Göttingen/Osterode. Eine mutmaßliche Diebesbande steht in Göttingen vor Gericht. Ein 26-Jähriger ist wegen Mordversuchs angeklagt: Er soll einen Beamten angefahren haben.

Der 41-jährige Polizeioberkommissar hat schon so manche gefährliche Situation erlebt. Bevor er Polizist wurde, nahm er als Soldat an Auslandseinsätzen der Bundeswehr teil. Einmal wurde er dabei nach eigenen Angaben angeschossen.

Doch was ihm Anfang des Jahres bei einem Polizeieinsatz in Deutschland nahe der Autobahn 7 bei Seesen widerfuhr, „das hat mich mehr beschäftigt als die Geschehnisse in Afghanistan und im Kosovo“, erklärte er jetzt als Zeuge im Prozess gegen eine mutmaßliche Bande von Autodieben vor dem Landgericht Göttingen.

Polnische Bande klaut Pkw in Osterode-Förste

Seit Mitte Juli müssen sich dort vier Männer – drei von ihnen stammen aus Polen, einer aus der Ukraine – wegen Bandendiebstahls verantworten. Einer von ihnen ist ferner unter anderem wegen versuchten Mordes angeklagt. Der 26-Jährige soll bei einer nächtlichen Polizeikontrolle mit einem kurz zuvor gestohlenen Pkw auf den 41-jährigen Beamten zugefahren sein, so dass dieser sich nur durch einen Sprung zur Seite retten konnte.

Damals habe es konkrete Hinweise gegeben, dass eine Tätergruppe aus Polen an dem Abend mit einem Opel Astra nach Deutschland eingereist sei, um im Großraum Harz Autos zu entwenden, sagte der Polizist. Die Information stellte sich als zutreffend heraus: Gegen 2 Uhr nachts wurde im Osteroder Ortsteil Förste ein Audi Q7 im Wert von 30.000 Euro gestohlen. Die Fahnder bekamen noch mit, dass einer aus der polnischen mutmaßlichen Tätergruppe mit dem gestohlenen Auto in Richtung Autobahn 7 davonbrauste.

Daraufhin nahmen zwei zivile Streifenwagen die Verfolgung auf. Kurz vor der Anschlussstelle Seesen ergab sich vor einer roten Ampel die Möglichkeit eines Zugriffs. Der Streifenwagen, in dem der 41-jährige als Beifahrer saß, setzte sich vor das gestohlene Auto. Das andere zivile Polizeifahrzeug habe mit eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn dahintergestanden, berichtete der Polizei.

„Mit Vollgas auf mich zu“ – Polizist schwer verletzt

Nachdem er ausgestiegen war und zwei bis drei Schritte zu dem Audi Q7 gemacht hatte, habe er gesehen, dass der Fahrer kurbelte, das Lenkrad nach rechts einschlug und dann mit Vollgas auf ihn zufuhr. Er sei dann nach links weggesprungen, dabei jedoch noch von dem Audi am Bein erwischt worden und auf der Motorhaube aufgeschlagen. Danach habe er sich einmal in der Luft gedreht und sei dann auf die Straße geprallt.

Anschließend hätten die Beamten den Autodieb weiter verfolgt. Dieser ließ sich auf seiner Flucht auch von einem quergestellten Polizeifahrzeug nicht stoppen, sondern lenkte das gestohlene Auto rechts daran vorbei und stieß dabei gegen einen Streifenwagen. Anschließend flüchtete er weiter mit überhöhter Geschwindigkeit über die teilweise vereisten Straßen und fuhr dabei mehrere Leitplanken um, so dass die ihn verfolgenden Polizeibeamten den Trümmerteilen ausweichen mussten.

Fluchtauto kollidiert mit Leitplanke

Nachdem er erneut mit diversen Leitplanken kollidiert und mit inzwischen kaputten Reifen noch mehrere Kilometer weitergefahren war, blieb das Auto schließlich mit Totalschaden liegen. Der 26-Jährige floh zunächst zu Fuß über die Felder weiter, bis ihn die Beamten schließlich festnahmen. Der 41-jährige Polizist war durch den Aufprall auf den Audi und den Sturz auf die Straße so erheblich verletzt worden, dass er drei Monate dienstunfähig war. Zu schaffen macht ihm aber auch, aus welchem Anlass er plötzlich in Lebensgefahr geraten war: „Es ging nur um ein geklautes Auto, um einen blöden SUV“, sagte er.

Zuvor hatte die Verteidigerin des 26-Jährigen im Namen ihres Mandanten eine Erklärung abgegeben. Der Angeklagte räume ein, das gestohlene Auto gefahren zu haben, könne sich jedoch an keine Details erinnern. Er könne nicht ausschließen, dass er gegen Verkehrsregeln verstoßen und eine Unfallflucht begangen habe. Er habe nicht die Absicht gehabt, jemanden tot zu fahren. Seinen Angaben zufolge hätten die zivilen Polizeifahrzeuge kein Blaulicht gehabt. Die aussteigende Person sei nicht als Polizist zu erkennen gewesen. Er habe noch versucht, ihr auszuweichen. Es tue ihm „unendlich leid“, dass es trotzdem zu einem Zusammenprall gekommen sei.

Pkw-Diebstähle im Bereich Göttingen häufen sich

Für die Polizei war der Autodiebstahl kein Einzelfall. Im vergangenen Jahr habe es im Bereich der Polizeiinspektion Göttingen 37 Pkw-Diebstähle gegeben, im Jahr zuvor seien es 31 gewesen, teilte Polizeisprecherin Jasmin Kaatz auf Anfrage mit.

In diesem Jahr zeichne sich ein ähnlicher Trend ab. Nach den Erkenntnissen der Ermittler würden die meisten gestohlenen Autos nach Polen gebracht, wo sie teilweise als Ersatzteillager genutzt würden.