Herzberg. Ein Herzberger Kinderarzt steht vor der Schließung seiner Praxis, weil Personal fehlt – und ist damit kein Einzelfall

Patienten begrüßen, Karten scannen, Termine vereinbaren oder bei der Behandlung helfen: Eine Arztpraxis ohne medizinische Fachangestellte ist kaum vorstellbar. Für den Kinderarzt Abdul Wahab Sami aus Herzberg ist dies derzeit jedoch Realität: Neue Auszubildende fehlen trotz langer Suche, das Fortbestehen der Praxis ist gefährdet.

„Derzeit haben wir einfach zu wenig Personal und es gibt keine neuen Azubis“, erzählt der Kinderarzt am Telefon. Sowohl im Harz Kurier als auch über das Arbeitsamt habe er gesucht – aber niemanden gefunden. „Ich wüsste nicht, wie ich noch mehr anbieten sollte, als eine 30 Stunden Woche, 1.700 Euro netto und sieben Wochen Urlaub. Es hat sich nie jemand auf unsere Anzeigen gemeldet.“

Für den Kinderarzt eine schwierige Situation: Eine Mitarbeiterin musste die Praxis aufgrund eines Umzuges verlassen, die Auszubildende des Arztes steht kurz vor Beendigung ihrer Ausbildung. „Meine Frau arbeitet seit mehr als zehn Jahren ebenfalls in der Praxis mit, doch sie allein kann die Arbeit nicht vollständig übernehmen“, so Sami. Sollte sich niemand finden lassen, der das Paar bei der Arbeit unterstützt, drohe eine Schließung der Praxis.

Das möchte der Kinderarzt, wie er klar betont, vermeiden: „Wenn wir schließen müssten, wäre das ja nicht nur schade für uns selbst, sondern auch für unsere Patienten.“ Einen festen Platz bei einem Arzt zu bekommen werde gerade im Dörflichen zunehmend schwierig. „Viele Praxen sind bereits jetzt überfüllt und Patientinnen und Patienten müssen sich auf längere Fahr- und Umwege einstellen, wenn sie zu ihrem Arzt wollen.“

Nicht einfach aufgeben

Im Rahmen seiner Suche wandte sich Abdul Wahab Sami ebenfalls bereits hilfesuchend an die Ärztekammer, wie er sagt. „Hier fühlten wir uns aber leider sehr allein gelassen mit unserem Problem.“ Nun habe sich der Kinderarzt an einen Anwalt gewandt, wie er erklärt. „So einfach aufgeben möchten wir nicht.“

Auch Dr. med. Manfred Eilts, HNO-Arzt in Osterode und Ärztesprecher für den Altkreis Osterode, ist das Problem mit fehlendem Fachpersonal durchaus bekannt, wie er schildert, „zwar sieht es aktuell so aus, als gebe es im Vergleich zu den vergangenen fünf Jahren mehr Auszubildende“. Die Lage sei aber nicht gänzlich unbedenklich. Doch woran kann der Rückgang an Auszubildenden liegen? „Ich denke zum einen wird das an der Bezahlung liegen. Wichtig ist es daher, dass wir Ärzte die Mitarbeitenden mehr honorieren können.“ Von Seiten der Politik wünsche sich der Ärztesprecher hingegen mehr Arbeit für ein besseres Ansehen des Berufes in der Gesellschaft.

„Es wäre wichtig zu handeln. Ohne Medizinische Fachangestellte kann kein Arzt seine Praxis führen. Die Sorgen von Abdul Wahab Sami kann ich daher sehr gut nachvollziehen“, so Dr. Eilts.

Das sagt die Ärztekammer

„Als Ärztekammer bemühen wir uns stets unsere Mitglieder bei ihren Anliegen zu unterstützen. Grundsätzlich darf die Ärztekammer Niedersachsen als Anstalt öffentlichen Rechts jedoch keine Vermittlung von Ausbildungsplätzen oder Auszubildenden direkt vornehmen“, erzählt die Ärztekammer auf Nachfrage. Bei dementsprechenden Anfragen von Ärztinnen und Ärzten könne die Kammer nur Hilfestellungen oder Impulse geben, wie etwa im Rahmen der Informationskampagne rund um den MFA-Beruf. „Wir bedauern, dass dies möglicherweise im Falle von Herrn Abdul Wahab Sami zu keiner direkten Verbesserung seiner Lage geführt hat“, so der Sprecher.

Insgesamt sei der Bedarf nach medizinischem Fachpersonal groß – obwohl der Ausbildungsberuf laut der Ranglisten der Ausbildungsberufe des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) zufolge im Jahr 2022 der beliebteste Ausbildungsberufs unter Frauen zählte, werde es für Ärztinnen und Ärzte – vor allem im ambulanten Sektor – immer schwieriger, geeignete Bewerberinnen und Bewerber zu finden, die auch in den Betrieben bleiben.

Geburtenrückgang und weniger Schulabgänger

Die Gründe dafür sind vielfältig, so die Ärztekammer: Zum einen sinkt die Zahl der Schulabgängerinnen und -abgänger insgesamt durch den Geburtenrückgang. Immer mehr junge Menschen entscheiden sich zudem für ein Studium anstelle einer betrieblichen Ausbildung. Darüber hinaus stehen Ausbildungsbetriebe in Ballungszentren in Konkurrenz zu Großunternehmen, die zusätzliche Anreize für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schaffen können. Auch die Belastungen der Covid-19-Pandemie führten dazu, dass weniger Ausbildungsplätze als auch weniger Bewerbende für Lehrstellen auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung standen. Prognosen weisen darauf hin, dass die pandemiebedingten wirtschaftlichen Folgen den Mangel an Fachkräften insgesamt noch verstärken könnten.

Wenngleich die MFA-Ausbildungszahlen in Niedersachsen über die vergangenen Jahre recht konstant sind, hat sich nach den Erfahrungen aus der Praxis die Anzahl von Bewerberinnen und Bewerbern geändert, die sich auf einen Ausbildungsplatz bewerben. Während „früher“ in der Regel mehrere Initiativbewerbungen pro Ausbildungsplatz eingingen, sind die Bemühungen, um überhaupt geeignete Auszubildende zu finden, vor allem bei niedergelassenen Praxen heute groß. Sie inserieren, melden sich in der Landesgeschäftsstelle und bei den Bezirksstellen der Ärztekammer Niedersachsen, erkundigen sich nach Praktikantenvermittlung für Schulpraktika.