Göttingen. Soziale Ungleichheit und menschliche Abgründe: Das Junge Theater feierte Premiere mit „Woyzeck“ – und hatte auch politisch etwas zu vermelden.

Bei der Premiere von „Woyzeck“ wurde es recht eng auf der Bühne des Jungen Theaters Göttingen. Neben dem kompletten sechsköpfigen Ensemble teilten sich mit Tobias Schaaf, Robin Schumann und Lukas Vilmar noch gleich drei zusätzliche Gäste die Bretter, die die Welt bedeuten. Das Dramenfragment „Woyzeck“ aus der Feder des großen deutschen Dramatikers und Dichters Georg Büchner gehört im Fach Deutsch zur Pflichtlektüre für die Qualifikationsphase des Abiturjahrgangs 2024. Thematisiert dabei werden die katastrophalen Auswirkungen sozialer Ungleichheit sowie die menschlichen Abgründe einer Gesellschaft.

Von Beginn an zog das Stück sein Göttinger Publikum in einen 105-minütig andauernden Bann. Der einfache Soldat Franz Woyzeck und seine Freundin Marie leben mit ihrem gemeinsamen unehelichen Kind in einer finanziell schwierigen Situation. Damit ihre Existenz gesichert ist, nimmt Woyzeck Gelegenheitsarbeiten bei seinem Hauptmann an und lässt sich auch in fragwürdigen medizinischen Experimenten durch einen skrupellosen Arzt missbrauchen. Psychisch und physisch ausgenutzt muss der junge Soldat zudem allerlei Demütigungen in Kauf nehmen.

Spielfreude und bestechendes Schauspiel von vier Akteuren

Nachdem Marie eine heimliche Affäre mit einem Tambourmajor angefangen hat, beginnt Woyzeck plötzlich Stimmen zu hören, die ihm befehlen, die untreue Freundin zu ermorden, das Drama nimmt seinen Lauf...

Die Inszenierung lag bei Tobias Sosinka und Christian Vilmar in den richtigen Händen. Trotz der Dramatik des Stoffes war es immer wieder gelungen, auch für den einen oder anderen Lacher bei den Zuschauerinnen und Zuschauern zu sorgen. Das gesamte Ensemble überzeugte mit einer hervorragenden Spielfreude, vier Akteurinnen und Akteure agierten im Schauspiel besonders bestechend: Fabienne Elisabeth Baumann (Marie), Jan Reinartz (Hauptmann und Ausrufer), Dorothea Röger (Doktor und Käthe) und nicht zu vergessen Michael Johannes Mayer (Woyzeck). Gerade beim Letztgenannten spürte man die Verzweiflung und die beginnenden Wahnvorstellungen seiner dargestellten Figur „Woyzeck“ beinahe körperlich - grandios. So war es nicht verwunderlich, dass die Vorstellung am Ende vom begeisterten Publikum mit jubelnden Applaus minutenlang honoriert worden ist.

Junges Theater plädiert für Voranschreiten der Renovierung des Theaters

Wie nach jeder Premiere üblich, gehörten die letzten Worte Theaterintendant Nico Dietrich. Eigentlich sind diese stets launig und fröhlich gestimmt, auch dieses Mal. Und doch war es etwas anders als gewohnt, denn Dietrich richtete darüber hinaus recht deutliche Worte in Richtung der anwesenden Vertreter aus örtlicher Politik und Verwaltung: „Wir müssen endlich zurück in unser Theater, in unser eigentliches Stammhaus.“ Seit Jahren warte man vergeblich darauf, aber es ginge einfach nichts in Sachen Renovierung voran. Diese Tatsache bringe auch erhebliche finanzielle Einbußen für das JT mit sich, ein unhaltbarer Zustand für das kleine Theater.

In einer Kurzumfrage des Harz Kuriers unter den Anwesenden im Foyer stellten die Befragten den gerade gesehenen schauspielerischen Leistungen beste Noten aus, die auch in Posts auf sozialen Medienplattformen mit den Worten „Es war im wahrsten Sinne des Wortes eine Wucht!“ ihre Bestätigung fand.

Der nächste Termin für „Woyzeck“ ist am 29. Oktober mit Beginn um 20 Uhr.