Osterode. In der orthodoxen Kirche der Ukraine wird Weihnachten anders gefeiert. Geflüchtete im Altkreis Osterode berichten von den Traditionen.

Weihnachten ist für viele Menschen eine besondere Zeit, die sie mit ihren Familien verbringen – mit Geschenken und Gemeinsamkeit. 2022 war für viele Menschen in Europa eine Zeit, in der sie Vertrautes zurücklassen und ihre Heimat in Folge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine verlassen mussten. Erfahrungen von Flucht und Verlust der Heimat finden sich hierbei ebenfalls in der biblischen Weihnachtsgeschichte wieder: Das Lukasevangelium berichtet von der Flucht der Eltern Jesu nach Ägypten.

Auch heute müssen viele aus der Ukraine geflohene Menschen am 6. und 7. Januar ihr Weihnachtsfest nach orthodoxer Tradition fern der Heimat feiern. Einige dieser Menschen leben auch unter uns, im Altkreis Osterode. Sie berichten über ihre Erfahrungen mit Weihnachten in der Heimat und wie sie das Fest hier in Deutschland feiern.

Nadja.
Nadja. © Rita J. Sührig

Besonderes Essen

Mit einiger Wehmut erzählt Nadezhda (Nadja – der Name bedeutet „Hoffnung“), die im März aus der Ukraine nach Deutschland flüchtete und jetzt in Hattorf wohnt, von ihren Kindheitserinnerungen zu Weihnachten: „Am 6. Januar, Heiligabend, bringen wir unseren Pateneltern ,Kutja‘. Das ist ein süßer Brei bestehend aus Rosinen, Mohn, Honig, Zucker und Nüssen. Unsere Paten beschenken uns mit Süßigkeiten und Spielzeug. Zu Hause essen wir mit unserer Familie zwölf ,Fastengerichte‘, darunter auch Kutja und Uzvar, das ist ein Kompott aus getrockneten Früchten. Dann gibt es Knödel mit Kartoffeln oder Kohl (wareniki), Fischgerichte oder Salate. Unsere Großmutter backt im mit Holzkohle beheizten Ofen den leckersten Kuchen (pirogki) mit verschiedenen Füllungen wie Aprikosen-, Kirsch-, oder Pflaumenmarmelade. Das sind echte Meisterwerke!

Nach dem Abendessen gehen wir auf die Straße, klopfen an die Türen unserer Nachbarn und singen Weihnachtslieder (kolydiki und tschedrivki). Zum Dank bekommen wir Süßigkeiten und ein wenig Geld. Am Morgen des 7. Januar gehen wir als Familie in die Kirche und wünschen allen ein frohes Weihnachtsfest und Glück. Diese schönen Erinnerungen wärmen die Seele in all den Schwierigkeiten des Lebens. Die Zeiten mit der Familie verbinden und schenken uns Kraft.“

Tetiana Ilchuk.
Tetiana Ilchuk. © Rita J. Sührig

„In diesem Jahr werden wir uns nur online mit unserer Familie in der Ukraine treffen“, berichtet Tatyana Piatblietkina. Im April 2022 floh sie mit ihrem Ehemann Hermann und den beiden Söhnen aus Mariupol, wo sie in einem Industrieunternehmen tätig waren; Hermann als Manager und Tatyana als Buchhalterin. Die Familie wohnt jetzt in Hattorf.

Münzen in Knödeln

Tetiana Ilchuk kommt aus Charkiw, wo sie eine Postfiliale leitete. Im März 2022 floh sie mit ihren beiden Töchtern unter Bombenbeschuss aus der Ukraine und kam nach Deutschland. Jetzt wohnt sie in Wulften. Sie berichtet: „Der 6. Januar ist für uns ein kurzer Arbeitstag. Wir beten vor dem Abendessen, darunter das obligatorische ,Kutja‘. Der Familienälteste isst immer als erster drei Löffel davon. Mit besonderer Spannung warten wir auf die Knödel, weil darin Münzen versteckt sind. Denn wer auf eine Münze stößt, wird das ganze Jahr reich sein!“

Svetlana Shamotina
Svetlana Shamotina © Rita J. Sührig

Und Svetlana Shamotina, die jetzt in Hattorf wohnt, erzählt: „Wir haben in der Ukraine die Tradition, am 31. Dezember unsere Wünsche auf einen Zettel zu schreiben, den wir dann anzünden und in ein Glas Champagner werfen und trinken. Das muss aber vor 0 Uhr geschehen, dann geht der Wunsch in Erfüllung!“

Obwohl Nadja in diesem Jahr nicht, wie jedes Jahr in der Ukraine, Kekse für ihre Nachbarn backen und sie damit beschenken kann, lässt es sich die junge Frau nicht nehmen, auch in Deutschland dieser Tradition zu folgen. Und so verschenkt sie auch fern der Heimat selbstgebackene Kekse an liebe Menschen in der Umgebung.

Tatyana Pyatiletkina.
Tatyana Pyatiletkina. © Rita J. Sührig

Tatyana Pyatiletkina resümiert: „Für uns ist ein schwieriges Jahr zu Ende gegangen. Ein Jahr, das uns gezeigt hat, dass wir hier in Deutschland leben werden. Ein Jahr, in dem wir in der Ukraine alles verloren habe. Ich habe am offenen Feuer Essen gekocht. Ich habe Regenwasser zum Trinken aufgefangen. Ich habe im Keller geschlafen und ich habe gelernt, mich nicht immer über Kleinigkeiten im Leben aufzuregen. Aber es war auch ein Jahr, das mir neue Freunde und viele unvergessliche Emotionen geschenkt hat. Ja, ich bin froh und sehr dankbar und sehe dem neuen Jahr mit Zuversicht entgegen.“

Vielleicht haben Sie auch ukrainische Nachbarn? Dann wünschen Sie doch einfach am 6. und 7. Januar „Frohe Weihnachten“ und vermitteln den Menschen aus der Ukraine, die jetzt unter uns leben, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit.