Bad Lauterberg. Das Corona-Virus wirft die Bemühungen der Rotarier um die weltweite Ausrottung der Polio aber zurück.

Am 25. August dieses Jahres wurde feierlich der komplette afrikanische Kontinent als frei von Polio erklärt. Der letzte Fall einer akuten Kinderlähmung war in Nigeria am 21. August 2016 registriert worden. „Das ist ein äußerst wichtiger Schritt in der Bekämpfung der Kinderlähmung“, sagt Björn Gollée, Präsident des Rotary Clubs Bad Lauterberg-Südharz. „Jetzt bleiben Afghanistan und Pakistan als letzte Länder übrig, in denen noch gegen Polio gekämpft werden muss.“

Am Mittwoch, 28. Oktober, wird der Internationale Welt-Polio-Tag begangen. Seit 1985 ist die Ausrottung von Polio ein Ziel, das Rotary International gemeinsam mit den bekannten Partnern wie WHO, Unicef und der „Bill und Melinda Gates“-Foundation verfolgt. Zum damaligen Zeitpunkt war das Poliovirus noch in 125 Ländern verbreitet und infizierte jährlich mehr als 350.000 Kinder.

2023 soll die Welt poliofrei sein

Anfangs bestand die Hoffnung, die Welt bis zum Jahr 2000 Poliofrei zu bekommen. Zu Beginn des Vorhabens sanken die Zahlen auch schnell, doch im Jahr 2000 waren immer noch sechs Länder betroffen, etwa 3.000 Kinder erkrankten in jedem Jahr. Seitdem musste leider das Datum für das Erreichen des Zieles immer wieder verschoben und immer mehr Geld aufgebracht werden. Bis 2019 hat das Vorhaben fast 15 Milliarden Euro verschlungen.

Die noch anfallenden Kosten werden weltweit auf 2,7 Milliarden Euro geschätzt. Die Weltgemeinschaft sichert der Polio-Kampagne Gelder in Höhe von 2,2 Milliarden Euro zu. Insgesamt hat Rotary bisher 1,7 Milliarden Euro für „End Polio Now“ gesammelt. Ziel ist jetzt, bis 2023 die Welt von Polio zu befreien.

Deshalb wird jeder Rotary-Club weltweit noch gebeten, pro Jahr etwa 1.300 Euro einzubringen. Die „Bill und Melinda Gates“-Foundation stockt alle Rotary-Spenden um 200 Prozent auf. „So können wir das Ziel, die Unterbrechung der Ansteckungskette auch in Afghanistan und Pakistan – und damit weltweit – erreichen“, so Björn Gollée.

Allerdings habe Covid-19, ergänzt Stefan Flint, Poliobeauftragter des Rotary-Clubs Bad Lauterberg-Südharz, allen Bemühungen, Polio definitiv auszurotten, erst einmal einen Strich durch die Rechnung gemacht. So habe die WHO in Rücksprache mit ihren Partnern im März einen dreimonatigen Stopp der geplanten Impfkampagnen verfügt, um ihre Impfteams bei der Bekämpfung von Covid-19 einsetzen zu können. Die Folge sei leider, dass zirka 80 Millionen Kinder die so dringend notwendige Impfung gegen Polio noch nicht erhalten haben.

Der Bad Lauterberger Club spendet stets auch lokal – hier im Rahmen des Glühweinstandes 1.000 Euro für den Förderverein des Herzberger Gymnasiums.
Der Bad Lauterberger Club spendet stets auch lokal – hier im Rahmen des Glühweinstandes 1.000 Euro für den Förderverein des Herzberger Gymnasiums. © Rotary-Club Bad Lauterberg-Südharz

In 38 Ländern musste die Immunisierung ausgesetzt werden. Hundert Millionen Impfdosen sollen sich in Lagern stapeln. Erst Ende Juli sei zum Beispiel in Pakistan die Impfkampagne wieder aufgenommen worden. Denn die Lücke in der Versorgung der Kinder unter fünf Jahren soll so schnell wie möglich geschlossen werden. Dabei gelten die strikten Hygieneregeln der Covid-19-Prävention. Auch kämen laut Rotary International ausschließlich Impfteams aus dem jeweiligen lokalen Umfeld zum Einsatz, um die Einschleppung von Corona-Viren zu unterbinden. Eine grundlegende Vorsichtsmaßnahme sei auch die „no touch“-Ausgabe der Schluckimpfung, also ohne Körperkontakt zum Kind.

