Dezember 1930 vom Evangelisch-Lutherischen Landeskirchenamt Hannover. Abschließend der Bericht (gekürzt) an das Preußische Hochbauamt Clausthal-Zellerfeld.

„Wir hoffen zuversichtlich, dass die besondere Mühe, die der Herr Vorsteher des Hochbauamtes bei der Bekämpfung der Messingkäferplage aufgewendet hat, den erwarteten Erfolg haben wird und erklären uns damit einverstanden, dass der Fall Lerbach ohne Nennung der Gemeinde und ohne Andeutungen, die auf diese Gemeinde schließen lassen könnten, in einer Fachzeitschrift wissenschaftlich erörtert wird. Auch uns erscheint es ausreichend, dass der Herr Landrat dem Gemeindevorsteher und Landjäger dienstlich mitteilt, die Käferplage und die Gefahr einer Ausbreitung des Messingkäfers vom Pfarrhause auf andere Häuser seinen beseitigt. Und das der Herr Landrat bei diesen Organen darauf hinwirkt, anderslautenden Gerüchten nachdrücklich entgegenzutreten.“

Mehr über die Geschichte des Pfarrhauses folgt in einem weiteren Bericht.