„Wenn es um die Einheit so steht wie um das modrige Schild in Osterode, dann liegt das nicht an dessen mangelnder Pflege – sondern am Text.“

Wer sich pünktlich zum 3. Oktober einmal wieder fragt, wie es eigentlich um die deutsche Einheit steht, der möge zur Berliner Straße in Osterode pilgern. Auf einem schlecht zugänglichen Rasenfleck vor einer Tankstelle steht dort ein Stück der Berliner Mauer, einstmals der Stadt am Harz geschenkt vom 12. Panzergrenadierbataillon. So steht es auf der in die Jahre gekommenen, leicht angemoosten Erklärtafel. Und wenn es nun um die Einheit so steht wie um das modrige Schild, dann liegt das natürlich nicht an dessen mangelnder Pflege.

Eher schon an dem Text darauf. Denn was dort steht, muss ja vorher jemand gedacht haben. „Wiederholt versuchten die Kommunisten auch die Westsektoren unter ihren Einfluss zu bringen“, heißt es dort, „scheiterten dabei jedoch am Selbstbehauptungswillen der West-Berliner.“ Als Zwar-nach-Wende-aber-trotzdem-West-Berliner maße ich mir an zu sagen: Der Selbstbehauptungswillen dieser im besten Sinne gesetzlosen Insel der Wehrdienstverweigerer drehte sich höchstens um den Zapfenstreich ihrer Stammkneipe. Es waren schon die West-Alliierten selbst, die ihre Sektoren gegen sowjetische Einflussnahme verteidigten.

Buchstäblich begrenzte Gedanken

Weiter heißt es: Solidarität wollte Osterode mit den Demokraten in West-Berlin demonstrieren. Solidarität mit den eingemauerten, diktaturgebeutelten Menschen im Osten taucht auf dem Schild nicht auf. Und damit kommen wir vom Besonderen (Insel Berlin) zum Allgemeinen (deutsche Einheit): So lange solche Schilder stehen und diese buchstäblich begrenzten Gedanken fortsetzen, wird es schwierig sein mit einem gemeinsamen Verständnis von Einheit und Einigkeit.

Wenn der Autor der Gedenktafel sich jetzt angegriffen fühlt: Lesen Sie die Bücher von Sven Regener, Mann, da steht alles zum Selbstbehauptungswillen der West-Berliner drin.