Fast am Ziel

Dennoch habe die verhängte Pause zu einer Ausbreitung von Polioviren geführt. Man dürfe deshalb nicht warten, bis die Covid- 19-Pandemie eingedämmt sei. Wenn die Impfungen zu lange unterbrochen würden, hätte das verheerende gesundheitliche Folgen. Dabei war man in Afghanistan und Pakistan der völligen Ausrottung der Kinderlähmung schon ganz nahe. „Leider haben sich die Erkrankungszahlen in den letzten zwei Jahren verfünffacht, so wurden 2019 174 Fälle dokumentiert“, so Stefan Flint. In Afghanistan verweigern zudem die Taliban den Impfteams den Zugang zu den von ihnen kontrollierten Gebieten.

Impfung führte zur Scheidung

Aber das sind nicht die einzigen Hemmnisse. Wanderbewegungen in der Bevölkerung, eine schwache Infrastruktur, fehlende Gesundheitsüberwachung, eine fragile politische Sicherheitslage und vor allem der Widerstand gegen Impfungen. So treffen die Helfer immer noch auf großes Misstrauen, in jedem zweiten Haushalt würden die Impfungen abgelehnt. Viele Frauen sagen, dass ihre Männer die Impfung verboten hätten. So berichtete eine Helferin, dass sie eine Frau kenne, deren Mann sich von ihr scheiden lassen habe, weil sie ihre Kinder hat impfen lassen.

Aber die Arbeit gegen Polio hat auch den Vorteil, dass sie auf verschiedene Arten der Bekämpfung anderer Krankheiten dient. Dies könnte sich auch noch auf den Umgang mit dem Covid-Virus auswirken, so bei der Entwicklung von Kühlketten für Impfstoffe, bei der Mikroplanung, mit der bestimmte Gemeinden und Regionen als Prioritäts-Ziele für die Impfungen identifiziert werden, und bei der Kontakt-Rückverfolgung.

Glühweinstand in Lauterberg

Der Rotary-Club Bad Lauterberg-Südharz lag in den letzten Jahren mit seinem Spendenaufkommen für die Aktion End-Polio-Now immer weit über den von Rotary International vorgegebenen 1.300 Euro. Im letzten Jahr betrug die Spendensumme 3.000 Euro. Mit 7.500 Euro hatte der Bad Lauterberger Club vor vier Jahren im District den höchsten Betrag für „End Polio Now“ gesammelt. Im Jahr davor konnte der Club sogar 10.000 Euro zur Bekämpfung von Polio zur Verfügung stellen. Der Club liegt im Distrikt 1800, zu dem 78 Clubs gehören, immer mit an der Spitze, wenn es um die Höhe der gespendeten Beträge ging. Der Distrikt wiederum hat in den letzten zehn Jahren mit 1,3 Millionen Euro die größte Spendensumme aller deutschen Distrikte geleistet.

Vor allem am Glühweinstand vor Weihnachten in der Fußgängerzone Bad Lauterbergs konnten sich die Clubmitglieder über die hohe Spendenbereitschaft der heimischen Bevölkerung freuen. Ob in diesem Jahr der Club den Glühweinstand wieder aufbauen kann, um Spenden für das Projekt zu sammeln, wird allerdings von der Corona-Lage abhängen.

Info: Zwei Virologen

Der Welt-Polio-Tag wurde von der Weltgesundheitsorganisation WHO im Gedenken an den US-Amerikaner Jonas Salk eingeführt. Salk entwickelte den ersten injizierbaren Impfstoff, den er 1955 erfolgreich einführte.

Etwas später entwickelte Albert Bruce Sabin den oralen Impfstoff, der Anfang der 1960er-Jahre zur Verfügung stand. Beiden Virologen ist es zu verdanken, dass wir uns heute vor Polio schützen können.